Gefahr aus dem Weltraum:Schüsse aus der Finsternis

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Sind herumirrende Brocken im All eine Gefahr für die Erde? Das Beispiel des Asteroiden Apophis zeigt, wie schlecht die Menschheit auf eine kosmische Kollision vorbereitet ist.

Patrick Illinger

Wer Probleme sucht, der findet sie. Das gilt in der Medizin wie im Weltraum. Wer sein Blut oder das eigene Erbgut genau untersuchen lässt, wird stets ein gewisses Risiko für diese oder jene Krankheit entdecken.

Mit einem Durchmesser von 1380 m ist der Meteor-Krater in Arizona der größte der Welt. (Foto: Foto: dpa)

Und wer tief in den Nachthimmel blickt, wird unweigerlich herumvagabundierende Asteroiden und Kometen entdecken, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eines Tages auch die Erde treffen könnten.

Astrophysiker sprechen daher neuerdings eine Warnung aus, die sonst aus Medizinerkreisen bekannt ist: Früherkennung ist nur sinnvoll, wenn Abhilfe möglich ist.

So wie im Fall einer ärztlichen Diagnose, sollte man rechtzeitig überlegen, wie mit einer schlechten Nachricht umzugehen ist.

Herumirrende Brocken im All - was viele Menschen noch immer als abstraktes, gar hollywoodeskes Problem ansehen, wird in den kommenden Jahren häufiger Diskussionsstoff bieten. Im Auftrag des amerikanischen Kongresses hat die Nasa ein aufwändiges Suchprogramm begonnen.

Bis zum kommenden Jahr sollen 90 Prozent aller erdnahen Himmelskörper gefunden sein, die dicker als 1000 Meter sind. Bis 2020 sollen sogar 90 Prozent aller Objekte größer als 140 Meter aufgespürt sein. Bereits heute sind 3800 erdnahe Himmelskörper bekannt, und täglich werden es mehr.

Knapp unter der Zerreißgrenze

Das Paradebeispiel ist derzeit ein etwa 250 Meter dicker Asteroid, der im Juni 2004 erstmals gesichtet wurde und an den folgenden Weihnachtstagen wieder auftauchte. Am 26. Dezember 2004 wurde die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenstoß mit der Erde im Jahr 2029 mit knapp drei Prozent berechnet - was der Chance entspricht, beim Roulette die richtige Zahl zu setzen.

Dem Asteroiden brachte das den Namen Apophis ein, nach dem Gott der Finsternis aus der ägyptischen Mythologie. Ein weltweiter Aufschrei blieb seinerzeit nur deshalb aus, weil am gleichen Tag der Tsunami in Asien 300 000 Menschen in den Tod riss.

Kurz darauf konnte das Radioteleskop im puertoricanischen Arecibo die Trefferwahrscheinlichkeit von Apophis drastisch senken. Der Brocken wird nach derzeitigem Kenntnisstand am 13. April 2029 in 30 000 Kilometer Abstand an der Erde vorbeirasen, was auf kosmischen Maßstäben eine Haaresbreite ist. Sogar TV-Satelliten sind weiter von der Erde entfernt.

Und das ist womöglich nicht das Ende von Apophis. Im schlimmsten Fall wird der Brocken beim Vorbeiflug durch ein sogenanntes Schlüsselloch im Gravitationsfeld der Erde flutschen und auf eine Bahn geraten, die im Jahr 2036 definitiv die Erde kreuzt.

Dieses Schlüsselloch ist zwar nur 600 Meter breit, und die Wahrscheinlichkeit für eine Kollision im Jahr 2036 liegt derzeit bei weniger als 0,02 Prozent. Doch zeigt Apophis das komplette Spektrum der Problematik: von der mitunter schwierigen Physik der Himmelskörper bis zum menschlichen Umgang mit abstrakten Risiken und Wahrscheinlichkeiten.

Anders als es in Kinofilmen suggeriert wird, ließe sich ein Asteroid nicht so einfach mit einer Rakete zerstören. Die meisten Asteroiden sind locker zusammengepresste Klumpen, die mitunter knapp unter der Zerreißgrenze um sich selbst rotieren. Ein Beschuss könnte Apophis in Einzelteile zerlegen, die später wie eine Maschinengewehrsalve auf der Erde einschlagen.

Zu sehen war ein solches Szenario 1994 als die aufgereihten Bruchstücke des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf Jupiter einschlugen - ein spektakuläres Schauspiel, das für die Erde jedoch tödlich gewesen wäre. "Bevor man einen Asteroiden beschießt, sollte man unbedingt einen Plan B haben", warnt der Nasa-Astronaut Edward Lu.

So sei zum Beispiel ein zweites Raumschiff nötig, um zu sehen, wie sich der Beschuss auswirke, sagte Lu kürzlich während des Jahrestreffens der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft AAAS in San Francisco. "Mit unkontrollierbaren Abwehrmethoden sollten wir zurückhaltend sein", mahnt der Astronaut.

Lu schlägt einen anderen, eleganteren Abwehrplan vor. Seinen Rechnungen zufolge könnte man Himmelskörper aus der Bahn lenken, indem man ihnen einen Begleiter schickt, dessen Schwerkraft den gefährlichen Brocken langsam zur Seite zieht wie ein Schlepper einen Öltanker, nur ohne Taue.

Im Fall von Apophis würde ein Raumschiff mit der Masse von einer Tonne genügen. Auf einer Flugbahn unmittelbar neben dem Asteroiden würde es zwar nur die Zugkraft ausüben, die auf der Erde dem Gewicht einer Teetasse entspricht. Doch über ein Jahr hinweg könnte das genügen, um den Asteroiden auf eine ungefährliche Bahn zu lenken.

Abgesehen davon, dass der Brocken unversehrt und somit berechenbar bliebe, könne man im Fall des Scheiterns immer noch einen Plan B starten, sagt Edward Lu. Die Kosten der Abschleppaktion wären überschaubar: Lu schätzt sie auf 300 Millionen Dollar, was etwa dem Preis einer interplanetaren Raumsonde entspricht.

Asronauten versuchen im Film Deep Impact, einen Meteoriten auf dem Weg zur Erde zu sprengen. (Foto: Foto: AP)

Mit der Kraft einer Teetasse

Der ehemalige Apollo-Astronaut Rusty Schweickart erläuterte in San Francisco noch eine weitere Komponente der Problematik: Neben der Entdeckung und der richtigen Abwehrmethode müsse darüber nachgedacht werden wie die Menschheit zu einer Entscheidung kommt, ob gehandelt werden muss. "Ein Abwehrplan muss womöglich zu einem Zeitpunkt entschieden werden, an dem noch Unsicherheit herrscht", sagt Schweickart.

Doch wo liegt die Reaktionsschwelle der Menschheit? Bei 20 Prozent Trefferwahrscheinlichkeit? Bei einem Prozent? Oder schon bei 0,02 Prozent wie im Fall von Apophis? Im Angesicht der Verwüstungen, die ein 250-Meter-Brocken auslösen würde, ist die Antwort nicht leicht. Apophis würde die Sprengkraft von 1480 Megatonnen TNT freisetzen. Das entspricht etwa 100 000 Hiroshima-Atombomben.

Die Zerstörungen wären gewaltig, aber nicht global. Das für Apophis infrage kommende Einschlaggebiet zieht sich wie ein roter Strich vom mittleren Ural über den Osten Russlands durch den westlichen Pazifik über Mittelamerika hinweg in den Atlantik. Was eine weitere Frage aufwirft: Wer würde über eine Abwehraktion entscheiden, wenn nur ein Teil der Erde betroffen ist?

Auf diese Frage hat Rusty Schweickart eine klare Antwort. Seiner Ansicht nach ist es höchste Zeit, dass sich die UN des Themas annehmen. Das macht die Sache jedoch nicht einfacher: Was ist, wenn eine Region betroffen ist, für die sich die Industrienationen nicht sonderlich interessieren?

Die mathematische Wahrscheinlichkeit für einen Einschlag bleibt bis zur Katastrophe stets weit unter 100 Prozent. Eine sichere Vorhersage ist unmöglich. Wird das die Weltgemeinschaft zum Handeln anregen? Wie lange im Voraus wäre eine Entscheidung zu treffen? Der Asteroid 2004 VD17 beispielsweise kommt der Erde im Jahr 2102 gefährlich nahe, ließe sich aber nur bis zum Jahr 2025 mit einem begleitenden Raumschiff von seiner Bahn ablenken.

"Würden wir eine Mission zugunsten unserer Enkel losschicken?", fragt Rusty Schweickart. Und von welcher Größe an wird entschieden, dass der Einschlag akzeptabel ist? "Dieser Entscheidungsprozess wird in den kommenden Jahren für jeden einzelnen erdnahen Asteroiden zu treffen sein", sagt Schweickart. Manche der künftig entdeckten Himmelskörper werden auf noch komplizierteren Bahnen reisen als Apophis.

Schweickart hat das Thema bereits im UN-Komitee für die friedliche Nutzung des Weltraums platziert. 2009 soll der UN-Vollversammlung ein Vorschlag unterbreitet werden, wie mit Asteroiden umzugehen ist. Der Sozialforscher Paul Slovic von der Universität Oregon rät, das Thema nicht zu unterschätzen: "Wir Menschen sind zu wenig an dem interessiert, was die Natur uns antun kann, und zu viel an dem, was Menschen sich antun", sagt er.

© SZ vom 28.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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