Evolutionspsychologe Geoffrey Miller im Interview:"Einsteins Relativitätstheorie diente der Fortpflanzung"

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Der Pfau lockt mit stolzen Schwanzfedern. Der Macho mit Muskeln. Die Mechanismen der Partnerwahl in der Natur sind schlicht. Warum aber konnten sich menschliche Intelligenz und Kultur durchsetzen? Der amerikanische Evolutionspsychologe Geoffrey Miller erforscht seit Jahren die Sex-Vorteile der Geistreichen.

Interview: Philip Wolff

SZWissen: Fasst man Ihre Thesen zusammen, dann macht vor allem Verstand sexy. Sind Wissenschaftler Frauenhelden?

Geoffrey Miller lehrt Sozialpsychologiwe an der University of New Mexico (USA). Sein Hauptgebiet sind Kriterien der Partnerwahl. (Foto: Foto: Russell Weinberger)

Miller: Nicht unbedingt. Nehmen wir zum Beispiel meinen erfolgreichen Kollegen Frank Spinath. Er ist Psychologieprofessor an der Universität in Saarbrücken. Was ihn aber erst richtig sexy macht, ist seine zweite Rolle - als Sänger und Komponist der Elektropop-Gruppe "Seabound".

Diese Rolle ist attraktiver als der Forscherberuf. Aus einfachem Grund: Akademische Forschung ist menschheitsgeschichtlich noch sehr jung. Sie hat sich als evolutionäre Strategie noch nicht so bewiesen wie andere Formen der Intelligenz: Humor, künstlerisch-musische Begabungen oder soziale Kompetenz. Musik zum Beispiel ist menschheitsgeschichtlich uralt. Die Begabung eines Computertechnologen dagegen ist als Kriterium noch nicht in unserem sexuellen Auswahlsystem verankert.

SZWissen: Oder liegt es einfach in der Natur der Sache: Tanzen hat viel mehr mit Lust zu tun als das Aufstellen von Formeln?

Miller: Nein, beides dient letztlich der Fortpflanzung. Es ist die Darstellung von Intelligenz und Originalität. Ein Verhalten, das auf Balz zurückgeht.

SZWissen: Das heißt, Einstein entwickelte die Relativitätstheorie, Beethoven komponierte die Missa solemnis, Picasso malte Guernica - letztlich nur, um sexuell zu punkten?

Miller: Aus evolutionärer Sicht ist es die Funktion aller dieser Verhaltensweisen, Partner anzulocken. Die persönliche Motivation, ein großer Physiker oder Künstler zu sein, mag natürlich eine völlig andere sein. Die Männer leben ihre Veranlagungen aus, sie entfalten sich, weil sie so glücklicher leben. Wenn man aber fragt: Warum kann man auf diese Weise glücklich leben, zählt auch ganz klar die evolutionäre Funktion dazu - man bekommt auch mehr Sex.

SZWissen: Weil Originalität für gute Gene spricht?

Miller: Alle Geistesleistungen sind ein Weg, gute Gene zur Schau zu stellen, ein gutes Gehirn, mit dem man kreativ neue Lebens- und Überlebensmöglichkeiten in der Natur und in der Kultur entwickeln kann. Das sind evolutionäre Vorteile, deren Darstellung man als Balz bezeichnet.

SZWissen: Wann wurde das Feld der Balz in der Menschheitsgeschichte so unübersichtlich?

Miller: Ich würde sagen, vor einer halben Million Jahre haben die Frauen unserer Vorfahren begonnen, auf Intelligenz und Persönlichkeit zu achten, als es darum ging, langfristig einen Partner zu finden und Babys mit ihm aufzuziehen. Die körperliche Fitness der Männer zählte von diesem Zeitpunkt an nicht mehr allein.

SZWissen: Was war das für eine Situation?

Miller: Ich könnte mir vorstellen, dass es so ähnlich war, wie wir es heute bei Schimpansen beobachten. Da spielen in der Wahl der Sexpartner auch nicht immer die dominierenden Männchen der Gruppe eine Rolle. Die Untergeordneten erlangen oft heimliche Sex-Erfolge, weil sie sich mehr um die Frauen kümmern, sanfter sind, einfühlsam und kreativ sein müssen, um belohnt zu werden.

So haben sich zwei Strategien entwickelt: die der Bosse und die der Künstler und lustigen Jungs, die für ihre Persönlichkeit anerkannt werden. Bei den Menschen ist ein starker Körperbau sogar mittlerweile zum Seitensprungkriterium abgesunken. Denken Frauen dagegen langfristig, ziehen sie sanfte, kreative Typen vor. So haben sich beide männlichen Balz-Strategien erhalten.

Für langfristige Beziehungen gibt die Frau dem kreativen Mann auch deshalb den Vorzug, weil ein Paar selbst bei häufigem Geschlechtsverkehr durchschnittlich drei Monate braucht, bis die Frau schwanger wird. Spätestens bis dahin muss sie - rein biologisch betrachtet - mit ihm zusammenleben und will das natürlich lieber mit jemandem tun, mit dem sie in dieser Zeit etwa zwei Millionen Wörter wechseln kann. Doch auch da gibt es eine Grenze: Ein zu lustiger, virtuoser Künstlertyp darf er nicht sein. Dann wird ihm auch langfristig der starke, verlässliche Beschützer vorgezogen.

SZWissen: Führt diese immer feinere Spezialisierung sexueller Geschmäcker nicht zu einem evolutionären Nachteil für den Menschen, weil es schwieriger wird, sich fortzupflanzen?

Miller: Es macht die Suche für den Mann schwieriger, klar. Er muss mehr Frauen treffen, bis es passt, und sie muss eine schwierigere Wahl treffen als einst. Aber die Zahl der Menschen und die Auswahl sind auch größer geworden.

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