Deutscher Zukunftspreis 2008:Unmoralisch und nicht mal neu?

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Ein Herzchirurg der Medizinischen Hochschule Hannover hat kranken Kindern neuartige Herzklappen eingepflanzt - und wurde für den Zukunftspreis nominiert. Nun gibt es heftige Kritik.

Christina Berndt

Wenn eine hochkarätige Jury für den Bundespräsidenten nach den zukunftsträchtigsten Innovationen aus Deutschland sucht, dann blickt sie nicht unbedingt nach Chisinau, die Hauptstadt Moldawiens. Des ärmsten Landes in Europa.

Axel Haverich (Foto: Foto: dpa)

Dieses Jahr haben die Juroren doch dorthin geschaut. Denn in Chisinau hat Axel Haverich ein Experiment gewagt. Der Herzchirurg von der Medizinischen Hochschule Hannover pflanzte kranken Kindern neuartige, mitwachsende Herzklappen ein, die er entwickelt hat.

Nur Schafe waren vor den moldawischen Kindern in den Genuss der hannoverschen Innovation gekommen. Nun ist Haverichs Team als eines von vieren für den Zukunftspreis des Bundespräsidenten nominiert worden. Pünktlich zur Nominierung wagte Haverich jetzt, sechs Jahre nach der ersten Operation in Chisinau, den Eingriff auch bei einem deutschen Kind. Anfang Dezember könnte seine Arbeit zum Aushängeschild deutscher Innovationsfreude gekürt werden.

Ob die Zukunftspreis-Jury etwas von den moldawischen Kindern ahnte? "Die Problematik war uns bewusst", sagt Günter Stock, Jury-Vorsitzender und Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. "Wir haben uns trotzdem getraut, Herrn Haverich zu nominieren."

Stock äußert "Verständnis dafür, dass jemand ins Ausland geht, wenn er hier von Pontius zu Pilatus läuft", bis er einen Versuch durchführen könne. Außerdem habe Haverich in Chisinau eine Ethikkommission ins Leben gerufen und damit "auch medizinethisch einen großen Beitrag geleistet".

Was Haverichs Herzklappen so interessant macht: Sie wachsen allem Anschein nach mit dem Körper der Kinder mit. Es handelt sich um Herzklappen von Leichen, von denen sämtliche Zellen des Toten heruntergespült werden, bis nur noch ein Kollagengerüst zurückbleibt, das im Körper der kranken Kinder von eigenen Zellen besiedelt wird. Haverich hat Anzeichen dafür, dass die Kinder mit seinen Herzklappen nicht wieder und wieder operiert werden müssen, wenn sie größer werden. Gesichert ist es nicht.

An seinem Vorgehen kann Haverich nichts Schlimmes finden. Die Wahl sei auf Moldawien gefallen, weil sein Oberarzt Serghei Cebotari, der die Klappen an den Schafen getestet hatte, von dort stammt. Außerdem hätten die Kinder von der Behandlung profitiert, sagt der Chirurg, der nicht nur ärztliche Interessen hat: Die zugrundeliegende Technologie wird derzeit von der Firma Corlife zur Marktreife gebracht, deren Geschäftsführer Haverich ist. "Die Kinder hatten keine Alternative. Die wären sonst nicht operiert worden", sagt der Mediziner. Und in Deutschland sei es "damals nicht möglich gewesen", seine Innovation zu testen. Die EU-Geweberichtlinie sei erst in der Umsetzung gewesen.

Die aber spielt für die Behandlung einzelner Patienten gar keine Rolle. "Er hätte damals auch in Deutschland solche Heilversuche vornehmen können", widerspricht die Medizinrechtlerin Brigitte Tag von der Universität Zürich. "Er wollte das Risiko offenbar nicht eingehen." Schließlich gebe es hier "eine ganz andere Rechtsdurchsetzung, wenn etwas schiefgeht". Tag betrachtet den Gang ins Ausland kritisch - "vor allem in Länder, in denen der Patient nur Rechte auf dem Papier hat". Hierzulande sei der Gesetzgeber ein Hindernis für Forscher, "aber er ist das aus guten Gründen".

Der Philosoph und Transplantationsethiker Hartmut Kliemt äußert zwar "ein gewisses moralisches Verständnis" für Haverich. Ethisch hochrangig wäre es in seinen Augen jedoch gewesen, wenn der Chirurg den Eltern der Kinder neben den experimentellen auch herkömmliche Herzklappen angeboten hätte. "Die Ehrung kann man dem Bundespräsidenten nicht empfehlen", sagt der Professor von der Frankfurt School of Finance and Management. "Es wäre ja eine Empfehlung an deutsche Forscher, ihre Karnickelversuche im Ausland zu machen - bei denen, die sich nicht wehren können."

Angstschweiß auf der Stirn

18 Kinder wurden inzwischen in Moldawien operiert. Eines starb neun Monate nach dem Eingriff an einer Embolie, den anderen geht es gut. "Glücklicherweise ist es in Moldawien bisher soweit gut gegangen", sagt die Autorin Martina Keller, von der gerade ein Buch zur Gewebespende erschienen ist ("Ausgeschlachtet - Die menschliche Leiche als Rohstoff", Econ-Verlag). Aber es hätte auch anders ausgehen können: "Es gibt nicht umsonst strenge Vorschriften für die Zulassung solcher Herzklappen."

Dass die Versuche riskant waren, räumt Haverich ein: "Für die ersten Operationen haben wir unseren Mut zusammengenommen." Vor zwei Monaten habe sein Team einen weiteren Schritt gewagt - die Herzklappen auch an die stärker belastete Seite des Herzens in der Nähe der Aorta zu pflanzen. "Da hatten wir noch mal Angstschweiß auf der Stirn."

Abseits der Moral stellt sich auch die Frage nach der Innovationskraft der Hannoveraner: An der Berliner Charité hat ein Team um Wolfgang Konertz schon vor Jahren mitwachsende Herzklappen entwickelt - und an Patienten getestet. "Sie sind seit 2004 zugelassen; einige hundert Kinder haben sie bekommen", sagt Konertz, der die Jubelmeldungen aus Hannover barsch eine "Verarschung" nennt.

Die Charité-Ausgründung Autotissue habe für die Herzklappen 2002 den Innovationspreis Berlin-Brandenburg bekommen. " Haverich ist jetzt da, wo wir 2000 waren", sagt Konertz. Autotissue verwende inzwischen Schweine-Klappen und nicht mehr die knappen Klappen Toter.

Was sagt Horst Köhler zu alldem? "Der Bundespräsident kommentiert die Vorschläge der Jury nicht", heißt es. Zu lesen aber ist Folgendes: "Ich bin sicher: Bei der Preisverleihung werden wir Menschen erleben, die mit ihren Ideen und dem Willen, diese auch umzusetzen, Vorbilder für uns alle sind."

Bei dem Text handelt es sich um die korrigierte Fassung eines Artikels, der am 18.10.2008 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.

© SZ vom 18.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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