Der Stör in Deutschland:Rückkehr eines lebenden Fossils

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Sei 1968 gilt der Europäische Stör in Deutschland als ausgestorben. Nun werden die Fische in Oder und Elbe ausgewildert.

Michaela Ludwig

Frank Fredrich streckt den Daumen in die Höhe. "Ich habe ihn", ruft der Telemetriker den am Ufer wartenden Kollegen zu. Er sitzt im Steuerhaus seines Motorbootes und hat über Kopfhörer gerade ein metallisches Klackern vernommen. Augenblicke später erscheinen die Signale auch als Grafik auf seinem Bildschirm. Nun weiß er sicher: Ein Stör dreht direkt unter dem Boot seine Runden.

Wissenschaftler des Berliner Leibnitz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben Europäische Störe im Biosphärenreservat Elbtalaue ausgesetzt. (Foto: Foto: E. Hensel)

Wissenschaftler des Berliner Leibnitz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben an diesem sonnigen Septembermorgen 50 Europäische Störe ( Acipenser sturio) im Biosphärenreservat Elbtalaue bei Lenzen, 150 Kilometer flussaufwärts von Hamburg, ausgesetzt.

Die Jungstöre sollen Aufschluss darüber geben, inwieweit die Elbe heute wieder als Lebensraum geeignet ist. Dafür wurde einem der 30 Zentimeter langen Fische ein Sender implantiert. Dessen Schallwellen werden über ein Unterwassermikrophon aufgezeichnet. In den nächsten Wochen wird sich Frank Fredrich an die Schwanzflosse des Jungstörs heften und Daten sammeln.

Der letzte Europäische Stör wurde 1968 in der Eider gefangen. Seitdem gilt der Fisch, der bis zu drei Meter lang und mehr als 200 Kilogramm schwer werden kann, in deutschen Flüssen und in der Nordsee als ausgestorben.

Damit ist eine Art verschwunden, deren fossile Spuren 200 Millionen Jahre in die Zeit der Dinosaurier zurückreichen. Überbleibsel der Vergangenheit sind die langen, durch Knochenplatten geschützten Körper der Störe und die löffelförmigen Mäuler, die auf der Suche nach Krabben oder Würmern durch den Grund pflügen.

Laichplätze verloren, Wanderwege verbaut

Die meiste Zeit seines Lebens verbringt der Knochenfisch im Meer. Doch wenn er geschlechtsreif wird, wandert er hunderte von Kilometern die Flüsse hinauf und legt auf Laichgründen aus Kieselsteinen bis zu 2,5 Millionen dunkelgraue, klebrige Eier ab. Durch Begradigungen und Kanalisierung der Flüsse verlor er seine Laichplätze, Schleusen und Wehre verbauten seine Wanderwege. Endgültig ausgerottet wurde der beliebte Speisefisch jedoch durch intensive Fischerei.

Das Aussetzen der Jungstöre ist der entscheidende Schritt in der zwölfjährigen Geschichte des Forschungsprojekts, das vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) unterstützt und von verschiedenen Bundesministerien mit bisher sechs Millionen Euro finanziert wird.

"Mit der Wiederansiedlung des Störs hoffen wir, eine Art Wiedergutmachung für die Schädigung unserer Fauna betreiben zu können", sagt Henning von Nordheim vom BfN. "Dieses Projekt zeigt aber auch, wie aufwändig und teuer es ist, eine ausgerottete Art in ihren natürlichen Lebensraum zurückzubringen."

Voraussetzung dafür war eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit. Denn in freier Wildbahn haben nur einige hundert europäische Störe in der französischen Gironde überlebt. Erst im vergangenen Jahr war es französischen Forschern gelungen, künstlich Nachwuchs zu züchten. "Wir haben aus Frankreich 500 Jungstöre erhalten", sagt Projektleiter Jörn Geßner vom Berliner Leibniz-Institut. "Ein Teil davon schwimmt nun in der Elbe."

Vermuteten die Wissenschaftler vor zwölf Jahren noch, dass die Störe in Ost- und Nordsee und deren Zuflüssen zu derselben Art gehören, so widerlegten genetische Untersuchungen diese Annahme.

Damit eröffneten sich neue Wege: Die Analysen hatten gezeigt, dass der Ostseestör Nachfahr einer vor 1200 Jahren aus dem Atlantik eingewanderten Art ist, dem Amerikanischen Atlantischen Stör ( Acipenser oxyrinchus). Der lebt auch heute noch zahlreich vor der kanadischen Küste. Von dort konnten die Forscher deshalb Fische importieren, ohne eine genetisch fremde Art in den Lebensraum einzuschleppen.

Zwischenbilanz stimmt optimistisch

Der Besatz der Oder mit dem Atlantischen Stör war ein wichtiger Test für die Fischereibiologen. "Zusammen mit den polnischen Kollegen haben wir in den vergangenen zwei Jahren 35.000 junge Störe dort ausgesetzt", berichtet Jörn Geßner. Die Aussatztechnik selbst, das Ausstatten der Fische mit Sendern und die Überwachung per Boot konnten erprobt werden, ohne Druck auf eine bedrohte Fischart auszuüben.

Ihre Zwischenbilanz stimmte die Wissenschaftler optimistisch. Wie erwartet wanderten die Störe flussabwärts ins Stettiner Haff. Doch sie verhielten sich sehr unterschiedlich. "Einige legten bis zu 30 Kilometer am Tag zurück, andere blieben mehrere Tage an den Stellen, wo wir sie ausgesetzt hatten", sagt Jörn Geßner.

Einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen des Projekts liefern Fischer und Angler, die den Biologen Größe, Fundort und Gewicht melden, wenn sie die markierten Fische fangen. "Von den Fischern wissen wir, dass die Störe innerhalb von drei Monaten ihre Länge verdoppelt haben", sagt Geßner.

Auch in der Elbe sind die Wissenschaftler auf freiwillige Unterstützung durch Fischer angewiesen. Die begrüßen das Projekt. "Der Stör zieht die Aufmerksamkeit auf die Probleme der Wanderfischarten in der Elbe", sagt der Sprecher der Gemeinschaftsinitiative Elbfischer, Christian Köthke. "Der Weg durch den Fluss darf nicht verbaut werden."

Als Problem für die Rückwanderung des Störs sieht er die Wehr- und Staustufe in Geesthacht an. "Es gibt zwar eine Fischtreppe, aber die reicht für den Stör nicht aus. Er ist viel größer und träger als der Lachs." Auch die in Hamburg geplante Hafenvertiefung und das Kohlekraftwerk Moorburg sieht er kritisch.

Laut Henning von Nordheim vom BfN planen die Fischereibiologen in den kommenden Monaten, weitere mit Sendern versehene Jungstöre auszusetzen. Gleichzeitig verkündet er den Start eines neuen Projekts. Zur Vorbereitung eines nationalen Aktionsplans zur Wiedereinbürgerung werden nun auch Rhein, Ems, Weser und Eider auf ihre Eignung als Störhabitat untersucht.

Für Natur- und Artenschützer entlang der Flüsse ein Anlass zur Freude. Liefert doch der Stör ein neues, schwergewichtiges Argument gegen weitere Baumaßnahmen in westdeutschen Flüssen.

© SZ vom 11.09.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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