Globale Plage:Ratten raus

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Die Nager haben sich mit Hilfe des Menschen global ausgebreitet - vielerorts mit verheerenden ökologischen Folgen. Nun gehen Naturschützer mit drastischen Mitteln gegen die Plage vor.

Daniel Lingenhöhl

Die Insel trägt ihren Namen zu Recht: Millionen Ratten bevölkern Rat Island in der Beringsee vor Alaska. Doch das war nicht immer so.

auf Inseln können Ratten verheerenden Einfluss auf das Ökosysstem. (Foto: Foto: istock)

Erst im Jahr 1780 eroberten die Nager das Eiland, als vor dessen Küste ein Schiff havarierte, und sich die Tiere an Land retteten.

Wo einst Millionen Seevögel ungestört brüteten, herrscht heute beklemmende Ruhe: "Auf einer Insel mit Ratten ist es still, weil es dort so wenige Vögel gibt - im Gegensatz zur Kakophonie auf rattenfreien Inseln", sagt die Biologin Carolyn Kurle von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz.

Sturmtaucher, Alke oder Singvögel können auf den Inseln nicht mehr nisten, weil ihre Eier und Küken von den Ratten gefressen werden.

Eine ökologische Tragödie

Es ist eine ökologische Tragödie, die den Zoologen Ragnar Kinzelbach - Experte für eingeschleppte Tiere an der Universität Rostock - nicht überrascht: "Für die Arten auf den Inseln gehören Ratten zu den schädlichsten Tieren europäischer Herkunft. Daneben sind Schaf und Ziege, Hauskatze, Maus, Schwein und die einschlägig bekannten Kaninchen gefährlich."

Von den Aleuten über die Ägäis bis nach Neuseeland: Die anpassungsfähigen Nager sind frühe Globalisierungsgewinner, und wo Menschen ihren Fuß an Land setzten, folgten ihnen bald die Ratten - stets mit verheerenden Folgen.

"Wo sie auftauchten, dezimierten sie die einheimische Tierwelt und rotteten zahlreiche Pflanzen, Insekten, Reptilien und Vögel im pazifischen Raum aus", beschreibt Steve Cranwell die Situation in der Südsee, wo er zurzeit für die Vogelschutzorganisation Birdlife International Ratten bekämpft.

Der Einfluss der Nager ist im gesamten Ökosystem spürbar, wie das Team von Carolyn Kurle auf den Aleuten vor Alaska festegestellt hat ( PNAS, online).

Die Invasoren verändern sogar die Lebensräume im angrenzenden Meer. Indem sie Möwen oder Austernfischer attackieren, fördern die Nager indirekt die sonst von den Vögeln gefressenen Schnecken und Seepocken, die wiederum verstärkt den Seetang abweiden. Statt Pflanzen dominieren daher heute wirbellose Tiere die Küsten jener Inseln, die von Ratten überrannt wurden.

Mehr als ein Jahrhundert lang konnten Ökologen diesem Treiben nur ohnmächtig zusehen. Im Gegensatz zu Schweinen oder Ziegen ließen sich die Nager nicht mit dem Gewehr jagen und schwer durch Zäune ausgrenzen.

Erst die Entwicklung gezielt wirkender Gifte gab den Naturschützern eine potente Waffe in die Hand, die sie nun auf einfache wie perfide Weise anwenden: "Wir verstreuen im Winter, wenn die Zahl der Nager niedrig ist und sie hungern, ungiftiges Futter als Köder aus.

Derart verführt, fressen sie schließlich auch vergiftete Weizenkörner - mit nur drei Einsätzen bringen wir auch die allerletzte Ratte zur Strecke", sagt Kevin Hackwell von der neuseeländischen Gruppe Forest and Bird, die damit viel Erfahrung hat.

Gift statt Geburtenkontrolle

Eingesetzt werden Gifte auf Cumarin- oder Natriumsalzbasis. Sie haben eine biologische Herkunft, weil Pflanzen die Stoffe einst gegen Fressfeinde entwickelt haben; die Opfer verbluten daran innerlich in kurzer Zeit. Nebenwirkungen gibt es fast nicht, weil auf den Inseln keine schützenswerten einheimischen Säugetiere mehr leben und die Körner für Vögel ungefährlich sind.

Dennoch lehnt Harald Ullmann von der Tierschutzorganisation Peta die Methode ab: "Das Gift führt bei den Ratten und anderen Tieren, die es zufällig fressen, zu extremem Leid und verursacht einen schmerzhaften Tod."

Stattdessen empfiehlt Ullmann Geburtenkontrolle, wie sie bereits erfolgreich in China praktiziert werde. Mit einem auf traditioneller chinesischer Medizin beruhendem Extrakt aus der Dreiflügelfrucht sei es gelungen, die Zahl der Ratten in einem Testgelände in Shanghai um fast 90 Prozent zu verringern.

Hackwell sieht diese Methode kritisch: "Ohne fortgesetzte und entsprechend teure Kontrollen vermehren sich die Nager bald wieder auf ihre ursprüngliche Zahl, und die Bekämpfung müsste von vorne beginnen." Aus diesem Grund versagen auch andere Gegenmittel, wie Fallen.

"Diese sind außerdem grausamer als die schnell wirkenden Gifte", so der Fachmann. Er muss im eigenen Land kaum Kritik fürchten. "Es sind eingeschleppte Plagen: Selbst Tierschützer erkennen an, dass Ratten kein Teil der neuseeländischen Natur sind."

Der Fall von Campbell Island bestätigt die Haltung der Neuseeländer. Über Jahrtausende brüteten auf der Insel im Südpazifik ungestört Millionen Albatrosse und Sturmvögel. Weta genannte Riesenschrecken krabbelten durch die Heide des neuseeländischen Territoriums. Und an den Hängen des alten Vulkans blühten überdimensionale Verwandte europäischer Gänseblümchen und Lilien.

1829 retteten sich Wanderratten von einem Schiff an Land und trafen auf eine völlig unvorbereitete heimische Fauna. Ein Jahrzehnt später waren mehrere Vogelarten ausgestorben oder überlebten nur auf kleinen Felsen rund um Campbell. 2001 gelang es, die 110 Quadratkilometer große Insel im Südpazifik rattenfrei zu machen - bis dahin ein Flächenrekord.

Knapp sieben Jahre später ernten die Naturschützer die Früchte ihrer Anstrengungen: "Viele der Vogelarten erholen sich zügig, und auch die Pflanzen und Insekten kehren zurück", freut sich Hackwell.

Konstante Überwachung notwendig

Neue anspruchsvolle Ziele sind gesteckt. Gegenwärtig ist vor Neuseelands Küste Resolution Island, doppelt so groß wie Campbell, im Visier der Rattenjäger. Sogar auf den beiden Hauptinseln Neuseelands gelingt es, mit Gift und Spezialzäunen umfangreiche Schutzzonen zu schaffen. Konstante Überwachung ist aber nötig, damit Nager aus der Nachbarschaft nicht neu zuwandern.

Seltene Vogelarten wie der Kiwi wurden wieder in diesen "Festlands-Inseln" angesiedelt und können dort überleben - zum Teil zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Und da sich die Technik bewährt hat, wird sie nun weltweit exportiert: 280 Inseln wurden weltweit bereits von Ratten befreit - Rat Island soll in diesem Sommer folgen.

© SZ vom 27.02.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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