Châtelperron:Rendezvous in der Höhle

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In der Feengrotte im französischen Zentralmassiv könnten sich Mensch und Neandertaler begegnet sein. Zumindest haben sie sich abwechselnd in derselben Höhle aufgehalten. Vielleicht haben sie aber auch miteinander gejagt, gefeiert und sich sogar gepaart.

Hubert Filser

Es muss ein Rendezvous der besonderen Art gewesen sein, in der kleinen "Grotte des Fées", der Feengrotte an den nördlichen Flanken des französischen Zentralmassivs. Dort sind sie sich wohl begegnet, der späte Neandertaler, dessen Vorfahren seit zweihunderttausend Jahren hier durch die Steppe streiften, und der soeben eingewanderte moderne Mensch.

Schädel eines Neandertalers (Foto: Foto: dpa)

Dort, in diesem lauschigen Tal bei Châtelperron, müssen sie sich plötzlich gegenübergestanden haben, der gedrungene, geschickte Jäger und der grazilere Homo sapiens.

Doch wie lief das genau ab damals? Wissenschaftler sind mit Aussagen über den Kontakt zwischen Mensch und Neandertaler immer vorsichtig. Schon mangels geeigneter Aufzeichnungsmöglichkeiten vor etwa 38.000 Jahren müssen sie sich auf mühsam ausgegrabene und schwer zu datierende Knochen oder Steinartefakte stützen. Doch in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature berichten britische Wissenschaftler um Paul Mellars Erkenntnisse aus der Feen-Grotte, die belegen, dass sich sowohl Neandertaler wie moderne Menschen abwechselnd in dieser Höhle aufgehalten haben müssen.

Warum ist der moderne Mensch verschwunden?

Drei übereinander liegende Bodenschichten lassen sich aufgrund der darin eingeschlossenen Fundstücke wie Keile, Klingen oder Speerspitzen den beiden Kulturen Chatelperronien (Neandertaler) und Aurignacien (moderner Mensch) zuordnen - und zwar zeitlich so, dass zwischen zwei Neandertaler-Phasen der Mensch in diese Feengrotte einzog. "Eine hochinteressante Arbeit", sagt Ralf Schmitz vom Tübinger Institut für Ur- und Frühgeschichte. "Das bedeutet, dass der Neandertaler nicht vom modernen Menschen verdrängt wurde, sondern irgendwann noch einmal in sein Gebiet zurückkehrte." Die Frage ist: Warum ist der moderne Mensch zwischendurch verschwunden?

Lange galten die Neandertaler als die primitiven, dummen Wilden, die dem intelligenten Homo Sapiens nicht gewachsen waren. "Ich bin davon überzeugt, dass die Neandertaler sehr viel weiter entwickelt waren, als wir bislang dachten", sagt der Paläobiologe Friedemann Schrenk von der Universität Frankfurt.

Für die oft beschworene, gewaltsame Verdrängung des Neandertalers durch den modernen Menschen gebe es keine Belege. Schon aufgrund der geringen Besiedlungsdichte Europas war ein Krieg wohl kaum möglich.

Voneinander gelernt

Wahrscheinlicher ist eine gegenseitige kulturelle Befruchtung. "Vielleicht haben beide Schmuck oder Werkzeuge getauscht. Ich halte es für wahrscheinlich, dass beide voneinander gelernt haben", sagt Schrenk.

Die Höhle bei Châtelperron hatten Arbeiter schon 1840 beim Eisenbahnbau zufällig entdeckt. Es war einer dieser Glücksfälle, von denen die Archäologie bis heute lebt. Ein weiterer Glücksfall war, dass Henri Delporte bei großen Ausgrabungen 1951 bis 1955 Säcke mit unbehandeltem, noch nicht untersuchtem Material für künftige Generationen übrig gelassen hat.

Gleichzeitig ist die Geologie der Fundstätte gut dokumentiert. So konnten die britischen Forscher die organischen Funde dank einer Analyse der radioaktiven Kohlenstoff-14-Spuren datieren. Leider ist diese Messmethode nur auf ein paar hundert Jahre genau. Auf die Höhlensituation übertragen heißt das: Es könnte sowohl sein, dass sich Neandertaler und moderner Mensch praktisch in der Feengrotte die Klinge in die Hand gegeben haben, aber auch, dass die Höhle zeitweise leer stand.

Klar ist, dass beide wohl eine Zeit lang Nachbarn waren, in einigen Gegenden in Europa wie im nördlichen Kroatien dauerte diese Phase sogar 5000 Jahre lang. Ob sie auch miteinander gejagt, gefeiert und sich sogar gepaart haben, ist eine der spannendsten Fragen der Archäologie. "Dafür, dass sich Neandertaler und moderne Menschen vermischt haben, gibt es in unserem genetischen Material bislang keine Hinweise", sagt Ralf Schmitz.

Alle zehn molekularen Vergleiche weltweit von Neandertaler und modernem Mensch, etwa der von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig anhand der Mitochondrien-DNS, zeigen deutlich: Neandertaler haben keinen entscheidenden Beitrag zum menschlichen Genpool geleistet.

Der letzte gemeinsame Vorfahr von Neandertaler und modernem Menschen hat vor ungefähr 500.000 Jahren gelebt. Lokale, punktuelle Vermischungen könnte es aber durchaus gegeben haben. Man hat womöglich deren Überreste einfach nur noch nicht entdeckt. Wenn nicht in der Feengrotte, dann in irgendeiner anderen verwunschenen Höhle.

© SZ vom 1.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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