Frage der Woche:Warum mögen wir Musik?

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Wir verstehen, was Musik uns sagen will, selbst wenn sie ohne Worte erklingt. Wieso sind wir eigentlich so empfänglich für Harmonie und Melodie?

Markus C. Schulte von Drach

Gegen Ende des Filmklassikers "Spiel mir das Lied vom Tod" stehen sich der Revolvermann Frank (Henry Fonda) und der Namenlose mit der Mundharmonika (Charles Bronson) gegenüber. Minutenlang wechselt die Kamera nur zwischen den Augenpartien der beiden Duellanten. Und dazu klingt die Musik Ennio Morricones. Es ist eine Szene voller Spannung.

Der eine liebt Beethoven, der andere Led Zeppelin, der dritte beide oder weder noch. Aber Musik mag fast jeder. (Foto: Foto: AP)

Hält man sich allerdings die Ohren zu, verwandelt sich das Ganze in eine strunzlangweilige Studie verkniffener Augenpartien, bis endlich der Schuss fällt.

Die riesige Bedeutung, die Musik für uns hat, lässt sich nicht leugnen - das belegt natürlich nicht nur dieses Beispiel. Sie begleitet uns das ganze Leben über. Schon über der Wiege des Neugeborenen baumelt die Spieluhr, um den schreienden Säugling zu beruhigen, stimmen Eltern Kinderlieder an, und so wird es das ganze Leben fortan sein: Ständig werden wir von mehr oder weniger harmonischen Klängen berieselt, suchen sie uns gezielt zur passenden Situation aus, um uns und andere in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Und zur letzten Ruhe lassen wir uns gern zu den Klängen eines Requiems betten.

Ihre wichtige Rolle hat Musik nicht erst mit der technischen Möglichkeit entwickelt, sie aufzunehmen und jederzeit wieder erklingen zu lassen. Sie war offenbar schon ein wichtiger Bestandteil der Kultur unserer Vorfahren. Bereits vor etwa 35.000 Jahren haben die Steinzeitmenschen in Europa Musik gemacht, die mehr war als nur trommeln und schreien.

Das beweisen Reste von Flöten aus Schwanenflügelknochen und Mammutzähnen, die bereits in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entdeckt wurden. Nachbauten der Instrumente zeigen, dass sie pentatonische Klangfolgen - also Fünftonmusik - ermöglicht hatten. Melodien nicht zu singen, sondern auch zu spielen, war demnach schon in der Steinzeit üblich.

Der Zauber liegt offenbar in der Ähnlichkeit der Instrumentenklänge mit der menschlichen Sprache, vermuten Wissenschaftler. So reagiert unser Gehirn auf Sprache und auf Tonfolgen mit fast identischen Aktivitätsmustern, wie etwa Studien des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig belegen. Das menschliche Gehirn, so berichteten die Wissenschaftler, scheint keinen wesentlichen Unterschied zwischen musikalischer und sprachlicher Information zu machen.

Der Ton macht die Musik

Schließlich "macht der Ton die Musik" auch in der Sprache. Es ist die Satzmelodie, die uns ermöglicht, eine Aussage einzuordnen. Ist es jemandem ernst oder macht er einen Spaß? Ist Freude im Spiel, Wut, Verbitterung oder gar Ironie?

Die Hörzentren in unserem Kopf analysieren die einlaufenden Daten über Tonhöhen und -folgen der vom Mund gebildeten Laute ganz genau, um Missverständnisse zu vermeiden, so dass unsere soziale Kommunikation akustisch reibungslos abläuft.

Und auch simple Geräusche spielen eine Rolle. Ist es ein Bach, der da plätschert, und war es ein Ast, der da vielleicht unter der Pfote eines Raubtieres geknackt hat?

Die Hirnmaschinerie, die uns ermöglicht, uns in unserer natürlichen akustischen Welt zu orientieren, beginnt ihre Arbeit natürlich auch, wenn Musik und Gesang erklingen. Diese Klänge werden offenbar auf mögliche Informationsinhalte überprüft und interpretiert. Vorstellen kann man sich ihre Wirkung vielleicht wie die einer sogenannten überoptimalen Attrappe.

Solche Attrappen werden von Verhaltensbiologen gezielt verwendet, um bei Tieren bestimmte Verhaltensweisen wirksamer auszulösen als es die natürlicherweise auftretenden Schlüsselreize tun. Beispiele für solche Superreize sind für Leuchtkäfermännchen zum Beispiel Lichtpunkte mit einer größeren Leuchtfläche und einem höheren Gelbanteil als es die Weibchen natürlicherweise zu bieten haben. Bei Menschen wird diskutiert, ob etwa der Einsatz von Lippenstiften und andere Versuche, Körpermerkmale stärker zu betonen, dem Ziel dienen, überoptimale Reize für das andere Geschlecht zu erzeugen.

Die Arie der Königin der Nacht in Mozarts "Zauberflöte" würde demnach eine Art überoptimale Darstellung von Zorn sein, und sein Requiem eine überhöhte Wiedergabe mitleidsvoller Anteilnahme. Und gerade dort, wo uns die Worte fehlen, können die Klänge verdeutlichen, was wir ausdrücken wollen: Glück, Verzweiflung, Liebe, Schmerz.

Musizieren festigt die Gemeinschaft

Über diese Vermutungen hinaus haben manche Fachleute die Hypothese aufgestellt, dass es ein Selektionsvorteil war, wenn mehrere Menschen sich über Musik in einen gemeinsamen Stimmungszustand bringen konnten. Über das Musizieren förderten sie möglicherweise ihre Gemeinschaft. Und eine starke Gemeinschaft hatte Vorteile gegenüber Gruppen mit weniger Zusammenhalt.

Doch wieso gibt es dann so gravierende Unterschiede im Musikgeschmack, sowohl individuell als auch zwischen den Kulturen? Weil Schönheit auch eine Frage der Gewöhnung ist. So arbeiten unsere Ohren zwar alle nach dem gleichen Prinzip.

Aber die Interpretation der akustischen Informationen wird zum Teil gelernt - wie wir uns auch verschiedene Sprachen zu Eigen machen. Deshalb kommt uns Europäern die traditionelle chinesische Musik ähnlich fremd vor wie die chinesische Sprache. Und während der eine Beethoven versteht, weiß der andere genau, was Robert Plant von Led Zeppelin zu sagen hat.

Und beide lassen sich im Kino von den Klängen der Filmmusik in ihren Bann schlagen, ohne die wir beim Duell zwischen Frank und Mundharmonika schlicht und einfach einschlafen würden.

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