Gefahr durch Gentests:"Fatale Auskünfte"

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Kommerzielle Gentest-Anbieter versprechen, zukünftige Krankheitsrisiken abzuschätzen. Wolfram Henn von der Universität des Saarlandes warnt vor Fehlurteilen.

Hanno Charisius

Wolfram Henn ist Professor für Humangenetik und Ethik in der Medizin an der Universität des Saarlandes. Er hofft, dass die Offerten für private Gentests im Internet bald verboten werden.

"Die technische Durchführung ist durchaus solide." (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Henn, was kann ich erwarten, wenn ich etwas Spucke von mir und 1000 Dollar zu einem der Gentest-Anbieter schicke?

Henn: Sie bekommen eine Auswertung, die vorgibt, zukünftige Krankheitsrisiken abschätzen zu können.

SZ: Die Anbieter werben damit, dass sie die Risiken berechnen können.

Henn: Die Berechnungen finden ohne individuelle medizinische Grundlage statt und können deshalb nicht funktionieren. Es ist zum Beispiel ein völliges Unding, zu sagen, man könne das Risiko für Kehlkopfkrebs berechnen, ohne zu wissen, ob der Mensch raucht oder trinkt. Dabei sind das die Hauptrisikofaktoren.

Und der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass es wichtig ist, ob jemand alt und drei Zentner schwer oder aber ein junger Sportler ist, wenn man sein Herzinfarktrisiko berechnen will.

SZ: Die Methode wird doch auch bei wissenschaftlichen Studien eingesetzt. Sind die dann auch nicht aussagekräftig?

Henn: Die technische Durchführung ist durchaus solide. Das Problem liegt in der Dateninterpretation. Bei den getesteten genetischen Varianten ist der tatsächliche Krankheitsbezug höchst unklar. Die Datenlage aus den Studien ist außerordentlich schwach.

SZ: Beurteilen Sie die Auskünfte über die Herkunft unserer Vorfahren ähnlich?

Henn: Nein, das funktioniert ganz gut, denn es gibt - im Gegensatz zu den medizinischen Merkmalen - durch saubere Studien gesicherte Verknüpfungen zwischen genetischen Varianten und ihrem geographischen Ursprung.

SZ: Wem empfehlen Sie eine genetische Diagnostik?

Henn: Insbesondere Menschen, in deren Verwandtschaft erbliche Krankheiten auftreten wie manche Brustkrebsarten. Bei den Internetangeboten wird methodenbedingt nur eine Variante in einem Gen getestet, das statistisch mit einem geringen Brustkrebsrisiko verknüpft ist.

Die wirklich hohen Brustkrebsrisiken beziehen sich aber auf erbliche Mutationen in zwei bekannten Brustkrebsgenen. Ein Gentest, der die überprüft, kostet mehrere tausend Euro und dauert mehrere Monate.

Es kann passieren, dass eine Frau, die erblich bedingt ein 80-Prozent-Risiko hat, an Brustkrebs zu erkranken, von den Privatanbietern die fatale Auskunft erhält, für sie bestehe keine Gefahr. So wird sie dazu verleitet, die Vorsorgeuntersuchungen nicht in Anspruch zu nehmen. Von den viel häufigeren Falschalarmen ganz abgesehen.

SZ: Man muss also eine konkrete medizinische Frage haben, wenn man eine zuverlässige Auskunft haben möchte?

Henn: Und man muss demjenigen, der die Untersuchung macht, zusätzliche Informationen geben, damit der die Daten interpretieren kann. Wer sich einfach so testen lassen will, hat keine Chance relevante Informationen zu bekommen.

© SZ vom 15.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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