Insektenforschung:Der König der Ameisen

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Sie sind brutale Räuber, Ausbeuter, Imperialisten - und Arbeiter bis zur Selbstaufopferung: Ein Besuch bei einem Vortrag des Insektenforschers Bert Hölldobler.

Patrick Illinger

So wie er dasteht, mit vollem Haar, stattlichem Bart und einem von der Sonne verwöhnten Gesicht, ist sofort klar: Bert Hölldobler ist ein Naturmensch. Weltumsegler sehen manchmal so aus, auch Bergsteiger.

Eine Ameise melkt in einem Garten in Hannover die an einer Magarite sitzenden Blattläuse. (Foto: Foto: ddp)

Bei Hölldobler kommt noch eine cowboyhafte Gürtelschnalle hinzu, ein glänzender Silberstern mit indianischen Verzierungen, wie es sie im Südwesten Amerikas gibt, etwa im Apachenland von Arizona.

Das ist auch der Ort, an dem der 70-jährige Hölldobler unermüdlich seine weltweit beachtete Forschung über Ameisen betreibt, seit das deutsche Beamtenrecht ihn von seinem Lehrstuhl in Würzburg verbannt hat.

Bilder statt Powerpoint

In der Münchner Karl Friedrich von Siemens-Stiftung führte Hölldobler am Donnerstag einen gefüllten Hörsaal in seine Welt. Jene Zuhörer, die Hölldoblers Arbeit kannten, durften erleben, wie ein wissenschaftlicher Vortrag wirkt, wenn ein Forscher erzählen kann, und Bilder zeigt statt Powerpoint. Und für die Neulinge tat sich binnen 90 Minuten ein gewaltiger, neuer Kosmos auf: Die wundersame Welt der Ameisen.

Bis zur Selbstaufopferung und mit ausgefeilten Kommunikationsmethoden arbeiten die Insekten für den Fortbestand ihrer Kolonie. Zugleich sind sie brutale Räuber, Ausbeuter und Imperialisten. Das Leben der Ameisen basiert auf einer bis heute unterschätzten Fähigkeit zu kommunizieren. Je besser das funktioniert, desto reibungsloser funktioniert die Gemeinschaft, mehr Nahrung kommt rein, die Evolution sagt Danke.

Ackerbau der Ameisen

Da sind zum Beispiel die Blattschneider-Ameisen. Sie zerlegen große Blätter in tragbare Stücke und transportieren sie in ihren riesigen Bau. Dort vermodert das Grünzeug zu Humus, auf dem wiederum Pilze wachsen, von denen sich die Ameisen ernähren.

Diese Form des Ackerbaus betreiben die Ameisen seit etwa 50 Millionen Jahren. Hölldobler ließ einst einen Bau dieser Tiere mit Zement ausgießen und aufgraben, wodurch die unfassbare Zahl der verwinkelten Gänge und Kammern sichtbar wurde. Auf einer Bodenfläche von 50 Quadratmetern erstreckte sich die Ameisen-Metropolis acht Meter tief ins Erdreich.

Für ihre Beutezüge wandern die Ameisen Hunderte Meter weit. Über komplexe Pheromonspuren am Boden, aber auch wenn sie beim Blätterschneiden ein hochfrequentes Zittern in der Pflanze verbreiten, werden Artgenossen über die Qualität der Blätter informiert. Während die Beute nach Hause getragen wird, sitzen kleinere Vertreter des Stammes oben auf den Blattstücken, um Fliegen abzuwehren, die versuchen ihre Larven in die größeren Blattschneider-Ameisen zu injizieren.

Keimzellen: 20 jahre im Bauch

Ein Rätsel ist die Königin dieser Spezies, ein gewaltiges Insekt, das am Anfang ihres Daseins von den Männchen mit 300 Millionen Spermien vollgepumpt wird. Bis heute ist ungeklärt, wie die Keimzellen bis zu 20 Jahre lang unbeschädigt im Bauch der Königin verweilen und den Nachwuchs der Kolonie sichern können.

In seiner Wahlheimat Arizona hat Hölldobler vor einigen Jahren begonnen, ein neues faszinierendes Phänomen zu erforschen, eine Art Kampf der Kulturen zwischen Honig-Ameisen. Diese wohnen im trockenen Boden von Arizona und leben von einer Art Honig, den sie herstellen und in ausgewählte Mitbewohnerinnen stopfen, bis diese wie Säcke aufgebläht sind.

Die anderen Tiere vollziehen derweil außerhalb des Baus einen ewig währenden Machtkampf mit Vertretern der umliegenden Kolonien. Dabei marschieren die Völker wie zu einem Turnier mit extremer Regelmäßigkeit morgens zum Kräftemessen mit der gegnerischen Kolonie auf. Nur selten kommt es zum Kampf. Die Ameisen taxieren mit Imponiergehabe, bei dem sie sich maximal aufrichten, die Zahl und Stärke der Gegner.

Wir alle sind Ameisen!

Bei einigermaßen ausgeglichenen Verhältnissen kommt es nicht zur Gewalt, und beide Seiten verziehen sich bei Dämmerung bis zum kommenden Morgen wieder in ihren Bau. Stellt eine Kolonie jedoch erkennbar die Minderheit auf dem Platz, kennt das stärkere Volk plötzlich keine Gnade: Der feindliche Bau wird erobert, die Königin getötet, die Honigtöpfe werden geräubert und die gegnerischen Larven zu Sklaven herangezogen.

"Denken Sie an den Kalten Krieg", sagt Hölldobler, "was wurden damals Gefechtsköpfe und Raketen vorgezählt, alles nur, um nicht anzugreifen." Und am Ende seines Vortrags drängt sich unweigerlich die Frage auf: Sind wir am Ende alle nur Ameisen?

© SZ vom 16.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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