Katastrophe von Bad Reichenhall:Tödliche Schneelast

Lesezeit: 2 min

Im Januar 2006 starben 15 Menschen beim Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall. Ursache war möglicherweise nicht die Hallenkonstruktion, sondern das ungewöhnliche Wetter.

Axel Bojanowski

Im Januar 2006 starben 15 Menschen beim Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall. Derzeit wird vor dem Landgericht Traunstein darüber verhandelt, wer die Katastrophe verschuldet hat.

Unter dem Schnee auf den Dächern bayerischer Häuser verbargen sich 2006 häufig Eisplatten. (Foto: Foto: dpa)

Schlechte Statik, mangelhaftes Baumaterial und ein schludriges Genehmigungsverfahren prangert die Staatsanwaltschaft an. Rätselhaft bleibt dabei, warum im selben Winter in Bayern 16 weitere Dächer eingestürzt sind, obwohl wie in Bad Reichenhall nicht außergewöhnlich viel Schnee gefallen war.

Die Schneehöhe sei kein ausreichendes Alarmzeichen, berichtet nun der Hydrologe Ulrich Strasser ( Natural Hazards and Earth System Sciences, Bd. 8, S. 1, 2008). Vielmehr habe ungewöhnliches Wetter zum Einsturz der Dächer beigetragen. Der Experte von der Universität München fordert ein Warnsystem für öffentliche Gebäude.

Im Winter 2005/2006 hatte es in Bayern zwar regelmäßig geschneit, doch zunächst weniger als üblich. Am Tag der Katastrophe schneite es allerdings kräftig in Bad Reichenhall; der Schnee auf dem Dach der Eishalle wuchs und wuchs. Unmittelbar vor dem Einsturz der Halle um kurz vor 16 Uhr lagen fast 30 Zentimeter Schnee auf dem Dach.

Damit blieb die Menge jedoch um rund ein Drittel unter der zulässigen Schneelast. Bad Reichenhall liegt in der so genannten "Zone 3", die nach DIN-Norm 1055 den meisten Schnee in Deutschland aushalten muss. Entsprechend müssen die Dächer konzipiert sein. Sie sollten sogar noch größeres Gewicht aushalten können; Architekten rechnen einen "Sicherheitsbeiwert" ein.

Womöglich genügte die Hallenkonstruktion in Bad Reichenhall diesen Vorschriften nicht - darüber wird das Gericht entscheiden müssen. Gleichwohl wäre es wohl kaum zur Katastrophe gekommen, wenn nicht wochenlang ungewöhnliches Wetter geherrscht hätte, sagt Strasser.

Unmerklich seien dadurch im Winter 2005/2006 auf den Dächern Bayerns unter dem Schnee schwere Wasser- oder Eislinsen entstanden. Deren Gewicht habe die Dächer eingedrückt.

Tonnenschwere Eislinsen

Die Katastrophe von Bad Reichenhall bahnte sich offenbar schon Anfang November 2005 an. Die Temperatur pendelte von November bis Januar immer dicht um den Gefrierpunkt, ohne dass die Schneedecke gänzlich geschmolzen wäre.

"Der Schnee auf den Dächern taute immer wieder teilweise, um Stunden später erneut zu gefrieren", erläutert Strasser. Das Schmelzwasser habe sich in Kuhlen gesammelt und sei dort zu Eis gefroren. In Dachsenken, die nur wenige Zentimeter flach sind, könnten sich so tonnenschwere Wasser- oder Eislinsen bilden. Besonders bedrohlich sei, dass die zusätzliche Last unter einer Schneedecke nicht auffalle.

Der Hydrologe fordert daher, öffentliche Gebäude mit Warnsystemen auszustatten. Um die Einsturzgefahr einzuschätzen, müssten diverse Größen berücksichtigt werden. "Man darf sich nicht nur an der Schneehöhe orientieren", sagt der Hydrologe Strasser. Für ein Warnsystem sollte die Schneefall-Prognose des Deutschen Wetterdienstes genutzt werden. Dabei werde die erwartete Schneemenge in Gewicht umgerechnet.

Sensoren auf den Dächern

Zudem müssten in jeder Region einzelne Dächer mit Sensoren bestückt werden, um die tatsächliche Schneelast zu registrieren. Die Daten beider Informationsquellen sollten verrechnet werden, so dass für jeden Ort im Land die wahrscheinliche Schneelast auf Dächern abgeleitet werden könne. Ein entsprechendes Computerprogramm sei problemlos zu schreiben, so Strasser.

Vor allem Hotel-, Hallen- und Kaufhausbetreiber würden sich für die Daten interessieren. Aber auch Privatleute sollten Zugriff haben. Bevor ein Warnsystem installiert ist, rät Strasser Hallenbesitzern, im Sommer mit einem Gartenschlauch aufs Dach zu gehen. "Das Wasser sammelt sich in den Dachmulden", sagt Strasser. "Je tiefer die Pfützen, desto größer die Gefahr durch Eislinsen im Winter."

© SZ vom 30.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: