Chirurgen in der Kritik:Die Beutelschneider

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Klar, es gibt schwarze Schafe unter den Medizinern. Aber das Abkassieren durch "Nonsens-Operationen" hat System, sagt eine SWR-Reportage.

Markus C. Schulte von Drach

Wer mit Beschwerden zum Arzt geht, hofft auf Linderung seiner Leiden. Doch mancher erlebt eine böse Überraschung: Nicht nur, dass in Deutschland regelmäßig teure, aber sinnlose Operationen stattfinden - immer wieder führt die überflüssige Behandlung sogar zu noch größeren Problemen.

Knieoperationen sind offenbar häufig nicht notwendig. (Foto: Foto: AP)

Gern würde man diese Behauptung ins Reich der Verschwörungstheorien verweisen. Doch wie die "betrifft"-Reportage "Sinnlose Operationen - Abkassieren per Skalpell" des Fernsehjournalisten Frank Wittig im SWR am Montag belegen konnte, sind Patienten diesem Risiko tatsächlich ausgesetzt. Denn Medizin ist ein Geschäft, sagt Wittig. Es geht um Milliarden, nicht um das Werk von Menschenfreunden.

Deshalb ist es auch eine Illusion zu glauben, neue Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien würden im medizinischen Alltag schnell umgesetzt. Ein Beispiel ist die Behandlung der Kniegelenke bei Schmerzen. Allein in Deutschland kommt es jährlich bei etwa 70.000 Patienten zu einer sogenannten arthroskopischen Chirurgie, bei der Knorpel im Knie geglättet wird. 150 Millionen Euro werden durch dieses Standardverfahren umgesetzt, berichtet Wittig.

Dabei hatte der amerikanische Chirurg J. Bruce Moseley bereits 2002 eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass Patienten, die auf diese Weise operiert wurden, nach zwei Jahren noch genauso viel oder wenig Beschwerden haben wie jene, bei denen lediglich eine Scheinoperation vorgenommen worden war.

Und es kommt noch schlimmer: Die Behandlung ist nicht ohne Risiko, wie der Fall Bernhard L. zeigt. Der 55-jährige Unternehmer war nach dem Skiurlaub mit einem geschwollenen Knie zum Orthopäden gegangen, der Knorpelschäden diagnostizierte. Nach einem 17.000 Euro teuren Eingriff in einer Münchner Spezialklinik sollte der Patient bald wieder beschwerdefrei laufen können. Sieben Monate später humpelt der Mann noch immer. Es mehren sich die Hinweise auf einen Behandlungsfehler. So wurde deutlich zu viel Knorpel weggefräst. Und ob, wie von den Chirurgen versprochen, neues Gewebe entsteht, ist fraglich.

"Hightech-Schamanismus"

Haben wir es demnach bei diesem Eingriff mit "Hightech-Schamanismus" zu tun, wie Wittig kritisiert? Ist die chirurgische Arthroskopie eine "Nonsens-Operation mit gewissem Placebo-Effekt"?

Mediziner, für die solche Operationen zum Alltag gehören, zeigen sich natürlich davon überzeugt, dass die Moseley-Studie nicht bedeutet, "alle Arthroskopien bei älteren Patienten mit Schmerzen im Kniegelenk seien überflüssig und sinnlos", erklärt etwa Martin Engelhardt von der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft.

Warum aber taucht dann die Moseley-Studie nicht wenigstens in den Leitlinien der Gesellschaft auf? Schließlich, so erklärt Gerd Antes vom Deutschen Cochrane Zentrum in Freiburg, müssten die Fachgesellschaften sich darum kümmern, dass neue Erkenntnisse in der Versorgung der Patienten angewendet werden.

Tatsächlich beziehen sich die Leitlinien der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft derzeit auf Studien, von denen keine jünger als 15 Jahre ist. Der Vorstand habe aber inzwischen in Auftrag gegeben, das Dokument zu überarbeiten, erklärt Chirurg Engelhardt.

Das ist zu begrüßen. Doch es "drängt sich der Verdacht auf, dass solche Studien (wie die Moseley-Studie) bewusst ignoriert werden, weil sie das, was Tagesgeschäft ist, in Frage stellen", sagt Antes. "Der nächste Verdacht ist, dass es um finanzielle Aspekte geht."

Das hat sich Wittig vom SPD-Parlamentarier Karl Lauterbach bestätigen lassen. Es gibt im Falle der Knorpelglättung im Knie eine Überversorgung, genau wie zum Beispiel auch bei Augenoperationen, sagt der Gesundheitsökonom. Aber Überversorgung bedeutet Umsatz - und der ist von Ärzten und Krankenhausgesellschaften schließlich erwünscht.

140.000 Gebärmutterentfernungen jährlich

Das spiegelt sich offenbar auch in der Behandlung gutartiger Tumoren an der Gebärmutter wieder. Bei jährlich etwa 140.000 Frauen in Deutschland wird aufgrund dieser Diagnose die Gebärmutter entfernt - darunter nicht selten Patientinnen unter 35 Jahre. Der Eingriff, so weiß man beim Frauengesundheitszentrum in Berlin, wird von Ärzten - vor allem von Männern - standardmäßig empfohlen. Dabei gibt es Alternativen. Zum Beispiel vorerst nichts tun. Denn die meisten dieser gutartigen Myome sind bei der Entdeckung ungefährlich, und viele bleiben es auch. Doch die Operation bringt Geld: Auf etwa 600 Millionen Euro wird der Umsatz jährlich geschätzt.

Skeptiker könnten versuchen, die dramatischen Beispiele von Nonsens-Operationen, die Frank Wittig in seiner Reportage beschrieben hat, als Einzelfälle oder die Verfehlungen von schwarzen Schafen unter den Ärzten abzutun.

Und tatsächlich rettet die moderne Medizin Leben, wo Patienten noch vor zwanzig Jahren von chronischen Leiden und dem Tod bedroht waren, wie Wittig selbst zu Recht betont.

Doch wenn es besonders lukrativ ist, das Skalpell zu schwingen, wenn die Fachgesellschaften ihre Leitlinien vor allem im Interesse ihrer Mitglieder verfassen, braucht man sich nicht zu wundern, dass viele Ärzte sich eher für als gegen die Empfehlung eines Eingriffs entscheiden.

Und solange Patienten nicht ausreichend darüber aufgeklärt werden, welche teure Hightech-Therapie wann tatsächlich angebracht ist, bleiben dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Bleibt zu hoffen, das Beiträge wie "Sinnlose Operationen - Abkassieren per Skalpell" wenigstens einige Augen öffnen.

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