Einfluss der US-Regierung auf Forschungsberichte:Was nicht passt, wird passend gemacht

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Das Weiße Haus und die US-Bundesbehörden haben seit Bushs Amtsantritt systematisch Wissenschaftler behindert, um unerwünschte Ergebnisse zu unterdrücken. Und das betrifft nicht nur die Forschung zum Klimawandel.

Hubertus Breuer

Im Jahr 2002 erklärte ein ranghoher Berater des amerikanischen Präsidenten dem Reporter Ron Suskind von der New York Times, wie die Bush-Administration funktioniere.

"Leute wie euch nennen wir realitätsfixiert. Ihr glaubt, dass sich Lösungen durch die sorgfältige Analyse der Wirklichkeit ergeben. So funktioniert die Welt nicht mehr. Wir sind ein Imperium. Wenn wir handeln, schaffen wir unsere eigene Realität."

Im zweiten Jahr der Bush-Regierung, unter dem Eindruck der Katastrophe des 11. Septembers, mochte das wie der anmaßende Ausdruck eines Missionars geklungen haben.

Doch lag diese Aussage näher an der Wahrheit, als Suskind wohl ahnte.

Wie sich inzwischen zeigt, haben das Weiße Haus und die Bundesbehörden seit Bushs Amtsantritt systematisch Forschungsergebnisse torpediert, die politisch unbequem waren. Etwa indem genehme Funktionäre an Schaltstellen zwischen Politik und Wissenschaft eingesetzt, Forschungsberichte von Behörden zensiert oder staatlich besoldete Wissenschaftler gegängelt wurden.

Doch nun holt die geschmähte Realität die Bush-Regierung ein.

Gerade ist in den USA das akribisch recherchierte Buch "Undermining Science" des Journalisten Seth Shulman erschienen, in dem er ein umfassendes Sündenregister des Weißen Hauses auflistet.

Zudem gibt es, seitdem die Demokraten im vergangenen Januar in beiden Parlamentshäusern die Mehrheit übernommen haben, Untersuchungen dazu, wie die Regierung wissenschaftliche Berichte manipuliert hat.

So warf der Vorsitzende des Reformausschusses im Repräsentantenhaus, Henry Waxman, der Administration bei einer ersten Anhörung Ende Januar vor, sie habe versucht, die amerikanische Öffentlichkeit über den Klimawandel in die Irre zu führen.

Bestätigend legte bei dieser Gelegenheit die Lobbygruppe Union of Concerned Scientists (UCS) die Ergebnisse einer Umfrage unter 1600 mit Klimaforschung befassten Regierungswissenschaftlern vor: 73 Prozent hatten innerhalb der vergangenen fünf Jahre politische Einmischung in die Forschung beobachtet. Gut die Hälfte gab an, sie sei gedrängt worden, nicht öffentlich von "Klimaerwärmung" zu sprechen.

Erst in vergangenen Tagen wurde, trotz laufender Untersuchungen im Kongress, eine aktuelle Anweisung bekannt, nach der Mitarbeiter der Naturschutzbehörde Fish and Wildlife Service in Alaska auf Auslandsreisen nicht unbefugt Kommentare zur Erderwärmung, gefährdeten Eisbären oder dem Eisschwund in der Arktis abgeben dürften.

Kein Wunder, dass inzwischen über 11000 US-Forscher eine im Dezember veröffentlichte Erklärung der UCS unterzeichnet haben, in der sie gegen die eklatanten Manipulationsversuche der Bush-Regierung protestieren - darunter mehr als 50 Nobelpreisträger sowie frühere Wissenschaftsberater demokratischer und republikanischer Präsidenten.

Vom Umweltrat zum Ölkonzern

Die Klimaforschung ist zweifellos das erschreckendste Beispiel der Wissenschaftsfeindlichkeit des Weißen Hauses.

Sie fand sich bereits im Rampenlicht der Öffentlichkeit, als 2005 bekannt wurde, dass Phil Cooney, seit 2001 Stabschef im Umweltrat des Weißen Hauses, wiederholt Regierungsgutachten zum Klimawandel verfälscht hatte.

Seine Hauptaufgabe bestand offenbar darin, Zweifel am Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und der Klimawandel in die Berichte zu streuen.

Ein ausgebildeter Wissenschaftler war er nicht. Bevor er in die Administration eintrat, hatte Cooney als Anwalt für die größte Lobby-Organisation der amerikanischen Ölindustrie, das American Petroleum Institute, gearbeitet. Nachdem er 2005 die Administration Bush wieder verlassen hatte, wechselte er zum Ölkonzern Exxon-Mobil.

Doch wie Shulman, der zuvor für die UCS gearbeitet hat, in seinem Buch dokumentiert, beschränkt sich die politische Einflussnahme keineswegs auf die Klimaforschung.

Der frühere stellvertretende Innenminister Stephen Griles, zuvor Lobbyist der in der National Mining Association organisierten Bergwerksbranche, sorgte während seiner Amtszeit dafür, dass Gutachten zum Kohletagebau in den Appalachen keine umweltschonenden Alternativen in Betracht zogen. Gesetzlich ist dies jedoch vorgeschrieben.

Die amerikanische Seuchenbehörde Centers for Disease Control (CDC) finanzierte im Jahre 2004 mit 170 Millionen Dollar Sexualerziehung für Mädchen, die ausschließlich Enthaltsamkeit propagierte - während es gleichzeitig die Mittel für Programme, welche Verhütung als probates Mittel nahelegten, drastisch kürzte.

Und das, obgleich es keinen Hinweis gibt, dass bloße Ratschläge unter jungen Frauen ungewollte Schwangerschaften tatsächlich verhinderten. Im Gegenteil.

Eine Studie der Columbia University aus dem Jahre 2002 zeigt, dass nahezu alle Frauen, die in jungen Jahren Keuschheit vor der Ehe geloben, ihr Gelübde letztlich doch brechen. Dabei benutzen sie oftmals keine Verhütungsmittel und lassen sich auch seltener auf sexuell übertragbare Krankheiten testen als Jugendliche, die kein Keuschheitsgelübde abgelegt haben.

Im Jahre 2003 wurde der "National Health Care Disparities Report" veröffentlicht, der den Zustand des amerikanischen Gesundheitssystems beleuchten sollte.

Im ersten Entwurf stellten Wissenschaftler fest, dass Angehörige von Minderheiten medizinisch deutlich schlechter versorgt seien als weiße Amerikaner.

Doch die von der Administration eingesetzten Funktionäre wollten davon nichts wissen. Sie strichen die meisten Beispiele.

Das Fazit der Forscher, dass diese Minderheiten "einen hohen Preis zahlen", las sich dann so: "Einige bevorzugte Bevölkerungsteile erhalten in manchen Aspekten eine ebenso gute oder bessere Gesundheitsfürsorge als andere Gruppen."

Erst als sich einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler an die Presse wandte, erschien der Bericht in der ursprünglichen Fassung.

Periodensystem der Skandale

Die Bush-Regierung stellt oft sicher, nur genau das erzählt zu bekommen, was sie auch hören will. Ehe Forscher als Berater tätig werden, erkundigen sich Bush-Funktionäre nach ihren politischen Ansichten. Für das Komitee, das Vorschläge für neue Bleigrenzwerte in Wandfarben vorlegen sollte, lehnte der Gesundheitsminister Tommy Thompson in einem beispiellosen Vorgang die Vorschläge der CDC ab.

Stattdessen wählte er bewusst Wissenschaftler aus, die bekannt dafür waren, dass sie den Status Quo für ausreichend hielten - eine Minderheitenmeinung unter Toxikologen.

So ließen sich die Beispiele weiterführen. Die Protesterklärung der 11.000 Naturwissenschaftler gegen politische Eingriffe listet die Vorfälle in Form eines chemischen Periodensystems auf.

Dort steht auf dem Platz von Wasserstoff (chemisches Zeichen H) der Umgang mit der HIV-Aufklärung, für Sauerstoff (O) die Ölbohrung in der Nähe von Trinkwasseradern und für Kohlenstoff (C) der Klimawandel. 62 Manipulationen von A bis Z tauchen auf: A steht für "Army Science Board" - ein Ingenieur konnte für den Wissenschaftsvorstand der Armee nicht nominiert werden, weil er angeblich die Präsidentschaftskampagne von John McCain unterstützt hatte.

Z steht für "Ground Zero Air". Angeblich hat die Umweltbehörde EPA nach dem 11. September den Rettungsmannschaften am World Trade Center wider besseren Wissens versichert, dass die Luft ungefährlich sei. Verantwortlich damals: die heutige Außenministerin Condoleezza Rice. Seither sind viele Retter erkrankt.

Selbstverständlich weisen Regierungsbeamte solche Vorwürfe zurück: "Ich kann aus meiner persönlichen Erfahrung bezeugen, dass diese Regierung die Politik des Präsidenten umsetzt, die Wissenschaften stark zu unterstützen und bei Entscheidungen die höchsten wissenschaftlichen Standards anzulegen", hatte zum Beispiel Bushs Wissenschaftsberater John Marburger schon 2004 zu einem früheren Report der UCS geschrieben.

Doch die Diskussion ist fast schon über die bloße Beweisführung hinaus. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, warum die Bush-Regierung Naturwissenschaft und Politik so vermengt hat.

Nach dem Wahlsieg im Jahr 2000 war zu erwarten, dass Großindustrie, evangelikale Christen und Neokonservative, die George W. Bush zum Amt verholfen hatten, dafür eine politische Gegenleistung einfordern würden. Dennoch bleibt die glaubensbasierte Politik des mächtigsten Mannes der Welt für auf die Wirklichkeit fixierte Menschen letztlich rätselhaft.

Von seinem Vater, dem Ex-Präsidenten George H. W. Bush, kann er das nicht haben. Dieser hatte 1990 erklärt: "Angesichts solcher Probleme wie Klimawandel, Aids oder Genmanipulation (...) muss sich die Regierung mehr denn je auf den unparteiischen Ratschlag der Naturwissenschaften verlassen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen."

© SZ vom 14.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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