Häusliche Gewalt:Blaue, grüne und gelbe Flecken

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Woran Ärzte erkennen können, ob eine Patientin geschlagen wurde oder tatsächlich nur von der Treppe gestürzt ist.

Christina Berndt

Begleiter, die das Wort ergreifen, sind immer verdächtig. "Meine Frau ist im Badezimmer ausgerutscht", sagt einer. "Sie ist von der Treppe gefallen", sagt ein anderer.

Ein blaues Auge sollte misstrauisch machen. (Foto: Foto: iStockphoto)

Wenn ein Mann seine verletzte Frau zum Arzt begleitet und das Gespräch an sich reißt, sollte der Arzt die Wunden besonders kritisch untersuchen, fordern Experten für häusliche Gewalt.

Allerdings haben es Ärzte bei der Suche nach den Verletzungsursachen oft nicht leicht. Selbst wenn sie die Frau unter einem Vorwand ("Wir müssen noch röntgen") ins Nebenzimmer locken, hören sie oft die gleiche Erklärung für Brüche, blaue Flecken und Schürfwunden, wie sie zuvor der Mann gab.

"Die Opfer schämen sich, sie wollen nicht sagen, dass sie misshandelt wurden", sagt der Rechtsmediziner Hans-Dieter Tröger von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Einem geschulten Arzt aber können sie nichts vormachen. Wer Verletzungen aufmerksam untersuche und dokumentiere, erkenne in den meisten Fällen, ob die Erklärung stimmen kann, so Tröger. Mit seiner Erfahrung bestätigt er eine aktuelle Untersuchung aus den USA, die sich genauer mit den Spuren von Gewalt im Gesicht beschäftigt.

Ein Team von der Temple University School of Medicine in Philadelphia kommt nach der Untersuchung von 326 weiblichen Gewaltopfern zu dem Schluss, dass häusliche Gewalt ganz charakteristische Verletzungen verursacht, wie sie durch gewöhnliche Unfälle kaum entstehen ( Archives of Facial Plastic Surgery, Bd.1, S.48, 2009) .

Verdacht nach wiederholten "Missgeschicken"

Zum Beispiel kommt es bei Übergriffen besonders häufig zu komplizierten Brüchen der Wangenknochen und zu Hirnverletzungen. Auch werden oft die Knochen um die Augenhöhle verletzt.

Ärzte können aber nicht nur an der Art der Verletzung Hinweise auf Misshandlung entdecken. Verdächtig ist es auch, wenn ein Opfer beim Erzählen seiner Geschichte den Blickkontakt meidet oder wenn es erst einige Zeit nach dem vermeintlichen Unfall einen Arzt aufgesucht hat.

Schließlich sollten die Alarmglocken immer dann läuten, wenn einem Patienten zum wiederholten Mal ein "Missgeschick" passiert sein will und wenn verschiedene Verletzungen am Körper unterschiedlich alt sind. "Blaue, grüne und gelb verfärbte Hämatome sind ein klarer Hinweis auf wiederholte Gewaltanwendung", sagt Tröger.

Häusliche Gewalt wird immer noch zu selten entdeckt. Dem Bundesfamilienministerium zufolge wird jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens von ihrem Partner misshandelt. Wenn Frauen selbst zur Täterin werden, dann meist als Pflegende: Weil sie mit der Betreuung überfordert sind, schlagen oder quälen sie zum Beispiel ihre alten Eltern.

Große Aufmerksamkeit hat häusliche Gewalt bisher nur in einem Bereich erlangt: beim Thema Kindesmisshandlung. Hier ist die Öffentlichkeit mittlerweile so alarmiert, dass "fast zu viel" gemeldet wird, wie Hans-Dieter Tröger warnt.

Am Hauner'schen Kinderspital der Universität München zum Beispiel hat vor kurzem die neu eingerichtete Kinderschutzgruppe einem Elternpaar die Tochter wegnehmen lassen, weil sie glaubte, einer Kindesmisshandlung auf der Spur zu sein. Dabei hatte sich das Mädchen ein blaues Auge und eine Gehirnerschütterung zugezogen, weil es beim Spielen gegen eine offene Tür gefallen war.

Ein blaues Auge würde allerdings auch Hans-Dieter Tröger misstrauisch machen: "Es gibt Verletzungen, die nur selten durch einen Unfall entstehen", sagt er. "Und das Monokel-Hämatom gehört dazu. Da wurde meist mit der Faust draufgeschlagen."

Klassische Gewaltfolgen sind auch Wunden in Scheitelnähe und die Parierverletzungen an der Kleinfingerseite der Unterarme, die ein Mensch erleidet, wenn er Schläge gegen sein Gesicht abzuwehren versucht. Auch Griffabdrücke an den Oberarmen sind im Allgemeinen ein Zeichen von Gewalt.

"Ohnehin sollten Ärzte immer Verdacht schöpfen, wenn eine Patientin Wunden an der rechten und an der linken Körperseite hat", so Tröger. "Dann muss man sich besonders gut erklären lassen, wie sie angeblich gefallen ist."

Aber auch wenn der Arzt die Misshandlungen erkennt: Bei erwachsenen Opfern ist er letztlich machtlos. "Er muss tolerieren, wenn die Frau bei ihrer Unfall-Version bleibt", sagt Tröger. "Aber er sollte trotzdem sagen, dass er Zweifel an dem Hergang hat, und eine Beratungsstelle empfehlen."

© SZ vom 20.01.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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