Interview:Warum Kopftücher im Klassenzimmer?

Lesezeit: 3 min

Bei ihrer Sitzung am Freitag in Darmstadt konnten sich die Kultusminister nicht auf eine einheitliche Kopftuch-Regelung einigen. Doch was bedeutet das Kopftuch für angehenden Lehrerinnen? Würden sie auch ohne Verhüllung arbeiten? Dr. Yasemin Karakasoglu, Expertin für Bildung und Migration an der Universität Essen und Gutachterin bei der Verhandlung zum Kopftuch-Urteil in Karlsruhe, hat muslimische Studentinnen und Referendarinnen befragt.

SZ: Tragen Sie manchmal ein Kopftuch?

Karakasoglu: Ja, wenn ich in die Moschee gehe oder zu einem Begräbnis - also wenn ich an gemeinschaftlichen rituellen Handlungen teilnehme. Ansonsten bin ich keine praktizierende Muslimin.

SZ: Hat das Kopftuch politischen Charakter?

Karakasoglu: Für mich persönlich ist es Element des Glaubens. Andere sehen darin sicher auch ein politisches Symbol, aber man darf das nicht generalisieren. Das Kopftuch ist als Protest gegen die Unterdrückung muslimischer Religion, etwa im Schah-Regime oder in der Türkei heute verwendet worden. Andererseits ist es auch Symbol für Unterdrückung, zum Beispiel bei den Taliban.

SZ: Was bedeutet das Kopftuch für die Studentinnen, die Sie befragt haben?

Karakasoglu: Sie sehen das Kopftuch nicht als Gegensatz zu ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft, sondern als Ausdruck ihrer persönlichen religiösen Einstellung.

SZ: Trifft das auch auf Fereshta Ludin zu?

Karakasoglu: So weit ich sie verstanden habe, ja.

SZ: Übt nicht häufig die Familie Druck auf die Mädchen und Frauen aus?

Karakasoglu: Die Motive kann man schlecht voneinander trennen. Etliche meiner Interviewpartnerinnen haben gesagt, dass sie von ihren Eltern zunächst zum Kopftuch gedrängt wurden und das schlecht fanden. Später haben sie aber in der persönlichen Auseinandersetzung mit der Religion ihre eigene Begründung für das Kopftuch gefunden.

SZ: Aber der Koran schreibt doch das Kopftuch nicht eindeutig vor?

Karakasoglu: Nein, es ist eine Auslegungssache. Natürlich üben die Familien Druck aus. Andererseits ist gerade in Familien, die aus ländlichen Gegenden kommen, das Kopftuch so selbstverständlich, dass auch junge Frauen es nicht als etwas empfinden, das ihr Leben völlig verändert oder einschränkt. Manche sehen es auch als Möglichkeit, mehr Freiraum gegenüber den Eltern zu haben. Mit Kopftuch können sie eher mit Freundinnen in die Stadt gehen, studieren, einen Beruf ausüben - und bleiben dennoch den Eltern und ihren Werten verbunden.

SZ: Würden die befragten Studentinnen auch ohne Kopftuch unterrichten?

Karakasoglu: In der Mehrzahl nicht. Im Zweifelsfall würden sie lieber einen anderen Beruf ergreifen. Das ist auch verständlich, denn es handelt sich überwiegend um junge Frauen der zweiten Generation, die sich durch das Gymnasium gekämpft haben und als erste ihrer Familie studieren. In ihren Ansprüchen gegenüber der Gesellschaft sind sie bescheiden. Sie wollen lehren - aber wenn es nicht geht, dann werden sie dafür nicht auf die Straße gehen.

SZ: Und was wollen sie dann machen?

Karakasoglu: Eine meiner Interviewten sagte damals, sie würde ein islamisches Frauenzentrum eröffnen. Doch die Realität hat sie eingeholt: Kürzlich traf ich sie wieder, und nun plant sie ein interkulturelles Mütterzentrum. Sie sagte, sie hätte verstanden, dass der Kontakt mit Deutschen wichtig ist, sie wolle, dass ihre Kinder deutsch sprechen. Die überwiegende Mehrheit will keine Parallelgesellschaft.

SZ: Wie reagieren Schüler auf das Kopftuch?

Karakasoglu: Dazu gibt es keine gesicherten Untersuchungen. Von den kopftuchtragenden Lehrerinnen aber weiß ich, dass es für Schüler kein Thema ist. Sie sehen das Kopftuch so wie wir uns früher darüber Gedanken gemacht haben, wenn eine Lehrerinnen keine Jeans trug oder nur Miniröcke.

SZ: Das könnte sich jetzt ändern.

Karakasoglu: Die Unbefangenheit im Umgang mit dem Thema wir wohl verloren gehen, leider. Ansonsten sehe ich die Entscheidung des Gerichts positiv. Wir müssen jetzt breit gesellschaftlich diskutieren. Das wird sicher dazu führen, dass junge Frauen sich sehr gut überlegen, ob sie ein Kopftuch tragen wollen. Das Kopftuch als solches sollte nicht verboten werden, aber natürlich muss es Grenzen geben. Wenn eine Lehrerin männlichen Personen, also auch Schülern, die Hand nicht geben will, dann geht das über das persönliche Identitätsgefühl hinaus.

Interview: Jeanne Rubner

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: