Frage der Woche:Erhört Gott Fürbitten?

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Seit Jahrzehnten untersuchen Forscher, ob Bitten von Gläubigen um Hilfe für Patienten von Gott erhört werden. Lässt sich Gottes Wille von Menschen beeinflussen?

Markus C. Schulte von Drach

"Wir beten für Sie." Immer wieder versprechen Politiker und Geistliche den Opfern von Katastrophen oder Kriegen, sie und ihre Mitbürger würden bei Gott ein gutes Wort einlegen. Und regelmäßig sichern Menschen zum Beispiel kranken Angehörigen oder Freunden Fürbitten zu, auf dass sie schneller wieder gesund werden.

Viele Menschen sind überzeugt davon, dass man Gottes Wille mit Hilfe von Gebeten beeinflussen kann. (Foto: Foto: AP)

Doch gibt es eigentlich objektive Hinweise darauf, dass der Schöpfer zuhört? Dass er sich tatsächlich durch die Wünsche der Menschen beeinflussen lässt?

Wissenschaftler, die schließlich alles und jedes untersuchen, beschäftigen sich tatsächlich bereits seit Jahrzehnten mit der Frage, ob Fürbitten aus der Ferne den Zielpersonen helfen.

Dafür beobachten die Forscher in der Regel eine Gruppe von Patienten mit einer bestimmten Krankheit, von denen ein Teil in die Fürbitte von ihnen unbekannten Gläubigen eingeschlossen wird. Die Übrigen dienen als Kontrollgruppe. Dann wird geprüft, ob jene, für die gebetet wurde, schneller wieder gesund werden. Und auf den ersten Blick scheinen einige Studien dafür zu sprechen, dass Gott auf die Fürbitten reagiert.

Gebete für Herzpatienten

So ließ bereits 1988 der amerikanische Herzspezialist Randolph Byrd "Wiedergeborene Christen" für Herzpatienten des San Francisco General Hospital beten - aber nicht für alle. Tatsächlich, so berichtete Byrd, verbesserte sich der Zustand derjenigen, die den geistigen Beistand erhielten, in einigen Punkten. Ähnliches berichtete William Harris vom St. Luke's Hospital in Kansas City 1999.

Dann meldete Elisabeth Targ vom California Pacific Medical Center in San Francisco 1998, dass religiöse Heiler und Schamanen Aids-Patienten aus der Distanz vor einigen gesundheitlichen Folgen der Krankheit beschützen konnten.

2001 schließlich machten Wissenschaftler von der Columbia University Schlagzeilen. Sie berichteten, dass bei Frauen mit Schwangerschaftsproblemen eine Behandlung doppelt so häufig erfolgreich verlief, wenn für sie gebetet wurde.

Die Fachwelt geriet durch die vier Studien in Aufruhr, allerdings weniger, weil nun etwa bewiesen war, dass Gott unsere Gebete -zumindest manchmal - erhört.

Vielmehr zogen die beteiligten Wissenschaftler massive Kritik auf sich für die Art und Weise, wie sie Daten erhoben und ausgewertet hatten. So waren von Byrd und Harris so viele Aspekte berücksichtigt worden, dass es kein Wunder war, dass sich zumindest in einigen Punkten signifikante Unterschiede fanden.

Targ wiederum wurde vorgeworfen, mit ihren Kollegen nach dem Ende ihrer Studie so lange nach statistisch signifikanten Zusammenhängen gesucht zu haben, bis sie schließlich Erfolg hatte. Ein solches Vorgehen gilt unter Fachleuten als unseriös. Und die Fruchtbarkeitsstudie wurde von der wissenschaftlichen Fachzeitung, die sie ursprünglich veröffentlicht hatte, inzwischen von der Homepage genommen.

Überraschende Ergebnisse

Mit großer Spannung waren deshalb in den letzten Jahren zwei weitere Studien erwartet worden: Zum einen veröffentlichten 2005 Mitchell Krucoff und sein Team vom Duke University Medical Center ihre Mantra-II-Studie in einem der renommiertesten medizinischen Fachmagazine, The Lancet. Die Forscher hatten den Heilungsprozess von mehr als 700 Herzpatienten beobachtet. Für die Hälfte von ihnen beteten Christen, Muslime, Juden und Buddhisten - die Übrigen mussten ohne diesen geistigen Beistand gesunden. Einen Einfluss hatten die frommen Wünsche nicht.

Noch mehr Aufsehen erregte die Untersuchung von Herbert Benson und seinem Team vom Mind/Body Medical Institute, der Harvard Medical School und einer Reihe weiterer Institutionen. Benson, ein überzeugter Gottesgläubiger, widmet sich seit Jahren der Erforschung möglicher Zusammenhänge zwischen Medizin und Spiritualität.

Die Forscher hatten für die bislang größte Studie zu diesem Thema untersucht, wie sich Patienten in sechs Krankenhäusern nach einer Bypass-Operation am Herzen erholten.

Die Betroffenen waren in drei Gruppen unterteilt worden: Für etwa 600 Patienten wurde gebetet, für ebenso viele Patienten nicht. Allerdings erfuhren die Studienteilnehmer lediglich, dass sie vielleicht geistigen Beistand aus der Ferne erhielten. Eine dritte gleichgroße Gruppe wurde darüber informiert, dass für sie gebetet wurde. Dann beobachteten die Forscher, ob es bei den Patienten nach der Operation zu Komplikationen kam.

Wie sie letztes Jahr im American Heart Journal berichteten, traten in jenen Gruppen, in denen Ungewissheit herrschte, bei etwa jedem zweiten Patienten Komplikationen auf. Aber Studienteilnehmer, die wussten, dass für sie gebetet wurden, schnitten noch schlechter ab: Von ihnen waren fast 60 Prozent betroffen. Zu wissen, dass man Fürsprache hatte, schien offenbar zu einer vergleichsweise größeren Zahl von Komplikationen zu führen! Ein für Gläubige sicher irritierendes Ergebnis.

"Fürbitten könnten Angst auslösen"

Charles Bethea vom Integris Baptist Medical Center in Oklahoma City, einer der Mitautoren, bot eine Erklärung an: Es sei möglich, dass das Wissen um die Gebete von Fremden bei einigen Patienten eine Art Angst ausgelöst haben könnte. "Es hat sie vielleicht verunsichert. Möglicherweise haben sie sich gefragt: Bin ich so krank, dass sie ein Team zum Beten herbeirufen müssen?"

Und Dean Marek, Kaplan an der Mayo-Klinik im amerikanischen Rochester und ebenfalls Mitautor der Studie, erklärte der New York Times, die Studie sage nichts über die Macht persönlicher Gebete oder der Fürsprache von Angehörigen und Freunden.

Auch Studienleiter Benson beeilte sich zu erklären, mit den Ergebnissen sei noch nicht das letzte Wort zur Wirkung von Fürbitten gesprochen. Vielmehr müsse man sich nun überlegen, ob Patienten erfahren sollten, dass für sie gebetet wird.

Welche Rolle Gott schließlich in ihrer Studie gespielt haben könnte, ließen Benson, Behtea und Marek offen.

Und so gehen Forschung und Interpretation weiter. Unlängst veröffentlichte etwa David R. Hodge von der Arizona State University eine Meta-Studie über 17 Untersuchungen zum Effekt der Fürsprache. Zusammengenommen, so berichtete Hodge im Magazin Research on Social Work Practice, deuteten die Studien auf einen zwar kleinen, aber signifikanten positiven Effekt der Gebete.

Um die Diskussion ein für alle Mal zu beenden, hat Gil Gaudia von der State University of New York in Fredonia übrigens kürzlich einen interessanten Vorschlag gemacht. Ein einfaches, aber absolut eindeutiges Experiment, so erklärte der Psychologe in Medscape General Medicine, sei es, für das Nachwachsen amputierter Glieder zu beten. "Man bräuchte eine angemessene Zahl von Amputierten als Versuchsteilnehmer und eine ansehnliche Menge von aufrichtig betenden Gläubigen. Ein einziges regeneriertes Glied wäre der unzweideutige Beweis für die Macht der Gebete."

Unseres Wissens nach hat bislang allerdings noch niemand Geld für eine solche Studie beantragt.

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