Ernährung:Fett erst Recht

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Es begann mit Atkins: Seitdem Eier und Speck nicht mehr verboten sind, ist Bewegung in der Diät-Szene.

Von Klaus Koch

Mittag- und Abendessen übersteht man gut - wenn man Fleisch mag. Ein halbes Hähnchen und etwas Salat ist ok, auch ein Steak mit Gemüse; abends vielleicht Geflügelsalat und Mandeln, oder gegrillten Lachs mit Bohnen. Das Frühstück aber wird zur Bewährungsprobe. Wenn man eine Woche lang Eierspeisen und ungesüßten Milchkaffee gefrühstückt hat, verzichtet man irgendwann ganz auf ein Morgenmahl.

Stark durch Fleisch: Klassische Ernährung ist in großem Maße auf Kohlenhydraten aufgebaut. Moderne Diäten gewinnen Kraft aus dem Eiweiß. (Foto: Foto: Barbara Bonisolli)

Wer sich auf die Atkins-Diät einlässt, bekommt am eigenen Leib zu spüren, wie entscheidend unsere Ernährung auf Getreide aufgebaut ist. Brot, Reis und Nudeln bestehen vor allem aus Stärke, die wiederum letztlich aus Zucker. Zählt man Kartoffeln und andere Quellen hinzu, machen "Kohlenhydrate" - so der Sammelbegriff - mehr als die Hälfte unserer Kalorien aus.

Und genau diese Hälfte ist in der ersten Phase einer Atkins-Diät fast völlig tabu. Nicht einmal ein halbes Brötchen ist drin, auch kein noch so liebevoll gemischtes Müsli.

Die Auswahl an Speisen schrumpft drastisch. Die Folge ist, dass man immer wieder nichts isst, weil man schlicht nichts Passendes findet. Verzicht ist zwar nicht das Schlechteste, wenn man abnehmen will. Aber er sorgt dafür, dass niemand eine Atkins-Diät lange durchhält, der Schwierigkeiten hat, an einer appetitlich duftenden Bäckerei vorbeizugehen.

Dennoch: Der Verzicht auf Pasta, Pizza und Pane erlebt derzeit einen Boom, Bücher zu Atkins oder den Varianten "South-Beach" oder "Zone" sind auch in Deutschland Bestseller. "Low-Carb" - das englische Schlagwort für wenig Kohlenhydrate - ist der Sammelname für diese Diäten, deren Grundidee darin besteht, weniger Zucker und Stärke zu essen.

Offensichtlich sorgt der Frust über die bisherigen Diäten für die neue Experimentierfreude. Und die sollte man mitbringen: Denn was der verstorbene US-Kardiologe Robert Atkins seit 1972 zum Abnehmen empfohlen hat, stößt bei der Mehrheit der Experten auf Skepsis oder gar erboste Ablehnung.

Frischer Wind

Während sie die Welt vor Fett warnen und Vollkornprodukte und Gemüse empfehlen, gibt Atkins den entgegengesetzten Rat: Fisch, Geflügel und Fleisch essen, samt Fett bis man satt ist, dazu etwas Salat und Gemüse.

Auch wenn diese Kombination sicher nicht als langfristige Ernährung empfohlen werden könne, "hat sie frischen Wind in die Ernährungswissenschaften gebracht", sagt Hans-Georg Joost, Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Nuthetal bei Berlin.

Altgediente Expertengremien wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung stehen plötzlich unter Rechtfertigungsdruck. Denn man kann nicht behaupten, dass ihre bisherigen Empfehlungen erfolgreich waren.

Die Kernthese der vergangenen 30 Jahre lautete: Fett macht fett. Und ist außerdem ungesund.

Die Logik war einfach. Pro Gramm enthalten Stärke und Protein etwa vier Kilokalorien, Fett aber neun. Bei gleicher Menge führt man sich mit Butter folglich mehr als doppelt so viele Kilokalorien zu wie etwa mit Nudeln.

Fettanteil sinkt

Das Symbol für die Anti-Fett-Welle ist die "Ernährungspyramide" des US-Landwirtschaftsministeriums, auf der auch die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung basieren: Wer schlank und gesund bleiben will, soll demnach vor allem auf Brot, Nudeln, Reis und Kartoffeln setzen; der Fettanteil sollte weniger als 30 Prozent aller Kalorien ausmachen.

Die Anti-Fett-Kampagne hatte durchaus Wirkung. In Deutschland sank der Fettanteil an den Kilokalorien seit Mitte der 80er Jahre von 40 auf 33 Prozent. Ein Erfolg war das trotzdem nicht, denn die Deutschen stürzten sich zwar mit Heißhunger auf die empfohlenen Kohlenhydrate, gleichzeitig bewegten sie sich aber weniger.

Das Ergebnis: Die Rate der zu dicken Erwachsenen hat sich im selben Zeitraum verdoppelt, jeder zweite Erwachsene gilt heute als übergewichtig.

Und Frust gibt es auch bei denen, die überflüssige Pfunde wieder los werden wollen. Nach einer Forsa-Umfrage vom April 2004 hat jede zweite Frau in Deutschland bereits einen Abspeckversuch hinter sich, jede Fünfte hat sogar schon mehr als fünf Mal versucht, durch Fettverzicht, FdH ("Friss die Hälfte") oder einen anderen Tipp der Frauenzeitschriften abzunehmen.

Wenig Beweise

Das gelingt zwar fast immer, aber keine Diät kann langfristige Erfolge vorweisen: In 18 bis 19 von 20 Versuchen sind die Pfunde nach spätestens zwei Jahren wieder da.

Doch auch die Fürsprecher von Low-Carb-Diäten, die den weitgehenden Verzicht auf Kohlenhydrate propagieren, haben wenig Beweise für den Erfolg ihrer Strategien.

Den Stand des Wissens beschreibt ein Versuch an 132 Freiwilligen am Veterans Affairs Medical Center in Philadelphia. 130 Kilogramm wogen die Probanden im Durchschnitt, die meisten litten bereits unter Diabetes oder zeigten deutliche Entgleisungen des Stoffwechsels.

Eine Hälfte hielt sich an herkömmliche Ernährungstipps, um am Tag 500 Kilokalorien einzusparen und ihren Fettkonsum unter 30 Prozent zu drücken. Die andere Hälfte sollte soviel à la Atkins essen, wie sie wollte: Statt Brot, Kartoffeln und Nudeln also Fleisch, Eier und Milchprodukte. Auch stärkefreies Gemüse und Obst waren empfohlen.

"Die Ergebnisse überraschten auch Experten", räumt Andreas Hamann von der Universität Heidelberg ein, Sprecher der Deutschen Adipositas-Gesellschaft: Binnen sechs Monaten verloren jene Probanden, die zu Steaks und Geflügel griffen und deren Fettanteil auf über 40 Prozent stieg, deutlich mehr Gewicht als diejenigen, die den üblichen Wenig-Fett-Empfehlungen gefolgt waren - im Durchschnitt sechs statt zwei Kilogramm.

Grün ist die Hoffnung - aber Rohkost ist nicht der Ernährungs-Weisheit letzter Schluss: Auf die Mischung kommt es an, sagen Experten. (Foto: Foto: Barbara Bonisolli)

"Langfristig schwer durchzuhalten"

Zudem verbesserte sich entgegen der allgemeinen Vorhersage der Stoffwechsel während der Protein/Fett-Phase. Allerdings zeigt die Studie auch die Grenzen der Atkins-Diät. Nach einem Jahr unterschied sich das Gewicht nicht mehr zwischen den beiden Gruppen, beide hatten etwa 8,5 Kilogramm verloren.

Zudem: Jeder Dritte hatte innerhalb eines Jahres aufgegeben. "Eine Atkins-Diät ist offensichtlich langfristig nur schwer durchzuhalten", sagt Joost.

Dennoch wollen Forscher erkennen, warum die Atkins-Diät überhaupt wirkt. "Vermutlich ist es eine Kombination aus begrenzter Nahrungsvielfalt und besserer Sättigung durch den hohen Proteinanteil", folgerte eine Gruppe um Arne Astrup von der Universität Kopenhagen Anfang September in der Medizinzeitschrift Lancet.

Solange man abnehme, spreche nichts dagegen, die Diät einige Monate zu versuchen. "Ob sie langfristig gesund ist, wissen wir nicht", warnt Astrup.

Dass man überhaupt mit viel Fett und Protein abnehmen kann, stellt die alten Empfehlungen bereits in Frage. In den USA wird derzeit die Ernährungspyramide überarbeitet.

Von Low-Carb zu Logi

Es gibt zwar niemanden, der eine Ablösung durch das radikale Atkins-Konzept vorschlägt, aber immerhin plädieren einige Wissenschaftler dafür, nicht mehr länger Getreide und andere Kohlenhydrat-Quellen als wichtigste Basis einer gesunden Ernährung zu propagieren.

Prototyp dieser konkurrierenden Empfehlungen ist die "Logi-Pyramide", die eine Gruppe um den Kinderarzt David Ludwig von der Harvard-Universität in Boston entworfen hat. Auch sie ist eine "Low-Carb"-Ernährung.

Doch weil das Logi-Konzept nicht Fleisch und Fisch, sondern Obst und Gemüse in den Vordergrund rückt, die selbst Kohlenhydrate enthalten, "fällt die Verringerung im Vergleich zu Atkins nur relativ mäßig aus", sagt der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm, der das Konzept in seinen Büchern bekannt machen will.

Obst und Gemüse statt Fisch und Fleisch? Hauptsache, der Stoffwechsel ist okay

Die Fachwelt ist aber auch bei der Beurteilung dieser Variante gespalten. Vielversprechend erscheine das Konzept "vor allem bei Übergewichtigen, denen Diabetes droht", meint Joost.

Das ist jene Gruppe, die bessere Ernährungsratschläge am nötigsten braucht, um ihren Stoffwechsel wieder in den Griff zu bekommen. Die Grundidee der Logi-Pyramide ist es, den Insulinspiegel möglichst niedrig zu halten.

Das Hormon wird während einer Mahlzeit von der Bauchspeicheldrüse freigesetzt, sobald die Blutzuckerkonzentration ansteigt. Manche Kohlenhydrat-Varianten, beispielsweise die Stärke in Weißbrot und Kartoffeln, können zu einem steilen Anstieg der Zuckerkonzentration im Blut führen.

Das provoziert die Freisetzung von entsprechend viel Insulin. Das Hormon zwingt dann Leber, Muskeln und Fettgewebe, den Zucker aus dem Blut aufzunehmen, teilweise in Fett umzuwandeln und abzuspeichern. "Insulin ist ein Masthormon", sagt Worm.

Gleichzeitig sorgt zu viel Insulin dafür, dass der Blutzuckerspiegel nach einer Mahlzeit rapide wieder abfällt. Oft sackt er dann so tief, dass sich erneut der Appetit meldet. "Viele Kohlenhydrate machen eher noch mehr Hunger", sagt Joost.

Dem will die Logi-Diät begegnen, indem sie die "glykämische Last" verringert: Zum einen wird die Kohlenhydrat-Menge halbiert, zum anderen werden Kohlenhydrat-Arten bevorzugt, die langsam verdaut werden und den Blutzuckerspiegel moderat steigen lassen: Vollkornprodukte.

Mit der Unterscheidung zwischen hoher und niedriger glykämischer Last gerät auch ein altes Dogma der Ernährungswissenschaften auf den Prüfstand. Die meisten Experten sind überzeugt, dass es gleichgültig ist, ob Kalorien aus Fett, Eiweiß oder Zucker stammen, entscheidend ist nur die Gesamtmenge: Wer mehr isst als er verbraucht, nimmt zu, weil er den Überschuss als Fett ablagert.

Andere zweifeln aber an der simplen Erklärung. "Möglicherweise", sagt Worm, "beeinflusst auch die Zusammensetzung der Nahrung, wie der Körper mit Kalorien umgeht."

Dabei können schon kleine Verschiebungen auf lange Frist massive Konsequenzen haben. In einem Kilogramm Körpergewicht stecken etwa 7000 Kilokalorien. Wer also in einem Jahr ein Kilo zunimmt, hat im Durchschnitt pro Tag nur knapp 20 Kilokalorien Überschuss abgelagert.

Das entspricht bei einer Aufnahme von 2000 Kilokalorien pro Tag nur etwa einem Prozent des Konsums. "Solche kleinen Effekte sind bei Menschen nur schwer zu messen", sagt Joost.

Tierversuche in Ludwigs Bostoner Labor, die der Mediziner im August im Lancet veröffentlicht hat, stützen die Idee, dass der Stoffwechsel auch auf feine Unterschiede der Zuckerbelastungen reagiert. Die Forscher fütterten zwei Gruppen von Mäusen mit fast identischer Nahrung, die zu knapp zwei Dritteln aus Stärke bestand.

Der einzige Unterschied: Das Futter der einen Gruppe enthielt leicht verdauliche Stärke, das der anderen schwerer verdauliche. Nach neun Wochen hatten sich die Tiere mit der leicht verdaulichen Stärke fast doppelt so viel Fett angefressen wie die Vergleichstiere.

Das belege, dass die Zuckerbelastung "dramatische Effekte" haben kann, sagt Ludwig. Andere Forscher beginnen bereits, die Logi-Diät auch an Diabetikern zu erproben: In einer Versuchsreihe an acht Patienten sank der Blutzuckerspiegel stärker als durch Medikamente.

Um klarer zu sehen, was das Logi-Konzept taugt, sucht Ludwig in den USA jetzt Freiwillige, die die Diät über 18 Monate erproben wollen. Immerhin ist dann zum Frühstuck zur Abwechslung auch mal ein Vollkornmüsli mit Nüssen und Früchten in Ordnung.

© SZ Wissen vom 4.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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