Herbstlaub:Wie rot sind deine Blätter?

Fast alles können Naturforscher erklären, diese Allerweltsfrage aber bleibt ein Mysterium: Warum leuchten Laubbäume im Herbst gelblich, rot und violett? Nur neun kluge Theorien haben Botaniker bis heute anzubieten. Von Richard Friebe

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Fast alles können Naturforscher erklären, diese Allerweltsfrage aber bleibt ein Mysterium: Warum leuchten Laubbäume im Herbst gelblich, rot und violett? Nur neun kluge Theorien haben Botaniker bis heute anzubieten.Man könnte es das Herbstlaubrätsel nennen. Denn obwohl Botaniker seit Jahrhunderten überlegen, warum im Herbst das Laub bunt wird, konnten sie trotz modernster Technik diese Frage bis heute nicht endgültig klären. Da in der Natur aber fast alles einen Sinn hat, dürfte die Farbenpracht kein Zufall sein. Wir haben so ziemlich alle Experten weltweit gebeten zu erzählen, wie sie sich denn all die bunten Blätter erklären. Alle Texte von Richard Friebe (Foto: ddp)

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1. Müll Die klassische Antwort lautet: Herbstblätter sind Abfall. Sie sei "zum Teil sogar korrekt", sagt Linda Chalker-Scott von der Washington State University. Gelbe und orangefarbene Karotinoide sind den ganzen Sommer über schon als Teil des Photosyntheseapparats im Blatt.Sie werden erst im Herbst sichtbar, nachdem der Abbau des grünen Blattfarbstoffs Chlorophyll begonnen hat. Karotinoide bestehen nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Mit ihnen muss die Pflanze nicht sparen. Im Gegensatz dazu setzt der Baum einiges daran, den Stickstoff des Chlorophylls zu retten und über den Winter im Holz einzulagern. Das Chlorophyll wird also abgebaut, zerlegt, und seine knappen Nährstoffe werden zum Recycling im nächsten Frühjahr verstaut. Die Karotinoide, mit denen nicht gehaushaltet werden muss, bleiben im Blatt und fallen mit ihm zu Boden.(Foto: ddp)

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2. Zierrat Zur Abfalltheorie passt leider eine Farbe in der Herbstpalette überhaupt nicht. Rot wird nämlich erst produziert, wenn die Tage bereits kurz und die Nächte kalt sind. Schon im 19. Jahrhundert hatten Botaniker darüber spekuliert, ob die roten Farbstoffe Blätter vor den Folgen intensiver Sonnenstrahlung schützten.Ein genauer Blick durchs Mikroskop zeigte aber, dass viel von diesen Anthocyane genannten Pigmenten in Hohlräumen der Pflanzenzellen, den Vakuolen, eingelagert war. Danach einigte man sich doch wieder darauf, dass auch die Anthocyane zu nichts nutze waren, bestenfalls Zierrat. Denn Vakuolen gelten als Müllbehälter der Pflanzenzelle. "Daher sah man die Rottöne des Herbsts als Extravaganz der Pflanzen ohne lebenswichtige Funktion", sagt Kevin Gould von der University of Otago in Neuseeland.(Foto: Pixelio)

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3. Sonnenschutz Mitte der Siebzigerjahre erinnerten sich ein paar Pflanzenphysiologen dann doch wieder daran, dass der Extravaganz- Gedanke keine so gute Erklärung für ein biologisches Phänomen ist. Einer davon war David Lee.Sein Aha-Erlebnis kam ihm paradoxerweise nicht in seiner an Herbstfarben reichen Heimat im Nordwesten der USA, sondern in den Tropen. Nachdem er einen Job in Kuala Lumpur angenommen hatte, fiel ihm auf, dass die Indische Mandel grellrot wird, bevor sie ihre Blätter abwirft. Lee, der derzeit an der Florida International University arbeitet, grub die Vermutung wieder aus, dass Pigmente die Blätter vor zu viel Sonnenlicht schützen. Zusammen mit Kevin Gould in Neuseeland begann er Versuche sowohl mit tropischen Pflanzen als auch mit solchen aus gemäßigten Klimazonen.Dabei zeigte sich tatsächlich, dass rote Blätter deutlich besser mit hellen Lichtblitzen zurechtkamen. Sie konnten weiter Photosynthese betreiben und gleichzeitig effektiv Nährstoffe ins Holz zurückverlagern. Grüne Blätter dagegen hielten den Lichtstress kaum aus. Dass die roten Farbstoffe die Photosynthesemaschinen scheinbar gar nicht schützen können, weil sie hauptsächlich in den Vakuolen sitzen, habe sich auch als falsch erwiesen, sagt Lee: "In den Blättern sehen wir ziemlich komplexe Muster der Lichtstreuung, und da sind Anthocyane in den Vakuolen überraschend effektiv als Lichtfänger".(Foto: Pixelio)

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4. Altersversorgung Warum haben Bäume dann nicht auch im Sommer rote Blätter, wenn das Licht intensiver ist als im Herbst? Wenn im Herbst in den Blattzellen bereits die Saison des Dekonstruktivismus begonnen hat, funktioniert die biochemische Maschinerie zwar noch, wird aber immer empfindlicher. "Das ist besonders gravierend, wenn klare, helle Herbsttage mit kalten Temperaturen einhergehen", sagt David Lee. Einerseits sinkt wegen der Kälte die Aktivität wichtiger Enzyme. Und während die frühen Komponenten des Lichtfangs auch im Herbstblatt noch gut funktionieren, sind spätere Verarbeitungsschritte, in denen die Energie letztendlich als Zucker gespeichert wird, bereits ziemlich angegriffen.Hinzu kommt, dass Bäume bei Kälte weniger Wasser aufnehmen können, sagt Steve Oberbauer von der Florida International University in Miami. "Deshalb müssen sie die Spaltöffnungen in ihren Blättern schließen, um nicht zu viel Wasser durch sie zu verdunsten. Dadurch wird aber auch verhindert, dass CO2 in die Blätter hineinkommt, das die umgewandelte Lichtenergie aufnehmen könnte." Die Folge ist insgesamt ein Energiestau, das System überhitzt gleichsam und zerstört sich selbst. "Das ist wie bei einer Zimmerpflanze, die man plötzlich in die pralle Mittagssonne stellt. Sie kann das viele Licht nicht aushalten und wird stark geschädigt", sagt Oberbauer.(Foto: Pixelio)

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5. Recycling Die Pflanze setzt sich im Herbst selbst auf eine lichtreduzierte Diät, weil zu viel Licht für sie ungesund ist. "Rote Farbstoffe mitten im Sommer wären schlecht, weil sie Licht abfangen würden, das für die Photosynthese gebraucht wird. Aber im Herbst ist das Hauptziel, den wertvollen Stickstoff zurückzugewinnen, bevor die Blätter abfallen. Experimente haben gezeigt, dass das mit roten Blättern besonders effektiv funktioniert", sagt Michele Holbrook von der Harvard-Universität.So lässt sich auch erklären, warum ein sonniger Herbst mit kalten Nächten vonseiten der Bäume viel farbenfroher ist als ein grauer. Sie bilden nur dann viel Rot, wenn die Licht- und Temperaturverhältnisse es von ihnen verlangen. In einer Studie von William Hoch von der University of Wisconsin kamen die Bäume, die am meisten rotes Laub bildeten, dann auch durchweg aus Gegenden, in denen der Herbst häufig sehr kalt ist. Das Herbstblatt ist ein Bioreaktor in einer empfindlichen Balance. Das Rot hilft, diese zu halten.(Foto: Pixelio)

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6. Frostschutz Die vorwinterlich tiefen Temperaturen führten Linda Chalker-Scott von der Washington State University auf noch eine andere Spur. Anthocyane sind wasserlöslich - im Gegensatz zu den für die gelben Blätter zuständigen Karotinoiden. Ähnlich wie Salz, das auf winterliche Straßen gestreut wird, senkt jeder in Wasser gelöste Stoff den Gefrierpunkt. "Der Herbst ist eine physiologisch gefährliche Zeit, in der die Temperaturen nachts unter den Gefrierpunkt sinken können. Wenn die Blätter frühzeitig Frostschäden abbekommen, wäre es mit der Rückgewinnung von Stickstoff und anderen Nährstoffen vorbei und sie würden mitsamt der fallenden Blätter verloren gehen", sagt die Pflanzenphysiologin.Der Effekt der gelösten Pigmente könnte auch erklären, warum etwa die Indische Mandel rot wird. Sie hat zwar weniger mit Frost zu kämpfen, dafür aber mit Trockenheit. Je mehr Stoffe im Pflanzensaft gelöst sind, je dickflüssiger dieser also ist, desto weniger Flüssigkeit verliert die Pflanze auch durch Verdunstung.(Foto: dpa)

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7. Radikal-Fänger Eine andere Theorie hat Kevin Gould aus Neuseeland entwickelt, der schon am Nachweis des Lichtschutzes maßgeblich beteiligt war. Sie beruht darauf, dass rote Farbstoffe als Antioxidanzien wirken. Sie kommen in großen Mengen zum Beispiel in Blaubeeren vor und sind der Grund, warum die dunklen Früchte als besonders gesund gelten. In Blättern könnten sie ebenfalls sogenannte freie Radikale abfangen, die sonst Membranen, Erbmaterial und Proteine angriffen.Es wäre zusätzlich zum direkten Abfangen von Licht eine weitere Schutzfunktion, sagt Gould: "Freie Radikale können die Prozesse des Stickstoff- Recyclings stören. Wenn ein Baum also Anthocyane hat, kann er diese Nährstoffe besser zurückgewinnen." Ist das nachgewiesen? "Überhaupt nicht", sagt Goulds Freund und Kooperationspartner David Lee. "Das Problem ist, dass die Anthocyane in den Vakuolen sind, die meisten freien Radikale aber in den Chloroplasten, also räumlich getrennt. Wir haben gerade erst begonnen, die Details dieses Mechanismus zu untersuchen."(Foto: Pixelio)

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8. Abwehrsignal Rote Blätter könnten noch ganz andere Funktionen haben. Zum Beispiel scheinen Schädlinge aus dem Reich der Pilze sie nicht zu mögen. Anthocyane dienen also vielleicht als Pilzabwehr. Weil Insekten die Farbe Rot oft nicht so gut sehen können, ist auch über eine Tarnfunktion spekuliert worden. "Eine ganz andere Hypothese ist, dass rote Blätter als Warnsignal für Pflanzenfresser dienen", sagt Kevin Gould. Die Idee kommt von einem der wichtigsten Biologen des 20. Jahrhunderts, William Hamilton. Er sah in der Blattfärbung ein Ergebnis der Koevolution zwischen Pflanzen und ihren Fressfeinden, Blattläusen vor allem.Da Bäume das Rot im Herbst extra machen und dafür Energie und Ressourcen aufwenden, bedeutet intensive Färbung laut Hamilton eine klare, ehrliche Ansage an Fressfeinde: Seht her, ich kann es mir leisten, ganz rot zu werden, ich bin also gesund und fit, und wenn ihr von mir fressen wollt, werde ich mich zu wehren wissen! Hamilton übertrug damit seine eigene Erklärung für den auffälligen Schmuck vieler männlicher Tiere, die damit Weibchen ihre Fitness signalisieren, auf die Kommunikation zwischen Bäumen und Läusen.Zwei seiner Schüler, Marco Archetti und Sam Brown, publizierten Hamiltons Hypothese nach dessen Malaria-Tod 2001. Brown lieferte noch zusätzliche Daten. Die zeigten, dass Baumarten, die besonders rot werden, auch mit besonders spezialisierten Blattlausarten zu kämpfen haben, und stützten so Hamiltons Signalhypothese.(Foto: Pixelio)

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9. Multifunktion David Wilkinson von der Liverpool John Moores University hält die Signaltheorie Hamiltons schlicht für "falsch". Er sagt aber, sie sei "sehr wichtig gewesen, weil sie Evolutionsbiologen dazu angeregt hat, neu über die herbstlichen Blattfarben nachzudenken".Martin Schaefer ist ein solcher Evolutionsbiologe. Er arbeitet an der Universität in Freiburg und hat eine Alternativerklärung. Sie heißt "Defense Indication" und besagt, dass die Rotfärbung primär zum Zweck des Lichtschutzes entstanden ist und nicht durch Koevolution zwischen Pflanze und Blattlaus. Sie beinhaltet aber auch, dass Fressschädlinge das Rot inzwischen durchaus als Signal nutzen könnten und deshalb tatsächlich weniger auffällig gefärbte Bäume bevorzugen.Schaefer sieht hinter der Rotfärbung von Blättern eine Kombination verschiedenster Funktionen: Lichtschutz, Radikalfang, Frostresistenz, Abwehrsignale an Insekten und vieles mehr könne eine Rolle spielen - je nach Art und Standort dominiere möglicherweise mehr der eine oder der andere Mechanismus.(Foto: Pixelio)

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Viele Fragen bleiben also. Etwa die, warum manche Pflanzen auch im Frühjahr ihre Blätter rot färben, die dann später erst grün werden. Der beliebteste Erklärungssansatz hierfür ist, dass auch junge Blätter besonders empfindlich sind oder ihre Spaltöffnungen noch nicht genug CO2 aufnehmen können. Deshalb müssten dann auch sie vor Licht und freien Radikalen geschützt werden.Fragt sich nur, warum dann nicht alle Pflanzen, die im Frühjahr oder Herbst solchem Temperatur- und Lichtstress ausgesetzt sind, rot werden. Ein anderes Mysterium ist, warum zwei scheinbar vergleichbare Bäume derselben Art am selben Standort sich oft immens in ihrer Herbstfärbung unterscheiden.David Lee, der von all seinen Kollegen als Experte Nummer eins weltweit auf diesem Gebiet genannt wird, sagt da nur lakonisch: "Darüber wissen wir nicht viel." Eine Signalfunktion, sagt Linda Chalker- Scott, haben Herbstblätter aber auf jeden Fall: "Für Menschen, die ja eine sehr visuelle Spezies sind, können sie sowohl ästhetisch attraktiv als auch ein nützlicher Hinweis darauf sein, dass der Winter bevorsteht."(Foto: dpa, SZ-Wissen 18/2007)

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