Geheimschrift oder Gaunerei:Rätsel um mysteriöses Manuskript gelöst?

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Seit 400 Jahren versuchen Gelehrte, das Geheimnis des Voynich-Manuskripts und seiner unlesbaren Schrift zu entschlüsseln - bislang vergeblich. Ein Physiker liefert nun dafür eine Erklärung.

Von Marcus Anhäuser

Seit Jahrhunderten verzweifeln Gelehrte an dieser Schrift. Niemand hat bislang ergründet, welches geheime Wissen in diesem rätselhaften Buch zusammengetragen wurde. Astronomie, Astrologie, wertvolle botanische Aufzeichnungen?

Rätselhafte Illustrationen verleiteten Kaiser Rudolf III. um 1600 dazu, . . . (Foto: Foto: oh)

Das Buch, das als Voynich-Manuskript bekannt ist, schweigt - seit über 400 Jahren. Nun erhärtet sich der Verdacht, dass Tausende Gelehrte ihre Energie, ihre Zeit und ihr Wissen an das Manuskript verschwendet haben.

Statistische Untersuchungen sprechen für die These, dass dieses mysteriöseste aller Bücher gar kein geheimes Wissen enthält. Statt dessen attestiert der Physiker und Programmierer Andreas Schinner dem Werk ein vernichtendes Urteil.

Die 230 Seiten enthielten nichts als blanken Unsinn, argumentiert der Österreicher in der Fachzeitschrift Cryptologia (Bd. 31, S. 95, 2007). Das Ende des Voynich-Krimis? Nein, denn stimmte die Einschätzung Schinners, dann wäre die Geschichte des Voynich-Manuskripts die eines unfassbaren Gaunerstücks.

Sie beginnt im 16. Jahrhundert. Rudolf II., von 1576 bis 1612 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, bezahlte für das in unscheinbare Pergamentdeckel gehüllte Werk 600 Dukaten. Heute entspräche das 60.000 Euro.

Der Liebhaber von Wissenschaft und Kunst hielt das Werk für ein geheimes Laborbuch des an Wissenschaften interessierten Franziskaners Roger Bacon. Auf diese Fährte könnten ihn die dilettantischen Illustrationen geführt haben:

Diese stellen seltsame Pflanzen, astrologische und astronomische Diagramme und nackte Frauen mit gewölbten Bäuchen dar, die in mit Rohren verbundenen Wannen sitzen.

Die Illustrationen sind so über das Buch verteilt, dass der Eindruck entsteht, es handle sich um sechs Kapitel mit wissenschaftlichen Texten, die Gebiete wie Pharmazie, Botanik oder Astronomie behandeln. Mehr Indizien hatte der Kaiser nicht, der Text ist in handschriftlichen Zeichen verfasst, die bis heute niemand entschlüsselt hat.

1912 spürte der amerikanische Büchersammler Wilfrid Voynich das Buch in der Villa Mondragone im italienischen Frascati auf. Seitdem beißt sich eine Schar von Forschern die Zähne an dem Text aus - meist in ihrer Freizeit.

Das Original befindet sich in der "Beinecke Bibliothek für seltene Bücher und Manuskripte" der Universität Yale. Scans der Seiten sind über das Internet einzusehen. Genauere wissenschaftliche Untersuchungen wie etwa eine Radiokarbondatierung zur Altersbestimmung des Pergaments ließ die Bibliothek bisher nicht zu.

Dass der Text sich kryptologischen Zugängen verweigert, ließ wilde Spekulationen wuchern. Ist das geheimnisvolle Buch ein seltenes Dokument der mittelalterlich christlichen Kathar Bewegung? Andere fabulierten davon, dass sich darin ein Hinweis auf den Stein der Weisen oder gar eine verschlüsselte Botschaft Außerirdischer finde? Wieder andere vermuteten einen unbekannten Code oder eine Geheim-Sprache.

Nichts von alledem, meint auch Computerspezialist Gordon Rugg von der britischen Keele University: "Der mysteriöse Text ist aller Wahrscheinlichkeit nach reiner Unsinn." Hartnäckig hält sich seit den siebziger Jahren die These, Kaiser Rudolf II. und alle späteren Besitzer seien einer Scharlatanerie aufgesessen.

Für diese Hoax-These, die 400 Jahre Entschlüsselungsarbeit ad absurdum führen würde, lieferte Rugg 2004 erstmals handfeste Hinweise. Rugg versuchte nicht, den Text zu entschlüsseln, sondern rekonstruierte den Weg wie der Text entstanden sein könnte: mit einer Verschlüsselungstechnik aus dem 16. Jahrhundert.

Anhand einer mehrspaltigen Buchstaben-Tabelle und einer gitterartigen Schablone erstellte er Texte, die dem Voynich-Manuskript verblüffend ähnelten, aber nichts als Unsinn enthielten. "Damit hätte ein Autor das Buch auf einfache und billige Weise innerhalb von drei bis vier Monaten herstellen können", sagt Rugg, der die "Tabellen-und-Gitter-Methode" Anfang 2004 in der Fachzeitschrift Cryptologia veröffentlichte ( Bd. 28, S. 31, 2004).

Mathematisches Strickmuster

Im selben Blatt präsentiert nun Andreas Schinner Ergebnisse, die seiner und Ruggs Meinung nach die Betrugs-These noch wahrscheinlicher machen. Der freie Softwareprogrammierer und Theoretische Physiker von der Linzer Johannes Kepler Universität verzichtete ebenfalls darauf, das Manuskript zu dechiffrieren. Stattdessen verglich er statistische Eigenschaften der Schrift mit denen bekannter Werke: der Bibel auf Englisch und Deutsch, dem Roman "Alice im Wunderland" und einer chinesischen Bibel auf Mandarin.

"Bei allen Tests weicht das Voynich-Manuskript von den anderen erheblich ab", fasst Schinner seine Untersuchung zusammen. Während etwa in normalen Texten einzelne Textstücke von Silben bis zu Absätzen eher zufällig verteilt sind, stimme dies beim Voynich Text nur bis zur Länge einer Textzeile. "Über diese Länge hinaus beeinflusst das Vorhandensein oder Fehlen eines Stückes dessen weiteres Vorkommen im Text", sagt Schinner - es gibt also ein regelmäßiges Muster. Durch Verschlüsselung verschwänden solche Korrelationen aber eher, als dass sie entstünden.

Auch bei Häufigkeit und Verteilung ähnlicher Wörter gibt es Muster: "Während normale Texte immer gewisse Unregelmäßigkeiten im Kurvenverlauf zeigen, fällt beim Voynich-Text der mathematisch nahezu perfekte Kurvenverlauf auf", sagt Schinner. Besonders auffällig sei, dass ähnliche Wörter im Voynich Text sehr häufig nebeneinander platziert wurden. Menschliche Autoren vermeiden dies sonst so gut es geht.

Für Schinner ein Hinweis, dass die vermeintliche Sprache eher Ergebnis eines stochastischen, konstruierten Verfahrens als menschlicher Kommunikation ist.

"Meine Ergebnisse engen die Interpretationsmöglichkeiten ein", sagt der Physiker. Es sei noch kein Beweis für die Betrugs-Theorie, mache aber andere Möglichkeiten unwahrscheinlicher. Schinners These wäre eine Variante von Gordon Ruggs "Tabellen-und-Gitter-Methode".

"Belege für die Betrugs-Theorie"

Gordon Rugg hält Schinners Arbeit für einen Durchbruch: "Jetzt gibt es qualitative und quantitative Belege für die Betrugs-Theorie, aber keinerlei positive Beweise dafür, dass es sich um einen echten verschlüsselten Text handelt." Es könnte zwar sein, dass sich innerhalb des "ganzen Mülls" Botschaften versteckten, aber auch das sei nach Schinners Analyse unwahrscheinlicher.

Schon Gordon Ruggs Arbeit hatte einige Voynich Fans aufgeben lassen. Im weltweiten E-Mail-Zirkel der Voynich-Gemeinde schrieb ein Teilnehmer: "Verdammt, das bedeutet ja dann wohl, dass der größte Spaß vorbei ist." Nun werde Schinners Arbeit die Geschichte dem Schlusskapitel näher bringen, so Rugg.

Doch es gibt auch Kritiker wie den britischen Softwareprogrammierer und Spieleentwickler Nick Pelling. Der Autor eines Buches über die Geschichte des Voynich-Manuskriptes glaubt nicht, dass Ruggs und Schinners Ansätze zum Ziel führen, sie ließen zu viele andere Aspekte außer Acht: "Ruggs Methode ist sehr interessant, lässt aber viele Fragen unbeantwortet, und Schinner baut nur auf diesem wackligen Fundament auf."

Das Rätsel ließe sich erst lösen, wenn man dem gesamten Buch mit kunstwissenschaftlichen Methoden genauer zu Leibe rückt und nicht mit statistischen Methoden. "Das Buch müsste zum Beispiel einmal mit Spektroskopie Schicht für Schicht entblättert werden, um etwa Originalbereiche von später hinzugefügten Teilen anderer Besitzer zu unterscheiden."

. . . ein Vermögen für das Voynich-Manuskript zu zahlen. Er vermutete darin . . . (Foto: Foto: oh)

"Das Buch stammt bereits aus dem 15. Jahrhundert"

Dann ließe sich auch bestätigen, worauf die Seitenzahlen und die Frisuren der nackten Frauen hindeuteten: "Dass das Buch bereits aus dem 15. Jahrhundert stammt. Einer Zeit, in der es Ruggs Verschlüsselungstechnik noch gar nicht gab", sagt Pelling.

Den Vorwurf, dass das Buch älter sein könnte, als die Verschlüsselungstechnik fand Rugg immer schon reichlich schwach: "Der Autor wollte einfach, dass das Buch so alt aussah", entgegnet er.

Auch wenn das Rätsel nicht endgültig gelöst ist, Gordon Rugg gibt sich selbstbewusst und hält es mit einer unter Wissenschaftlern bekannten Weisheit: Ockhams Rasiermesser, benannt nach dem mittelalterlichen Philosophen Wilhelm von Ockham: Danach ist die einfachste Erklärung meist die beste. "Wenn das stimmt, dann handelt es sich beim Manuskript um eine Gaunerei mit einem sinnlosen Text."

© SZ vom 18.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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