Fischmangel am Bodensee:Frisches Wasser, leeres Netz

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Für die Fische ist das Wasser nicht schmutzig genug: Weil der Bodensee heute eines der saubersten Gewässer Deutschlands ist, kämpfen die wenigen verbliebenen Berufsfischer um ihre Existenz.

Bernd Dörries

Die Platanen stehen im frühen Grün in der Sonne, eine Yacht läuft aus, und auf der Promenade von Langenargen werden die neuesten Lederhandtaschen der Saison spazieren geführt. Gustl Jäger trägt eine blaue Latzhose und Gummistiefel und steigt die Sprossen der Kaimauer hinab in eine andere Welt. In sein Boot, sechs Meter lang, mit einem kleinen Vordach. Es geht hinaus auf den See, und alles wird blau.

"Von der Romantik her ist es schon recht, vom Ertrag nicht": 140 Berufsfischer gibt es noch am Bodensee. (Foto: Foto: dpa)

Gustl Jäger, der eben auf der Kaimauer noch so viel erzählt hat, ist nun ganz still. Er blickt nun wie ein Seemann: die Augen in die Ferne, auf der Suche nach den Fischen. Sehen kann man sie nicht, nur schauen, wo die anderen Boote sind, wo das Wasser eine ,,gute Farbe'' hat. Das Netz wird ausgelegt. Im Boot sieht es noch aus wie ein riesiger Fussel, im Wasser dann wie ein viel zu langes Tennisnetz, auf etwa einem Kilometer hängt es an den Bojen.

Die Fischer legen es am Abend aus und sehen am Morgen nach, wie viele Fische sich darin verfangen haben. Das alles hat wenig mit den Methoden der Hochseefischerei zu tun, das Einzige, was irgendwie modern zu sein scheint, ist eine Funkboje, mit der sie die Netze, die in der Nacht über den See treiben, wiederfinden können. Aber auch mit einer anderen Ausrüstung würden sie keinen besseren Ertrag bekommen. Die Fische wachsen zu langsam im schwäbischen Meer und gehen den Fischern durch die Maschen.

Gustl Jäger ist 67 Jahre alt und einer von 140 Berufsfischern am Bodensee. Seinem Gesicht sieht man die Sonne und die Stürme der letzten Jahrzehnte an, die Haare weiß und strubbelig. Manchmal fragen ihn Touristen, ob er denn echt sei. Sein Vater war Fischer, sein Großvater auch. Der See hat immer genug für sie hergegeben zum Leben, und wenn es einmal knapp wurde, haben sie sich zusammengerauft.

Sein Großvater war dabei, als Deutschland, Österreich und die Schweiz 1893 das Bregenzer Abkommen schlossen, die erste internationale Vereinbarung über Netzgrößen und Fangquoten. Das Problem der Überfischung schien hier gelöst zu sein, lange bevor es auf den Weltmeeren zu einem wurde. In den vergangenen Jahren ist aber etwas durcheinandergekommen im See. Die Fische reichen nicht mehr, sie wachsen immer langsamer. Und das, obwohl es dem See so gut geht wie lange nicht mehr. Vielleicht sogar genau deswegen.

,,Man greift an einem Punkt in der Natur ein und sieht noch gar nicht, was sich an einem anderen alles ändert'', sagt Gustl Jäger. Der See gerate schnell aus dem Gleichgewicht. Dabei wollte man es eigentlich wieder herstellen. Vor zwei Jahrzehnten war der Bodensee kurz vor dem Umkippen, durch den Dünger der Bauern und die Waschmittel kamen zu viele Schadstoffe in den See. Der Bodensee drohte zu ersticken.

Die Anrainerstaaten begannen mit dem Bau von Kläranlagen, die meisten Waschmittel sind mittlerweile phosphatfrei, und der See ist heute eines der saubersten Gewässer Deutschlands, er hat Quellwasserqualität. Es war ein vielfach gefeiertes Beispiel für den Umweltschutz. Die Fischer fragen sich mittlerweile aber, ob man die Natur womöglich zu sehr saniert hat. Der Phosphatgehalt sank durch die Kläranlagen von 90 Milligramm pro Kubikmeter in den siebziger Jahren auf mittlerweile etwa acht.

,,Bei fünf können wir mit dem Fischen aufhören'', sagt Jäger. Phosphat ist eine Grundlage für Plankton - bildet sich davon nicht genügend, ist die Nahrungskette der Fische unterbrochen. Ein Viertel weniger als im Vorjahr haben die Bodenseefischer 2005 gefangen, der Barschbestand ging im Lauf von zehn Jahren um mehr als die Hälfte zurück. Auch die Fischer werden weniger. Vor 25 Jahren gab es etwa 300 Patente, die zum Fang berechtigen, heute gibt es noch die Hälfte.

Vor vielen Jahren haben sich die Fischer aus der Umgebung immer in einer Hütte getroffen, einem einfachen Schuppen, in dem es Bier gab. Damals waren sie den ganzen Tag auf dem Wasser, manchmal auch die ganze Nacht. Sie haben die Netze hinter sich hergezogen und abends damit geprahlt, wer wie viel gefangen hat. Dort, wo der Schuppen war, steht heute ein Restaurant mit Terrasse, auf dem sich die Bootsbesitzer treffen, deren Yachten davor im Hafen liegen. Es gibt Bodenseefelchen in Zitronensauce.

Früher, sagt Gustl Jäger, sei nur wenig Fisch gegessen worden. ,,Es war ein Arme-Leute-Essen, die wussten hier gar nicht, wie man das isst. Haben reingeschnitten wie in ein Schnitzel.'' Mit den Touristen kamen die Restaurants, und heute gibt es so viele davon, dass der Bodensee gar nicht mehr den Bedarf decken kann. ,,Auf manchen Karten steht Fisch, der aus Polen oder Litauen kommt.''

Sie wachsen langsamer

An diesem Morgen liegen nur ein paar Kisten im Garten seines Reihenhauses in Langenargen, das so gar nichts mit Fischerromantik zu tun hat, über dem Wäscheständer hängen ein paar Netze. Joachim Jäger, der Sohn von Gustl, steht in einem Schuppen und lässt die Felchen durch die Filetiermaschine laufen, im Ofen hängt Räucherfisch.

,,Bei der heutigen Lage würde ich mich anders entscheiden'', sagt er. Er würde nicht nochmal Fischer werden. Joachim Jäger ist 36 Jahre alt und hat seinen Meister als Fischwirt gemacht. Er wollte den Beruf des Vaters übernehmen, weil es so Tradition ist, wegen des Reizes des Selbständigen und des Sees. ,,Von der Romantik her ist es schon recht, vom Ertrag nicht.'' An diesem Tag haben sie nur 40 Kilo gefangen, drei Personen müssen davon leben.

Früher reichte es, an irgendeiner Stelle im See sein Tennisnetz aufzustellen und darauf zu warten, dass sich die Fische darin verfangen. Damals war so viel Phosphat im See, dass es riesige Fische gab, so groß, dass sie sich in den Maschen verfingen, bevor sie überhaupt geschlechtsreif waren. Und der See war kurz vor dem Umkippen. Das war auch kein Zustand, sagt Gustl Jäger. Es war klar, dass etwas passieren musste. Die ganze Tourismusregion Bodensee wirbt mit sauberem Wasser um Urlauber, vier Millionen Menschen trinken es aus dem Wasserhahn. Aber den Fischern ist es eben ein wenig zu sauber. Es geht um ein paar Milligramm Phosphat, die dem Menschen nicht schaden würden. Die Fischer überlegen, ob sie sich an die Politik wenden sollen, sie bitten, die Kläranlagen doch etwas durchlässiger zu machen.

Man könne sich vorstellen, was der Tourismusverband davon halten würde, sagt Roland Rösch. Er ist stellvertretender Leiter der Fischereiforschungsstelle am Bodensee, einer Behörde des Landes. Er rät den Fischern zur Geduld und spricht die Sprache der Wissenschaft. Die fünf Jahre, in denen die Fischerträge zurückgegangen sind, seien noch zu wenig, um daraus einen generellen Trend abzulesen. ,,Schwankungen hat es immer gegeben'', sagt Rösch und äußert eine überraschende Vermutung: Vielleicht seien derzeit ja zu viele Fische im See, sagt er, und nicht zu wenige, wie man angesichts der sinkenden Erträge meinen könnte. Weil es weniger Nahrung im See gebe, wüchsen die Fische langsamer und erreichten somit erst später die Größe, ab der sie sich in den Netzen verfangen.

,,Früher war das Felchen nach zwei Jahren fangreif, heute erst nach fünf'', sagt Rösch. Die Fische seien demnach also länger im See und müssten mit mehr Artgenossen um die weniger werdende Nahrung kämpfen. Bisher ist dies nur eine Vermutung. Den Fischern wurde im vergangenen Jahr ein zusätzliches Netz zugestanden. Es müsse abgewartet werden, wie der See und die Bestände darauf reagieren, sagt Rösch.

Der Mensch kann den See leicht aus dem Gleichgewicht bringen, kontrollieren kann er ihn nicht.

© SZ vom 30.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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