Interview:"Vogelgrippe ist nicht Ebola"

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Der Tierseuchenexperte Thomas Mettenleiter über die tatsächliche Bedrohung durch H5N1-Viren und die öffentliche Wahrnehmung.

Auch wenn täglich infizierte Wildvögel gefunden werden - deutsche Geflügelbestände sind noch frei von Vogelgrippe, Gefahren für Menschen hier zu Lande unwahrscheinlich. Dies betonten Experten, die am Montag in Hannover über Krankheitserreger diskutierten, die von Tieren auf Menschen übergreifen. Am Rand der Konferenz erläuterte Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) auf der Insel Riems, wo die toten Vögel herkommen und wie wenig Forscher über das H5N1-Virus wissen.

Schwäne auf dem oberbayerischen Chiemsee, im Hintergrund die Kampenwand (Foto: Foto: AP)

SZ: Vogelgrippeviren gibt es alle Jahre wieder - was ist das Besondere an dem jetzt grassierenden Erreger?

Thomas Mettenleiter: Auffällig ist die schnelle räumliche Ausbreitung der Tierseuche, die Ausdauer, mit der sich das Virus hält und die hohe Pathogenität, die sich darin zeigt, dass infizierte Hühner innerhalb von zwei Tagen sterben. Auch beunruhigt es, dass das Virus unter bestimmten Bedingungen auf Menschen übergreift. Allerdings ist es völlig absurd, wenn manchmal der Eindruck erweckt wird, H5N1 sei ungefähr so etwas wie Ebola.

SZ: Dass in Oberfranken ein Geflügelbestand befallen wurde, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Wurde die Öffentlichkeit zu voreilig informiert?

Mettenleiter: Zu dieser politischen Frage möchte ich keine Stellung nehmen.

SZ: Wie schätzen Sie - im Vergleich zu anderen Tierkrankheiten - die Gefahr für Menschen ein?

Mettenleiter: Derzeit eher gering. Wenn man sieht, dass bei uns jedes Jahr jeweils mehr als 50.000 Menschen an Salmonellen- und Campylobacter-Infektionen erkranken und an der Grippe 2005 rund 18.000 Menschen in Deutschland gestorben sind, dagegen an H5N1 vom Typ Asia weltweit weniger als hundert, ist die öffentliche Wahrnehmung eigenartig. Wie groß die Gefahr ist, dass dieser Tierseuchen-Erreger zu einem Pandemievirus wird, kann niemand vorhersagen.

SZ: Welche Eigenheiten des Virus bewirken seine große Durchsetzungskraft?

Mettenleiter: Das wissen wir nicht genau. H5N1-Viren gibt es seit Jahrzehnten. Ein solches Virus trat bereits 1959 in Schottland auf. Es hatte aber nichts mit dem jetzigen Erreger vom Typ Asia zu tun und war nicht so gefährlich. Welche Gene den Asia-Erreger so erfolgreich machen, ist unklar. Zwar können wir feststellen, welche Mutationen auf dem Weg von schwach krankheitserregenden zu hochpathogenen Viren auftreten, aber wir verstehen nicht genau, wie sie die Eigenschaften des Erregers verändern. Unter anderem beeinflussen sie offenbar, welche Tiere befallen werden können.

SZ: Seit infizierte Katzen entdeckt wurden, gelten in betroffenen Gebieten Vorsichtsmaßnahmen für Haustiere. Können sich Hunde anstecken?

Mettenleiter: Dazu gibt es kaum Untersuchungen. Nur eine Arbeit aus Thailand deutet an, dass auch bei Hunden möglicherweise Antikörper gegen H5N1 vorlagen, was durch eine Infektion geschehen sein könnte. Die Leinenpflicht ist daher dort, wo das Virus auftritt, sinnvoll.

SZ: Sie arbeiten an Impfstoffen, bei denen sich unterscheiden lässt, ob ein Tier geimpft wurde oder sich angesteckt hat. Mit einem solchen ¸¸Markerimpfstoff" würde ein wichtiges Argument gegen die Impfung von Geflügelbeständen entfallen. Wann wird er zur Verfügung stehen?

Thomas Mettenleiter (Foto: Foto: AP)

Mettenleiter: Das wird Jahre dauern. Bisher haben wir mit Prototypen gezeigt, dass eine Impfung prinzipiell möglich ist. Ein H5N1-Gen wird in Transportviren eingebaut. Dabei verwenden wir auch ein Oberflächenmolekül aus dem in Deutschland isolierten Virus. Geimpfte Tiere bilden Antikörper gegen dieses Eiweiß aus H5N1, aber auch gegen Moleküle des Transportvirus. Da bei einer H5N1-Infektion auch Antikörper gegen andere Viruseiweiße gebildet werden, zeigen diese, dass sich das Tier infiziert hat. Aber wir sind weit davon entfernt, Impfstoff massenhaft und kostengünstig herstellen zu können. Dagegen wäre es möglich, Zootiere in betroffenen Gebieten mit Totimpfstoff zu impfen.

SZ: Sind Medikamente für Tiere in der Entwicklung - Tamiflu für Hühner?

Mettenleiter: Nein, das wäre viel zu teuer.

SZ: Der Erreger hält sich in der Kälte besonders gut - rechnen Sie damit, dass er im Sommer von selbst verschwindet?

Mettenleiter: Schätzungen, wie lange wir es mit dem Erreger zu tun haben werden, reichen von Monaten bis zu 150 Jahren - beide Extreme halte ich für unwahrscheinlich. In Exkrementen oder Kadavern wird das Virus bei warmem Wetter nicht so lange überdauern wie jetzt. Studien, wie lange tote Tiere bei verschiedenen Temperaturen infektiös bleiben, gibt es nicht. Doch lebende Wildvögel bilden immer ein Reservoir für den Erreger. Betroffene Populationen an der Ostsee werden zwar nach Norden ziehen, dafür kommen aus dem Süden, etwa aus Afrika, womöglich infizierte Zugvögel zu uns.

SZ: Wie erklären Sie sich, dass noch bevor der Vogelzug einsetzt, in Europa infizierte Wildvögel auftauchen? Hat man kranke Tiere im Herbst übersehen?

Mettenleiter: Das glaube ich kaum. Es gab schon in den letzten vier Jahren intensives Wildvogel-Monitoring, bei dem kein Fall entdeckt wurde. Ich denke, dass bereits im Herbst infizierte Tiere in Europa waren, vielleicht weiter östlich, nicht in Deutschland. Durch den strengen Winter sind die Vögel nach Westen ausgewichen - dabei legen sie einige hundert Kilometer zurück. Das könnte der Grund sein, dass jetzt so viele kranke Vögel quer durch Europa gefunden werden.

SZ: Es sind so viele Fragen offen - wo ist der größte Forschungsbedarf?

Mettenleiter: Wichtig ist die engere Zusammenarbeit von Veterinärmedizin und Medizin. Das FLI plant mit dem Robert-Koch-Institut Projekte: Dabei geht es um bessere und schnellere Diagnostik und um die Entwicklung von Impfstoffen. Auch müssen wir mehr über die Verbreitung des Virus erfahren und darüber, welche molekularen Veränderungen seine Gefährlichkeit ausmachen.

© Süddeutsche Zeitung vom 15. März 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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