Emotionsforschung:Zum Mitgefühl in sechs Sekunden

Wer Mitgefühl möchte, sollte seinem Gegenüber etwas Zeit lassen. Das Gehirn braucht einige Sekunden für diese Emotion - wie übrigens auch für Bewunderung.

Ch. Schrader

Wer Bewunderung für andere Menschen empfinden will, muss seinem Gehirn Zeit geben. Während Menschen Zeichen von körperlichem Schmerz bei anderen schnell wahrnehmen, brauchen sie sechs bis acht Sekunden länger, um etwa eine Leistung zu bewundern.

Mitgefühl, Sorge, dpa

Mitgefühl für die Sorgen anderer braucht länger, um zu entstehen, hält aber auch länger an.

(Foto: Foto: dpa)

Ähnlich verzögert ist die Reaktion des Gehirns, wenn es Mitgefühl für einen Menschen empfindet, der seelisch verletzt worden ist, haben Forscher um Antonio Damasio von der University of Southern California in San Diego erkannt. Er sieht Bewunderung und Mitgefühl als Basis für Moral, für Entscheidungen zwischen Gut und Böse. "Wenn es um moralische Urteile über die soziale oder psychologische Situation von Menschen geht, brauchen wir ausreichend Zeit", ergänzt die Erstautorin der Studie, Mary Helen Immordino-Yang (PNAS, online).

Sie erzählte ihren Probanden im Verlauf von zwei Stunden 50 kurze Geschichten, die meist tiefe Emotionen auslösten. Da verfolgten Menschen tugendhaft ihr Ziel gegen Widerstände oder vollbrachten mit körperlichem Geschick Höchstleistungen - und lösten so Bewunderung aus.

Andere Figuren verdienten Mitgefühl, weil sie Trauer empfanden oder weil sie körperlich verletzt worden waren. Danach mussten sich die Teilnehmer all diese Geschichten in einem Magnetresonanz-Tomographen ins Gedächtnis rufen; die Maschine zeichnete den Verlauf der Emotionen im Hirn auf. Bewunderung und soziales Mitgefühl ergriffen nicht nur später vom Gehirn Besitz als Mitleid bei körperlichem Schmerz, sie hielten auch länger an.

Dabei bezogen die Versuchsteilnehmer die Emotionen auf sich selbst. Betrafen die Gefühle Körperliches, also Schmerz oder Geschick, waren auch Teile der Muskel- und Skelettsteuerung aktiv. Ging es hingegen um psychologische Faktoren, um Tugend oder Trauer, dann analysierte das Gehirn physiologische Vorgänge.

Die Probanden berichteten von erhöhter Selbstwahrnehmung. Viele sagten den Forschern spontan, sie hätten ein starkes Bedürfnis empfunden, ein bedeutungsvolles Leben zu führen. Einige lehnten die übliche Entlohnung ab, die Probanden bei Versuchen an Universitäten bekommen. "Wir benutzen offenbar das Gefühl unserer eigenen Körper um zu entscheiden, wie wir auf die soziale oder psychologische Situation von Anderen reagieren sollen", sagt Immordino-Yang.

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