Hirnforschung:Außen hart und innen ganz weich

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Die Gehirne von Männern sind weniger fest als die von Frauen. Und im Alter wird das Denkorgan immer weicher.

E. M. Marquart

Gelee- oder teigartig soll es sich anfühlen. Andere vergleichen die Konsistenz des Gehirns mit der von weichgekochten Eiern. Um dieses fragile Organ zu schützen, wird es von festen Schädelknochen umgeben.

Die elastischen Eigenschaften des Gehirns geben Aufschluss über mögliche Tumore oder das Absterben von Zellen. (Foto: Foto: dpa)

Für Ärzte hat das den Nachteil, dass sie nur mit Mühe und einigem technischen Aufwand erkennen können, wie es um das Gehirn bestellt ist. Abtastuntersuchungen zum Beispiel, wie sie bei anderen Organen üblich sind, um Verhärtungen des Gewebes zu erkennen, sind durch die Schädelknochen bis jetzt nicht möglich gewesen.

Physiker von der Berliner Charité können Gehirne nun jedoch mit Hilfe von akustischen Wellen abtasten, wenn sie Menschen in einen Kernspintomographen schieben. Mittels Magnetresonanz-Elastographie messen Ingolf Sack vom Institut für Radiologie und Jürgen Braun von der Medizinischen Informatik dann, wie sich das Gewebe dabei verformt und wieder seine ursprüngliche Form annimmt, also wie elastisch es ist.

Bei Erkrankungen des Gehirns kann sich die normale Struktur durch einwachsende Tumore oder durch das Absterben von Zellen verändern. Dann ändern sich auch die elastischen Eigenschaften. Das Ziel der Elastographie-Forschung am Gehirn ist es daher, Tumore und fortschreitende Veränderungen des Gehirns etwa bei Multipler Sklerose oder bei Alzheimer besser verfolgen zu können.

Nach Tests an schwabbeligen Agarose-Gelen, an Fleisch und an den eigenen Gehirnen haben sich Sack und sein Team nun an die Gehirne gesunder Freiwilliger gewagt. Ihre Ergebnisse belegen: Das Gehirn des Menschen wird mit dem Alter immer weicher und flüssiger ( Neuroimage, online).

Das elastischste Gehirn hatte die mit 18 Jahren jüngste Teilnehmerin, das Gehirn der ältesten, 88-jährigen Frau war hingegen fast nur noch halb so elastisch. Fassten die Forscher die Ergebnisse aller 55 Versuchsteilnehmer zusammen, nahm die Steifheit des Gehirns kontinuierlich um 0,8 Prozent pro Jahr ab.

Vibrationen im Schädel

Doch nicht nur das Alter scheint das Gehirn zu erweichen. Auch das Geschlecht hat offenbar einen Einfluss auf dessen Konsistenz: Gehirne von Frauen waren im Durchschnitt um neun Prozent härter als die von Männern.

"In Bezug auf die Gehirn-Elastizität wären die Frauen damit um mehr als ein Jahrzehnt jünger als die Männer", so Sack. Mit der Interpretation der Ergebnisse ist der Physiker vorsichtig. Die Erweichung des Gehirns könnte mit dem Absterben von Hirnzellen im Laufe des Lebens zusammenhängen. So ist aus neurowissenschaftlichen Studien bekannt, dass das Volumen des Gehirns mit dem Alter abnimmt.

Die Aussage, dass Männer weichere Gehirne hätten, findet Michael Czisch, Leiter der Arbeitsgruppe Neuroimaging am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, etwas gewagt. Männer- und Frauenhirne unterschieden sich in ihrer Größe und in ihrem Aufbau, gibt Czisch zu bedenken. Das könne zu unterschiedlichen Messergebnissen führen. Er sieht in der Methode jedoch großes Potential, um auch krankhafte Veränderungen des Gehirns zu analysieren.

Für die Probanden dauert die Prozedur in Sacks Labor nur zehn Minuten. "Die Elastographie funktioniert ohne Strahlung", betont Sack. Das Gehirn werde mit akustischen Wellen in Vibration versetzt: "Man spürt eine halbe Sekunde lang eine Vibration ähnlich wie beim Fahrradfahren auf Kopfsteinpflaster." Danach ist für drei Sekunden Pause, bevor die nächste Vibration beginnt, insgesamt 32-mal hintereinander. So werden 32 Gehirnschichten gemessen, aus deren Ergebnissen die Physiker eine Karte der Elastizität erstellen.

Die Methode sei ein nützliches Hilfsmittel, sagt Michael Bendszus von der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg. Damit könne untersucht werden, wie sich Krebs ausdehnt und wie das Gewebe bei Multipler Sklerose vernarbt. Weitere Studien seien allerdings nötig, um das Prinzip auch zur Diagnose von Krankheiten einsetzen zu können.

Das Team um Sack hat schon begonnen, die Gehirne von Multiple-Sklerose-Patienten mit Magnetresonanz-Elastographie abzutasten. Die ersten vorläufigen Ergebnisse, die Sack letztes Jahr auf der Konferenz der Gesellschaft für Magnetresonanz in der Medizin in Toronto vorstellte, deuten auf eine frühzeitige Erweichung der Gehirne hin. "Bei den 30- bis 40-jährigen Patienten war die Erweichung schon so weit fortgeschritten wie bei gesunden 60-Jährigen", so Sack.

© SZ vom 17.03.2009/cpah - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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