Ernährung:Currywurst gegen Alzheimer

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Schutz vor Krankheit kann richtig Spaß machen. Der körperbetonte Leser jedenfalls findet in den täglichen Schlagzeilen ein Potpourri an erstaunlich lustvollen Ernährungstipps. Christina Berndt über allzu simple Ratschläge gegen komplizierte Leiden.

"Bier hemmt Brustkrebs", verspricht Spiegel online seinen Lesern schon mal. Und, noch ausgefallener: "Currywurst gegen das Vergessen" - der Farbstoff aus dem Curry helfe gegen Alzheimer. Ein einfaches Mittel gegen Krebs haben auch Ärzte vom Shanghai Cancer Institute parat: Soja schütze vor Gebärmuttertumoren - und "je mehr Frauen davon essen, desto kleiner ist ihr Risiko", weiß die britische BBC.

Das beste Mittel gegen Alzheimer? (Foto: Foto: dpa)

Ähnlich bevölkerungskonform raten Wissenschaftler aus dem Land der größten Kaffeetrinker (Finnland!) zu exorbitantem Kaffeegenuss: Mehr als zehn Tassen pro Tag schützen vor Parkinson, verkünden sie. Wenn das dem Deutschen zu viel ist, kann er auf das hier zu Lande beliebtere Bier zurückgreifen. Auch das hemmt nämlich die Entstehung von Parkinson, wenn man dem Deutschen Depeschendienst Glauben schenkt, der diese Meldung mit Verweis auf die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Brauwirtschaft verbreitet.

Currywurst, Kaffee, Bier, Tabletten

Currywurst, ein gepflegtes Bier, viel Kaffee und noch ein paar Vitaminpillen - schon scheint der disziplinierte Esser vor den schlimmsten Geißeln der Menschheit bewahrt. Selbst für die noch so kurios anmutenden Heilbringer lässt sich dabei eine überzeugend klingende Begründung finden: Bier enthalte ein Polyphenol namens Xanthohumol, das lasse in Laborversuchen Krebszellen absterben. Curcumin aus Curry sorge dafür, dass Hirnzellen schützende Eiweiße bilden. Und die viel gepriesenen Vitamine schließlich fingen im Körper aggressive Radikale ab, die das Erbgut schädigen können und somit theoretisch zu Krebs beitragen.

Freilich ist die Grundlage der Ernährungstipps aber oft nicht mehr als blanke Theorie. Niemand hat solche Zusammenhänge bisher belegen können. Das liegt nicht nur daran, dass der menschliche Körper derart komplex ist, dass Biochemiker seine Abläufe bis heute nur im Ansatz verstehen. Zudem stehen ihm Krankheiten wie Krebs und Alzheimer an Komplexität in nichts nach. So ist bis heute nicht einmal die Bedeutung der Vitamine für die Gesundheit geklärt.

Jetzt hat erst wieder Vitamin E, das lange als magischer Schutz vor Herzinfarkt und Krebs gehandelt wurde, einen Rückschlag erlitten. Dabei hatte sich das Vitamin seine positive Rolle nicht nur an Ratten, Mäusen oder Zellen in der Petrischale erarbeitet (wie das für Bier und Currywurst gilt). Vitamin E hatte (wie Soja und Kaffee) auf den ersten Blick den Olymp wissenschaftlicher Durchschlagskraft erklommen: In Studien an echten Menschen schien es Herzinfarkte und Schlaganfälle ebenso wie verschiedenste Krebsarten verhindert zu haben.

Oft andere Ursachen

Doch zu trauen ist nicht einmal solchen Studien. Wer Soja gegen Gebärmutterkrebs anpreist oder, wie es jahrzehntelang geschehen ist, Hormone gegen Herzinfarkt, weil er festgestellt hat, dass Frauen, die früher Soja oder Hormone geschluckt haben, seltener krank geworden sind, der macht einen großen Fehler: Er übersieht, dass Menschen, die freiwillig Pillen oder Essen mit eingebautem Gesundheitsversprechen zu sich nehmen, auch sonst anders leben als Menschen, denen es wurscht ist, ob ihre Wurst vor Alzheimer schützt.

Die Pillenschlucker treiben meist Sport, ernähren sich insgesamt gesünder, rauchen seltener und sind weniger dick. Kein Wunder, dass sie nicht so schnell krank werden.

Nur mit großem Aufwand werden die Ernährungsempfehlungen aus solchen all zu simplen Studien als Unsinn enttarnt. Dazu muss nämlich jemand eine ordentliche Studie entwerfen - wie die Women's Health Study aus den USA zum Thema Vitamin E. Fast 40 000 gesunde Frauen haben mehr als zehn Jahre lang daran teilgenommen. Die gigantische Studie hatte aber noch mehr Besonderheiten: Die Frauen wurden nicht im Nachhinein gefragt, wie viele Pillen sie freiwillig geschluckt haben.

Sie durften sich nicht einmal selbst aussuchen, ob sie gerne Vitamin E hätten, ein Aspirin (das das Herz schützen soll) oder nichts von beiden. Das Los entschied, und sie wussten auch nicht, wie. Das Ergebnis war niederschmetternd: Vitamin und Aspirin helfen gesunden Frauen gar nichts gegen Herzinfarkt und Krebs, berichten die Ärzte nun im Journal of the American Medical Association. Endlich ist zumindest diese Frage geklärt.

Deutsche zahlen mehr für Nahrungsergänzungsprodukte

Ungeachtet solcher Rückschläge, die die Ernährungsforschung immer wieder einstecken muss, wenn sie ihre Empfehlungen sauber überprüft: Gerne und zuversichtlich geben die Bundesbürger inzwischen 170 Millionen Euro pro Jahr für Nahrungsergänzungsmittel aus - Tendenz steigend.

Dabei weiß niemand, wie giftig die Pillen sind, wenn man sie über längere Zeit schluckt, und welche Dosis die richtige wäre. Vitamine sind keineswegs harmlos. Vor kurzem warnten Forscher von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, dass Vitamin E lebensgefährlich werden kann - sogar in Mengen, wie sie in manchen frei verkäuflichen Pillen enthalten sind.

Keine Substanz hat sich bisher als sicherer Krankheitsschutz für gesunde Menschen erwiesen. Die Gesundheitstipps, die Fachleute heute guten Gewissens geben können, sind nicht viel besser als das, was uns schon unsere Großeltern gesagt haben: weg mit den Zigaretten und allzu viel Speck auf den Rippen, her mit Spaß, Bewegung und ordentlichem Essen. "Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein und eure Heilmittel eure Nahrungsmittel", hat schon Hippokrates gesagt. So etwas wie Currywurst und Vitaminpillen hat er damit nicht gemeint.

© SZ vom 06.07.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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