Interview:"Eine Gitarre ist schon oben"

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Der deutsche Astronaut Thomas Reiter freut sich auf seinen kommenden Besuch bei der Internationalen Raumstation.

Alexander Stirn

Viermal musste der Start verschoben werden, bald kann es nun endlich losgehen. In drei Wochen soll Thomas Reiter als erster deutscher Astronaut auf der Internationalen Raumstation ISS einziehen und sechs Monate dort bleiben. Seit 2001 hat sich Reiter auf seine große Reise vorbereitet, doch der Absturz der Raumfähre Columbia am 1. Februar 2003 brachte alles durcheinander.

Soll sechs Monate auf der ISS bleiben: Thomas Reiter (Foto: Foto: dpa)

SZ: Die Nasa nennt Ihre Mission unverblümt einen "Testflug". Sind Sie ein Versuchskaninchen?

Reiter: Nein, ganz sicher nicht. Aber ich bin mir bewusst, dass der Shuttle kein alltägliches, kein ausgereiftes Fluggerät ist. Im Gegensatz zu Passagierjets sind Shuttles Einzelanfertigungen - Prototypen, die noch dazu nicht so häufig eingesetzt wurden, wie die Nasa vor vielen Jahren gedacht hatte.

SZ: Ursprünglich wollten die Amerikaner jeden Monat eine Raumfähre ins All schießen.

Reiter: Aber dieser Fall ist nie eingetreten. Und deshalb sind die Flüge - auch wenn sie lange Zeit wie Routine aussahen - nie Routine geworden.

SZ: Befindet sich das Spaceshuttle noch immer im Experimentierstadium?

Reiter: Wenn man die Kriterien anlegt, nach denen heute Verkehrsflugzeuge entwickelt und erprobt werden, sind Shuttle-Starts noch immer Testflüge. Vor diesem Hintergrund muss man auch die anstehende Mission sehen. Aber als Versuchskaninchen fühle ich mich überhaupt nicht.

SZ: Mit was für einem Gefühl werden Sie Anfang Juli in die Discovery steigen?

Reiter: Sehr konzentriert. Auf die Astronauten wartet ein gedrängtes Arbeitsprogramm, nicht nur an Bord des Shuttles, sondern auch später auf der Internationalen Raumstation ISS. Dem fiebert man entgegen.

SZ: Keine Angst?

Reiter: Nein, eher Freude. Wenn man nach all dem Warten und all der Vorbereitung im Shuttle sitzt, wenn die Triebwerke zünden und die Raumfähre abhebt, dann ist jeder froh, dass es losgeht. Dann fällt einem ein Stein vom Herzen.

SZ: Und das Risiko kann man völlig ausblenden?

Reiter: Jeder von uns weiß, dass wir an der Grenze des technisch Machbaren operieren. Und das ist natürlich immer mit etwas höheren Risiken verbunden, als wenn man in einen Urlaubsflieger steigt.

SZ: Trotz heftiger Diskussionen und noch immer vorhandener Sicherheitsbedenken der Ingenieure hat sich die Nasa dagegen ausgesprochen, das Shuttle noch weiter zu modifizieren. Bekommt man so etwas als Astronaut überhaupt mit?

Reiter: Ja, selbstverständlich. Der Kommandant der Mission wird über diese Diskussionen informiert und gibt sie unmittelbar an die Crew weiter. Auch wenn ich im Vorfeld des Starts nicht in den USA war, standen wir in permanentem Kontakt über E-Mail oder Telefon.

SZ: Und solche Diskussionen beunruhigen Sie nicht?

Reiter: Die Ingenieure, die für die Modifikationen zuständig sind, machen genauso ihre Arbeit wie wir unsere Arbeit machen. Und der Ansatz, den die Nasa nach all den Diskussionen gewählt hat, ist sehr gut: Bei Testflügen macht man nicht viele Änderungen auf einen Schlag, sondern eine nach der anderen.

SZ: Der Shuttle ist sicher?

Reiter: Es ist der sicherste Shuttle aller Zeiten. Mit jeder Kleinigkeit, die im Windkanal entdeckt wird, wird auch der Shuttle sicherer. Zudem zeigt die Tatsache, dass der Start viermal verschoben wurde, wie sehr sich die Nasa um die Sicherheit sorgt.

SZ: Vor mehr als zehn Jahren, bei Ihrem ersten Flug ins All, hat Sie eine russische Sojus-Kapsel zur Raumstation Mir und zurück zur Erde gebracht. Würden Sie gern wieder mit der Sojus fliegen?

Reiter: Da wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Auf der einen Seite ist es natürlich hochinteressant, die beiden Fluggeräte vergleichen zu können. Die Sojus kenne ich schon, jetzt ist es schön, auch mal den Betrieb an Bord des Shuttles zu erleben.

SZ: Und andererseits?

Reiter: Wenn ich mit einer dreisitzigen Sojus hochfliegen würde, hätte ich eine aktivere Rolle - zumal ich dafür ausgebildet bin. An Bord des Shuttles beginnt meine Arbeit dagegen erst, wenn wir im Orbit sind. Das dauert achteinhalb Minuten. Die kann man zwar genießen, aber man hat keine Aufgabe.

SZ: Worauf freuen Sie sich in den kommenden sechs Monaten am meisten?

Reiter: Auf die wissenschaftliche Arbeit an Bord. Es ist schon faszinierend, als Ingenieur in all diesen Forschungsbereichen - in der Biologie, in der Medizin, in der Physik - an vorderster Front zu arbeiten. Außerdem reizt es mich ganz besonders, wieder einen Außenbordeinsatz machen zu dürfen.

SZ: Was ist schön daran, sechs Stunden lang in einem unbequemen Raumanzug im Weltraum zu schuften?

Reiter: Wer lange Zeit in einer Raumstation arbeitet, ist natürlich froh, wenn er auch mal vor die Tür darf (lacht). Denn näher kann man dem Weltall nicht sein. Man arbeitet am Äußeren der Station, bewegt sich mit 28000 Stundenkilometern und hat einen Blick, der sich durch ein Fenster nie bietet.

SZ: Aber ein Spaziergang ist solch ein Einsatz doch trotzdem nicht?

Reiter: Nein, da draußen ist jede Minute verplant. Insofern hat man auch so gut wie keine Zeit, um zu sagen: Wow, das lasse ich jetzt mal auf mich wirken.

SZ: Kann man den Außeneinsatz gar nicht genießen?

Reiter: Es gibt sicherlich immer mal kurze Momente, in denen man verschnaufen und alles auf sich wirken lassen kann. Aber das sind nur Sekunden, zu wenig zum Genießen. Deshalb versuchen Astronauten, diese Eindrücke in sich aufzunehmen, abzuspeichern und dann - wenn sie etwas Ruhe und Muße in der Station haben - zu verarbeiten.

SZ: Was werden Sie für die sechs Monate im All alles einpacken?

Reiter: Es sind nicht viele Dinge, die man mitnehmen kann. Da wir dort oben Computer haben, werde ich natürlich einige Bilder und meine Lieblingsmusik in digitaler Form dabei haben. Außerdem haben meine Frau und meine Kinder ein kleines Überraschungspaket zusammengestellt. Das dort oben auszupacken, darauf freue ich mich schon ganz besonders.

SZ: Auf der Mir haben sie öfter Gitarre gespielt. Kommt das Instrument auch dieses Mal wieder mit?

Reiter: Es ist bereits eine Gitarre oben. Und soweit ich weiß, gibt es sogar Ersatzsaiten, sodass ich dieses Mal nicht mehrere Sätze Saiten mit hochnehmen muss.

SZ: Sie haben sich da schon mal vergewissert?

Reiter: Ja, noch sind die Saiten wohl irgendwo auf der ISS verstaut. Aber mein amerikanischer Kollege hat mir versichert, dass er das Paket bereits lokalisiert hat. In der wenigen Freizeit, die man da oben hat, ist es etwas ganz Besonders, sich eine halbe Stunde vor ein Fenster zu begeben und Gitarre zu spielen.

SZ: Mit welchen Stücken werden Sie Ihre Kollegen unterhalten?

Reiter: Ich bin blutiger Amateur, ich spiele ein bisschen Blues, etwas Pink Floyd, so in der Richtung. Aber ich habe kein großes Repertoire und kann ganz sicher keine konzertreifen Liedchen spielen. Stattdessen klimpere ich zur Entspannung viel lieber ein paar Akkorde vor mich hin.

SZ: Für so etwas ist dann doch Zeit?

Reiter: Klar. Der Tagesablauf dort oben ähnelt den Arbeitszeiten auf der Erde: Unter der Woche geht der Arbeitstag abends gegen neun oder zehn Uhr zu Ende, dann hat man noch eine oder anderthalb Stunden für sich. Und am Wochenende ist das Arbeitsprogramm etwas reduziert, sodass am Samstag oder Sonntag auch mal ein paar Stunden Freizeit drin sind.

SZ: Wenn Sie an Ihren Flug zur Mir zurückdenken: Was wird dieses Mal anders sein?

Reiter: Auf der ISS soll es eine größere Auswahl an Mahlzeiten geben.

SZ: Und abseits des Speiseplans?

Reiter: Die Technik, die hinter den Wänden der Station verbaut ist, ist wesentlich moderner als seinerzeit auf der Mir. Das betrifft hauptsächlich die Datenverarbeitung und die Kommunikation. So haben wir jetzt fast permanent Kontakt zu den Kontrollzentren in Houston und Moskau.

SZ: Das heißt, Sie können problemlos nach Hause telefonieren?

Reiter: Genau, auf der Mir hatten wir nur alle zwei Wochen Gelegenheit zu einer Videokonferenz. Dazu mussten die Familien aber ins Kontrollzentrum nach Moskau kommen. Von der ISS aus kann man Freunde und Familie direkt anrufen - sogar über ein Videotelefon. Nur angerufen werden kann man da oben nicht. Aber das hat auch seine Vorteile.

SZ: Wie schnell gewöhnt sich der Mensch an die Schwerelosigkeit?

Reiter: Der Körper passt sich bereits nach einigen Tagen an, dann kann man auch entsprechend effizient arbeiten. Aber der Umgang mit Werkzeugen, zum Beispiel mit Schraubenziehern und Schrauben, ist ohne die vertraute Gravitation schon gewöhnungsbedürftig.

SZ: Nervt das nicht ungemein, wenn dauernd irgendwelche Kleinteile davonschweben?

Reiter: Nein, das Arbeiten ist sogar sehr angenehm, genauso wie das Leben dort oben. Ich hatte auf der Mir keine Sekunde Langeweile, auch nicht nach sechs Monaten. Schließlich kann man bis zum letzten Moment den wunderschönen Ausblick auf die Erde und den Sternenhimmel genießen.

SZ: Und dann?

Reiter: Nach der Rückkehr zur Erde zahlt man erst einmal einen hohen Preis dafür. Der Körper, vor allem das Gleichgewichtssystem, braucht seine Zeit, um sich wieder an die Schwerkraft zu gewöhnen. Die ersten Stunden sind deshalb nicht ganz so lustig, aber nach einer Woche merkt man von diesen Effekten nichts mehr. Dann muss man nur noch daran arbeiten, die körperliche Leistungsfähigkeit wieder auf den Stand vor der Mission zu bringen.

SZ: Warum brauchen wir überhaupt die bemannte Raumfahrt?

Reiter: Es gibt eine Menge Forschungsgebiete, in denen die Präsenz des Menschen im Weltall erforderlich ist. Da ist natürlich die Humanmedizin, bei der der Mensch selbst zum Gegenstand der Forschung wird. Aber da sind auch all die Experimente, auf deren Ergebnisse man unmittelbar reagieren und Versuchsparameter ändern muss.

SZ: Geht das nicht auch mittels Fernsteuerung oder mit Robotern?

Reiter: Ja, aber nur zu einem bestimmten Prozentsatz. Bei jeder Mission kann es zu unvorhersehbaren Situationen kommen. Dann sind Menschen gefragt. Nur wir können flexibel auf solche Ereignisse reagieren, wir können intuitiv Probleme lösen, wir können improvisieren und Werkzeuge anders als ursprünglich geplant einsetzen. Das ist unheimlich wichtig, zumal auf der ISS nicht nur wissenschaftliche Forschung betrieben wird.

SZ: Sondern?

Reiter: Auf der Raumstation soll auch die Basis für Technologien und Verfahren gelegt werden, die letztlich für komplexere bemannte Missionen notwendig sind - zum Mond und auch zum Mars.

SZ: Gerade auf dem Mars leisten Sonden und Rover seit Jahren erstklassige Arbeit.

Reiter: Schon, aber es liegt einfach in der menschlichen Natur, neugierig zu sein und Dinge zu erkunden, die man noch nicht kennt. So wie Wissenschaftler in abstrakter Weise Antworten auf Fragen suchen, möchten andere Menschen aus erster Hand erfahren, wie es an unbekannten Orten aussieht und welche Möglichkeiten sich dort bieten.

SZ: Würden Sie gerne zum Mars fliegen?

Reiter: Auf jeden Fall, aber ich werde das wohl bestenfalls vom Fernsehsessel aus verfolgen können. Die Vorstellung allerdings, mit eigenen Füßen auf einem fremden Himmelskörper zu stehen, fasziniert mich ungemein.

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