Gedenkjahr:Etwas mehr Einstein, bitte

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Der Rummel um den genialen Physiker hätte viel Wert, wenn er denn die Forschung in Deutschland beflügeln könnte.

Von Patrick Illinger

Albert Einstein, das ist für manche nur die spitz und frech herausgestreckte Zunge. Das famose Abbild des 72-jährigen Pop-Physikers gehört zur seiner Ikonografie, so wie der Hut zu Joseph Beuys, die zum "V" gespreizten Finger zu Winston Churchill und der Stock zu Charlie Chaplin.

Albert Einstein (Foto: Foto: dpa)

Es sind die Symbole, die den Ruhm unterstützen und ihn bisweilen über das angemessene Maß hinaus steigern.

Einstein war ein genialer Kopf, kein Zweifel. Doch darin allein liegt nicht begründet, dass er jetzt, 50 Jahre nach seinem Tod und 100 Jahre nach seinem wundersamen Berner Schaffensjahr einen Trubel auslöst, der so manchen hollywoodtypischen Personenkult übertönt.

An seiner Physik allein kann das nicht liegen, denn die versteht bis heute kaum jemand, und so großartig Einsteins wissenschaftliche Beiträge waren: Im Vergleich mit anderen Forschern steht sein Vorsprung auf der Skala der Genialität in keinem Verhältnis zum Grad des öffentlichen Ansehens.

Um dieses Phänomen zu deuten, über das Einstein sich einst selbst wunderte, müsste man Theorien über Massenpsychologie und das menschliche Bedürfnis nach Idolen bemühen.

Wo die öffentliche Zuneigung ins Wallen gerät, sind Politiker nicht weit. An diesem Mittwoch lässt es sich Bundeskanzler Schröder nicht nehmen, das von seinem Forschungsministerium proklamierte "Einsteinjahr" zu eröffnen.

"Lust auf Zukunft" will die Bundesregierung mit dem vor 50 Jahren gestorbenen Physiker erzeugen. Es ist das populistische Kalkül einer Regierung, bei der man ansonsten nicht immer sicher sein kann, ob sie den Unterschied kennt zwischen Bildung und Forschung, außer dass beides auf einer Kostenstelle läuft.

Doch der Trubel hat sein Gutes. Einstein steht schließlich für vieles, was dieses Land zurzeit bitter nötig hätte: die Lust am Tüfteln und Entdecken zum Beispiel.

Zu Einsteins Lebzeiten war Forschung noch um der Erkenntnis willen angesehen und nicht ständig verfolgt vom gierigen Blick einer unter Innovationsarmut leidenden Wirtschaft.

Hinter die Kulissen des großen Ganzen zu blicken, galt als Wert, der nicht nur in Geld bemessen wurde. Einstein war ein perfektes Beispiel für Forschung, deren technische und somit wirtschaftliche Anwendung zunächst nicht erkennbar ist, später jedoch den modernen Alltag maßgeblich prägen wird.

Von der Satellitennavigation bis Viagra reichen die Produkte, die ohne Einsteins Erkenntnisse nicht denkbar wären.

Und eines noch ist anders als vor 50 oder gar 100 Jahren: Moderne Grundlagenforschung ist praktisch nicht mehr das Werk einzelner Schlauköpfe, die plötzlich mit einem Eureka aus dem Dunkel ins Licht springen.

Neue Erkenntnisse entstehen meist in mühsamer Kleinarbeit, bei der die Forscher nur als Knotenpunkte in einem komplexen Gefüge vernetzter Gruppen arbeiten.

Es gehört schon eine kräftige Prise Enthusiasmus dazu, wenn man gern mit 200 Kollegen ein Teleskop bedient oder ein Genom entziffert. Vielen klugen jungen Menschen in Deutschland dürfte in diesem Geflecht die Perspektive fehlen.

Zumal die beamtenhaften Strukturen der deutschen Forschungsszene den Raum für unkonventionelles Denken weiter einengen.

Um dagegen anzukämpfen, lohnt sich dann doch der Blick auf die Geschichte des 26-jährigen Patentamt-Angestellten, der vor 100 Jahren aus eigenem Antrieb die Physik revolutionierte.

So wie in seinem Fall gelingen fast alle wissenschaftlichen Durchbrüche nur dann, wenn festgefahrene Vorstellungen und Dogmen durchbrochen werden und Raum fürs Denken, Erfinden und Entdecken entsteht.

So gesehen könnte der in diesem Jahr arg hochkochende Kult um Einstein positiv wirken. Dem humorvollen Physiker wäre es bestimmt nicht zuwider, wenn es ihm 50 Jahre nach seinem Tod gelänge, die Forschung in Deutschland zu beflügeln.

© SZ vom 19.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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