Gefährliche Abgase:Schiffsverkehr fordert 60.000 Tote jährlich

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US-Forscher warnen: Schiffsabgase können zu Atemwegserkrankungen und Lungenkrebs führen. Zudem beeinflussen sie das Klima stärker als angenommen.

Axel Bojanowski

Schiffsabgase lassen offenbar viele Menschen erkranken. Zudem beeinflussen sie das Klima stärker als angenommen. Zu diesem Schluss kommen Experten, nachdem sie erstmals die Auswirkungen des Schiffsverkehrs weltweit bilanziert haben.

Die Abgase von Schiffen sind gefährlicher (Foto: Foto: dpa)

Die Forscher kommen zu einem erschreckenden Resultat: Jedes Jahr sterben demnach 60.000 Menschen an Atemwegserkrankungen oder Lungenkrebs, weil sie Partikel aus Schiffsmotoren einatmen. Die Abgase können zudem Asthma und Bronchitis verursachen.

In Europa seien besonders die Bewohner Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs gefährdet, schreibt James Corbett von der Universität Delaware, USA, jetzt im Fachblatt Environmental Science & Technology. In den nächsten fünf Jahren könnte die Zahl der Opfer weltweit noch um 40 Prozent zunehmen, kalkulieren die Experten angesichts des rasant anwachsenden Welthandels.

Jedes Jahr 200 Tote im Großraum Hamburg

Milliarden Menschen seien gefährdet, sagt Corbett. "Denn mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt an der Küste", betont der Politikprofessor. Besonders betroffen seien Regionen mit hoher Einwohnerzahl und starkem Schiffsverkehr - vor allem Südostasien und Europa. In manchen Gegenden West- und Südeuropas sei jeder 10.000. Todesfall auf Schiffsemissionen zurückzuführen. Im Großraum Hamburg stürben jährlich bis zu 200 Personen an Schwefel- und Stickstoffverbindungen und anderen Partikeln aus Schiffsabgasen.

Die Abgase ziehen in großer Menge Hunderte Kilometer landeinwärts, berichtet Veronika Eyring vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, die Koautorin der Studie. Selbst in Süddeutschland und Österreich erkranken den Berechnungen zufolge Bewohner an Partikeln aus Bootsmotoren.

Mit dem europäischen Satelliten Envisat haben Veronika Eyring und ihre Kollegen die Abgasspuren von Schiffen weltweit untersucht. Abseits der Küsten lassen sich die Schifffahrtsrouten aus der Luft auch ohne Satellit meist gut zu erkennen: Abgasfahnen, oft 300 Kilometer lang und bis zu neun Kilometer breit, beschreiben ihren Weg.

Nahe den Küsten jedoch heben sich die Wolken aus Schwefel, Ruß und anderen Schadstoffen nicht mehr von der Umgebung ab - zu viele Abgase gelangen in die Luft. Die Schiffsemissionen vermischen sich und bilden einen dünnen Schleier. Wichtige Seehandelswege verlaufen unweit des Landes.

Die Folge: "Mehr als 70 Prozent der Schiffsabgase entstehen im Abstand von 400 Kilometern zu den Küsten", sagt DLR-Forscherin Eyring. Auch entlang großer Flüsse wurden erhöhte Abgaswerte gemessen. Die Luft an den Wasserstraßen sei zuweilen ebenso verpestet wie die an Autobahnen.

Schwefel als Sonnenschirm

Schiffe tragen der Studie zufolge etwa ein Zwölftel zum technisch-industriellen Schwefeldioxid-Ausstoß weltweit bei. Aus dem farblosen Gas wird in der Luft giftige Schwefelsäure. Zudem emittieren Schiffe knapp ein Sechstel der vom Menschen verursachten Stickoxide. Wie der ebenfalls emittierte Feinstaub können die schädlichen Substanzen in die Lunge und von dort in den Kreislauf gelangen.

Für ihre Berechnungen nutzten die Forscher um James Corbett und seinen Kollegen James Winebrake Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie verglichen in tausenden Regionen weltweit die Häufigkeit von Krankheiten mit der Menge der Schiffsemissionen. Fielen an einem Ort - bezogen auf die Einwohnerzahl - ungewöhnlich viele Krankheitsfälle mit erhöhten Abgaswerten zusammen, sahen die Experten darin einen direkten Zusammenhang.

Die Abgase der Bootsmotoren haben gravierenden Einfluss auf das Klima. Schiffe pusteten jährlich ebenso viel Kohlendioxid (CO2) in die Luft wie Flugzeuge, berichtet eine Gruppe um Veronika Eyring und ihren Kollege Axel Lauer vom DLR im Fachblatt Atmospheric Chemistry and Physics.

Im Jahr 2000 - dem letzten Jahr, aus dem eindeutige Zahlen vorliegen - stammten 2,7 Prozent aller vom Menschen verursachten CO2-Emissionen aus Schiffen: Es handelt sich um rund 800 Millionen Tonnen. Inzwischen dürfte die von Schiffen ausgestoßene CO2-Menge noch um ein Drittel angewachsen sein, kalkulieren die Experten.

Zunächst haben Schiffsabgase allerdings einen kühlenden Effekt. Denn die Schwefelemissionen verbinden sich mit Wasser zu kleinen Tröpfchen - zu so genannten Aerosolen - und bilden Wolken. Die dünnen Schleier wirken wie ein Sonnenschirm: Sie werfen die Strahlung der Sonne teilweise zurück. In der Folge gelangt weniger Wärme auf die Erde.

Die kühlende Wirkung der Schiffsabgase ist erstaunlich groß, entdeckten die DLR-Forscher: Sie beträgt bis zu 39 Prozent des vom Menschen verursachten kühlenden Aerosol-Effektes, der dem Treibhauseffekt entgegenwirkt.

Die Kühlung durch die Abgas-Wolken der Schiffe überwiegt also bei weitem die Erwärmung, die durch die CO2-Emissionen der Schiffe verursacht wird. Der Effekt verkehre sich aber allmählich, betont Eyring: Denn das Treibhausgas bleibt Jahrzehnte lang in der Atmosphäre, es sammelt sich also an. Die Aerosole hingegen werden bereits nach etwa zehn Tagen vom Regen ausgewaschen.

Weniger Abgase als durch Flugzeuge oder Autos

Gleichwohl ließen sich Güter per Schiff umweltschonender befördern als mit anderen Verkehrsmitteln, resümieren die Forscher. Denn 90 Prozent der Warentransporte würden zu Wasser erledigt. Der Abgas-Ausstoß je beförderte Tonne sei bei Schiffen daher weitaus geringer als bei Flugzeugen oder Autos.

James Corbett fordert dennoch strengere Abgaslimits für Schiffe. "Unsere Berechnungen hoher Todeszahlen rechtfertigen es, jährlich Milliarden von Dollar in Emissionskontrolle zu investieren", meint sein Kollege James Winebrake. Gestern beriet die Internationale Maritime Organisation IMO - eine Expertengruppe der Vereinten Nationen - in London über neue Richtwerte.

Angestrebt wird, dass Schiffe entschwefelten Treibstoff oder Katalysatoren nutzen. Betreiber scheuen jedoch zumeist die Kosten. Für Nord- und Ostsee wurden bereits entsprechende Vorschriften erlassen. Dort dürfen nur Schiffe fahren, deren Treibstoff höchstens 1,5 Prozent Schwefel enthält. Die Europäische Union strebt an, dass ihre Häfen nur noch von Schiffen angelaufen werden, deren Treibstoff höchstens 0,1 Prozent Schwefel enthält.

© SZ vom 8.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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