Exoten in Deutschlands Wildbahn:Multikulti mit Mink und Känguru

Lesezeit: 3 min

1500 fremde Tierarten leben hierzulande - die Aufregung der Jäger und Naturschützer teilen Zoologen jedoch nicht.

Philip Wolff

Erst war er ein willkommener Gast. Jetzt gilt er als Feind. In den 30er Jahren war der nordamerikanische Waschbär in Hessen ausgewildert worden - auf Geheiß des damaligen Reichsjägermeisters Hermann Göring.

Das ist Heidi. Heidi verließ 2004 in Niederbayern spaßeshalber ihr Gehege. Allerdings nur für 14 Tage. In Mecklenburg entkamen 2001 indes gleich mehrere Tiere, die bis heute nicht eingefangen wurden und sich mittlerweile vermehrt haben. (Foto: Foto: dpa)

Heute warnt der Deutsche Jagdschutz-Verband eindringlich vor dem Pelztier, das sich mittlerweile bundesweit so wohl fühlt und vermehrt, dass es angeblich die heimische Fauna bedroht. Die Jäger fordern eine "Nationale Strategie gegen invasive gebietsfremde Arten" - zu denen Zoologen mittlerweile neben dem Waschbär 1500 in Deutschland heimisch gewordene Spezies zählen.

Und tatsächlich beeindrucken nicht allein die Zahlen, gegen die das bedrohliche verbale Geschütz aufgefahren wird: In Mecklenburg hüpfen heute Nachfahren entflohener Kängurus durchs Unterholz.

Waschbären zu tausenden erschossen

1,5 Meter große Laufvögel, die südamerikanischen Nandus, stolzieren durch die Felder. Bisam und Biber, Mink und Marderhund - sie stellen Jägern zufolge die größte Bedrohung dar, weil sie heimische Kleintiere fressen oder verdrängen.

Allein im Jagdjahr 2003/2004 wurden 21.000 Waschbären geschossen. "Doch das ist keine Lösung", sagt Ragnar Kinzelbach von der Universität Rostock, der den Begriff "Neozoen" für die zugereisten Tiere geprägt hat und die Entwicklung seit Jahren beobachtet.

Denn die gejagten Tiere gleichen ihre Population durch mehr Nachkommen aus, wie die zoologische Fachwelt zurzeit bei Bisamratten am Inn beobachtet. Obwohl sie auf deutscher Seite abgeschossen werden, sind sie dort so präsent wie im Bisam-freundlichen Österreich.

Daher sei gegen massive Bejagung eigentlich nichts einzuwenden, sagt Kinzelbach. Doch die von manchen Jägern erhoffte Patentlösung, stellt der Abschuss auch nicht dar. "Wir werden Tiere wie Waschbär und Marderhund nicht mehr los, weil sie sich so in unser Ökosystem integriert haben, dass wir es dafür zerstören müssten."

So besetzt der Mink die ökologische Nische des in Deutschland ausgestorbenen Nerzes. Und der kletterfreudige Waschbär hat keinen Konkurrenten, der ein identisches Fressverhalten aufweist. Somit kommen seine Beutetiere nicht über Gebühr unter Druck. Noch kein fremder Gast habe ein heimisches Tier ausgerottet, sagt Kinzelbach. "Hauskatzen dagegen richten allein in der Vogelwelt viel größere Schäden an."

Ob Türkentaube, Halsbandsittich oder am Niederrhein der Flamingo, ob Papageien in Großstädten, das amerikanische Grauhörnchen in Bayerns Wäldern oder die Schildkröte im Park: Die Reaktionen der Menschen - zwischen Verzückung und Hass - sind selten von angemessener Gelassenheit.

"Ein psychosoziales Problem", sagt der Zoologe. Denn schon immer wandern Tiere natürlicherweise in neue Lebensräume ein, und Ökosysteme sind hochgradig dynamisch.

Allerdings haben sich die Wanderungsbewegungen seit Beginn der Globalisierung beschleunigt, die aus Sicht von Naturforschern bereits im Jahr 1492 begann: mit der Entdeckung Amerikas und Tieren wie der Schiffsbohrmuschel, die Kolumbus teils freiwillig, teils versehentlich nach Europa brachte.

Die großen deutschen Flüsse wie der Rhein sind seit Jahrhunderten von fremdländischen Arten bevölkert - mittlerweile zu 15 Prozent. Unter den Einwanderern sind Körbchen- und Dreiecksmuschel sowie diverse Flohkrebs. Und viele dieser Tiere will man heute gar nicht mehr loswerden.

Bereicherung für den tierischen Speisezettel

Die Dreiecksmuscheln zum Beispiel, die sich auch in den Voralpenseen findet, ernährt Wintergäste aus dem Norden, vor allem Enten. Mittlerweile erspart sie ihnen den gefährlichen Weg über die Alpen und in die Mittelmeerländer.

Unter Zoologen hat sich daher die Haltung etabliert: Wir lassen es treiben, die Natur und der weltweite Verkehr der Lebewesen können tun, was sie wollen - sofern nicht gerade Kartoffelkäfer und Reblaus einwandern. Leicht könne Deutschland auch wieder zum Malarialand werden, sagt Kinzelbach. Nur im Falle solch größerer Schäden müsse man hart durchgreifen.

Im Falle der niedlichen, großen Nandus in Mecklenburg hingegen, die nach drei Generationen bereits zur heimischen Fauna zählen, in denen Naturschützer aber dennoch eine Gefahr für die Kleintierwelt des Schutzgebietes der Wakenitz-Niederung sehen, fordern die Wissenschaftler: die Tierwelt, Art für Art, unter Dauerbeobachtung zu stellen. "Nur so können wir sehen, wie sich Populationszunahmen mit der jeweiligen Umgebung vertragen."

Entsprechende bundesweite Monitoring-Programme gibt es jedoch noch nicht. "Wir wissen noch nicht einmal, wie viele Tierarten überhaupt in Deutschland existieren", klagt der Rostocker Zoologe. Zwischen 54.000 und 65.000 Arten schwanken die Schätzungen - aus denen man allein ablesen könne: "1500 fremde Tierarten sind in jedem Fall tolerabel."

© SZ vom 10.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: