Energie-Zukunft:Leben ohne Erdöl

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Warum die knappen Energiereserven die Gesellschaft dramatisch verändern werden.

Bert Beyers

Begeben Sie sich an einen belebten Ort in der Stadt. Setzen Sie sich irgendwo hin. Und beobachten Sie, wo überall Energie verbraucht wird: für die Beleuchtung, für den Transport, für die Kommunikation; in den Häusern, in Autos.

(Foto: Foto: dpa)

Auch in Kleidung und Nahrung sind große Mengen Energie enthalten, die man auf den ersten Blick gar nicht sieht. Nun stellen Sie sich vor: Alle diese Energie würde weniger werden, zuerst um zehn Prozent, dann um 25 Prozent, schließlich um 75 Prozent. Das ist der Prozess, den wir womöglich bis zur Mitte des Jahrhunderts erleben werden.

Der amerikanische Autor Richard Heinberg beschreibt ein solches Gedankenexperiment in seinem Buch "The Party's over". Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Veröffentlichungen in den Vereinigten Staaten, die der Frage nachgehen: Was geschieht, wenn die Erdölförderung ihren Höhepunkt, den so genannten Peak, überschreitet?

Nach Ansicht der Autoren steht der Peak unmittelbar bevor. Die Energiekrise wird lange andauern und sie wird schwierig zu meistern sein. Doch möglicherweise wird sie einen nachhaltigeren Lebensstil als heute zur Folge haben.

James Howard Kunstler wählt als Ausgangspunkt für eines seiner Szenarien in "The Long Emergency" eine beliebige Landstraße im Staat New York mit einer uniformen Ansammlung von Häusern, mit Fast-Food-Shops, Wal-Mart und Tankstelle.

Kunstler fragt: Wie sollen die Bewohner täglich 30, 50 oder gar 100 Meilen mit dem Auto zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren, wenn es kein billiges Benzin mehr gibt?

Die Antwort: Das wird nicht mehr möglich sein. Die typisch nordamerikanische Siedlungsform unendlicher Vorstädte ohne nennenswertes Angebot an öffentlichem Personennahverkehr, wird es so nicht mehr geben. Diese Siedlungen sind die Slums der Zukunft, prophezeit Kunstler.

Teurer Peak

Wenn der globale Erdöl-Peak erreicht ist, wird es immer noch riesige Mengen Öl im Boden geben. Doch wird es von diesem Zeitpunkt an immer schwieriger - gar unmöglich - werden, mehr Öl zu fördern als im Jahr zuvor. Der Peak markiert den Zeitpunkt zu dem die Nachfrage das Angebot übersteigt.

Und das wird teuer. Das Barrel Öl könnte dann 200 Dollar oder mehr kosten. Das Phänomen des Peaks hat erstmals der amerikanische Geologe Marion King Hubbert beschrieben. 1956 schätzte Hubbert, dass der Förderhöhepunkt der amerikanischen Produktion zwischen 1966 und 1972 liegen würde.

Unerbittlich auf dem Weg zum Maximum

Tatsächlich erreichten die USA ihren Peak im Jahr 1970 - was aber erst ein Jahr später offensichtlich wurde, als die Fördermengen kontinuierlich sanken. Heftige wirtschaftliche Verwerfungen waren die Folge.

Nun läuft die Welt als Ganzes unerbittlich auf das Fördermaximum für konventionelles Erdöl zu. Colin Campbell, ein Geologe, der lange Jahre auf den Lohnlisten von Ölgesellschaften wie Texaco, Amoco und BP stand, glaubt, dass es um das Jahr 2008 herum soweit sein wird.

Die zuständige deutsche Behörde, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, schätzt, dass das Ereignis innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahre eintreten wird.

Die amerikanischen Autoren diskutieren sämtliche Alternativen: von den Ölsänden in Kanada, über die fossilen Energieträger Erdgas und Kohle bis hin zu den regenerativen Energieträgern Sonne, Wind und Wasserkraft; hinzu kommen Geothermie und Atomenergie.

Heinberg und Kunstler kritisieren den Glauben, Öl könne durch regenerativ erzeugte Energie ersetzt werden. Denn regenerative Energiesysteme sitzen auf einem Fundament billiger fossiler Energie auf.

Bei der Windenergie zum Beispiel verbrauchen unter anderem die Windräder und sämtliche Transport- und Servicefahrzeuge Öl. Und wenn dies nicht mehr billig zur Verfügung steht, wird auch regenerativ erzeugte Energie teurer.

Luxus Auto

Dann wird es Luxus sein, ein Auto zu besitzen. Derzeit sind die Vereinigten Staaten von einem Netz asphaltierter Straßen überzogen - insgesamt 2,6 Millionen Meilen. Die Fahrbahndecken bestehen im wesentlichen aus Öl. Sie müssen ständig gewartet werden.

Wenn das nicht mehr bezahlbar ist, werden sie schnell nicht mehr zu benutzen sein. Und was wird geschehen, wenn die Trucks nicht mehr fahren können, über die in den USA 64 Prozent des Güterverkehrs abgewickelt werden? Schwerwiegend werden die Auswirkungen der Ölknappheit auch auf die Landwirtschaft sein.

Kunstdünger etwa wird überwiegend aus Erdgas gewonnen, das nach Überschreiten des Peaks teurer werden wird. Hinzu kommt Benzin für den Traktor sowie die Energie für die Transport- und Kühlkette. Für jede Kalorie, die wir zu uns nehmen, wird fossile Energie verbraucht.

Der Bedarf an Energie wird weltweit steigen. Bevölkerungsreiche Schwellenländer, wie China, Indien und Brasilien, stehen gerade mal am Start. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die weltweite Energieproduktion bis 2030 um 60 Prozent steigen wird.

Ein Shell-Szenario rechnet mit einer Verdoppelung bis zum Jahr 2050. Ob das gelingen wird, ist nach allem, was man heute über den Erdöl-Peak weiß, fraglich. Wahrscheinlicher ist ein Szenario, in dem die Menschen heftig um knappe und damit teure Energie konkurrieren müssen.

© SZ vom 31.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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