Kaiserschnitt:Abkürzung mit Folgen

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Unaufhörlich steigt die Zahl der operativen Geburten - zum Nachteil für Mutter und Kind.

Golo Willand

"Ich war auf nur eines fixiert: Ich wollte sie schreien hören", sagte die Schauspielerin Angelina Jolie vergangene Woche in dem ersten Interview, das sie nach der Geburt ihres Töchterchens gegeben hat. "Man hat plötzlich Angst, dass es nicht atmet."

Neugeborenes (Foto: Foto: AFP)

Angst um das Kind, genau das ist der Grund, weshalb viele Schwangere einem Kaiserschnitt zustimmen, durch den auch Jolies Tochter Shiloh Nouvel zur Welt kam. "Weniger Risiken fürs Kind" sagten Frauen in einer Studie der Gmünder Ersatzkasse (GEK) vom April am häufigsten, seien ein Vorteil einer Schnittentbindung.

Dabei birgt der operative Weg in die Welt eigene Gefahren für den Säugling, die mitunter erheblich sind. So leiden Neugeborene zwei- bis viermal so häufig unter Atemnot, wenn sie per Kaiserschnitt geholt werden. Denn Babys, die auf natürliche Art zur Welt kommen, wird auf dem Weg durch den Geburtskanal das Fruchtwasser aus den Lungen gepresst.

Immer mehr Mütter sterben wegen Kaiserschnitten

In manchen Fällen ist ein Kaiserschnitt zweifelsohne medizinisch notwendig. Das sei bei etwa 15 Prozent aller Geburten der Fall, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dann würden die Risiken der Operation auch aufgewogen. Doch die 15-Prozent-Marke haben viele Länder längst überschritten, und die Kaiserschnitt-Raten steigen weltweit weiter an. In Deutschland wurden 1994 noch 17 Prozent der Kinder über die chirurgische Abkürzung geboren, 2004 waren es bereits 27 Prozent.

Nun weist eine Studie der WHO erneut auf die gefährlichen Folgen der Überversorgung hin (Lancet, Bd. 367, S. 1819, 2006). Demnach steigt die Neugeborenensterblichkeit bereits bei Kaiserschnittraten zwischen zehn und 20 Prozent an, wie die Auswertung von 97.000 Geburten in Lateinamerika zeigte. Auch sterben mit zunehmender Zahl von Kaiserschnitten mehr Mütter - auch dann, wenn die chirurgische Operation nicht wegen erhöhter Risiken durchgeführt wurde. Dies zeige, wie eine wirksame Maßnahme für Notfallsituationen "mehr Schlechtes als Gutes tun kann, wenn sie bei Gesunden angewandt wird", so das WHO-Team.

Aber sind die Ergebnisse aus Lateinamerika überhaupt auf Deutschland übertragbar? "Nicht ganz. Bei einigen Kaiserschnitt-Komplikationen wie gefährlichen Blutungen und Infektionen sind wir hier meist besser ausgerüstet", sagt Heribert Kentenich, Chefarzt der Frauenklinik des Deutschen Roten Kreuzes in Berlin. "Aber insgesamt sind diese Zahlen sehr ernst zu nehmen. Sie sollten Anlass sein, die hohen Kaiserschnittraten bei uns kritisch zu hinterfragen."

Ganz überraschend kommt die Warnung ohnehin nicht. Bereits Mitte der 90er Jahre hatte eine britische Erhebung gezeigt, dass bei Schnittentbindungen im Verhältnis fast dreimal so viele Frauen sterben wie bei vaginalen Geburten - selbst wenn der Kaiserschnitt auf Wunsch durchgeführt wurde, also nicht aus einer Notsituation entstand.

Wieso steigt die Zahl der Kaiserschnitte dennoch ungehindert an? Wollen Frauen eine OP-Geburt wie Claudia Schiffer? Sind sie etwa "too posh to push" (zu vornehm zum Pressen), wie Demonstrantinnen Victoria Beckham alias Posh Spice vorwarfen, als sie den Geburtstermin ihres Sohnes zwischen zwei Fußballspiele ihres Mannes legte? Offenbar nicht. Der GEK-Studie zufolge gehen nur zwei Prozent der Kaiserschnitte in Deutschland auf den Wunsch der Frau zurück.

Der Zuwachs an operativen Geburten erkläre sich aus einer "merkwürdigen Mischung" heraus, sagt Kentenich. Auslöser seien neben den Sorgen der Mütter einige reale Risiken wie das höhere Alter der Schwangeren. Auch "finanzielle Erwägungen" spielten aber eine Rolle:

Raubrittertum in Privatkliniken

Die auffallend hohen Kaiserschnitt-Raten einiger Privatkliniken, in denen bereits jedes dritte Kind operativ auf die Welt kommt, bezeichnet Kentenich als "Raubrittertum". Immerhin bekommt ein Krankenhaus für die rund 20-minütige Operation im Mittel etwa 4500 Euro, für eine vaginale Geburt nur gut die Hälfte.

Kritiker bemängeln zudem die Tendenz zur defensiven Medizin. Im Mittelpunkt stehe nicht immer das Wohlergehen von Mutter und Kind, sondern das der Ärzte: Viele Mediziner haben Angst vor Klagen. Denn Geburtshilfe ist Hochrisikomedizin mit den höchsten Prämien für die Haftpflichtversicherung.

"Wenn der Arzt im Kreißsaal sagt, eine natürliche Geburt gefährde das Kind, dann hat man als Mutter keine Wahl", sagt Hilda Bastian vom Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. "Daher ist es wichtig, vor der Geburt einen Arzt zu suchen, der von der Einstellung her mit einem zusammenpasst - auch beim Thema Kaiserschnitt."

Diese Suche sei nicht immer einfach, räumt Bastian ein. Denn in der Geburtshilfe gebe es viele Extremisten. Die einen wollten selbst medizinisch notwendige Kaiserschnitte kaum akzeptieren, die anderen würden am liebsten immer das Skalpell anlegen. Bastian warnt: "Es gibt eine Tendenz, die Risiken des Kaiserschnitts kleinzureden. Trotz aller Fortschritte ist der Eingriff aber immer noch eine größere Bauch-Operation."

Seltener und erst später wieder schwanger

Komplikationen wie Blutungen oder Thrombosen sind nicht auszuschließen. Skalpell und Narkose ersparen zwar den Geburtsschmerz, dafür folgt aber der Wundschmerz, oft wochenlang, und stört viele Mütter beim Stillen und Tragen ihres Babys. Nach dem Eingriff werden die Frauen seltener und später wieder schwanger, das nächste Kind hat ein geringeres Geburtsgewicht, und es kann bei einer weiteren Geburt zum Riss der Gebärmutter kommen.

Verfechter der Kaiserschnitt-Geburt führen oft an, dass diese den Beckenboden schone und so vor unwillkürlichem Harnverlust und eingeschränktem sexuellen Erleben führe. "Dieser Schluss ist derzeit aber falsch", kritisiert die Childbirth Connection in den USA, die Frauen mit unabhängiger, wissenschaftlich fundierter Information rund ums Kinderkriegen aufklärt. In den Studien, die dies nahe legten, hätten Ärzte und Schwestern gar nicht versucht, jene Praktiken zu vermeiden, die den Beckenboden verletzen können - wie Saugglocke, Zange oder Dammschnitt.

© SZ vom 29. Juni 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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