BSE:Warnung vor dem Schicksal der Kannibalen

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Der Rinderwahn ist fast in Vergessenheit geraten, Doch möglicherweise werden noch etliche Menschen sterben, die mit Prionen verseuchtes Rindfleisch verzehrt hatten. Darauf deutet eine Studie an einem früheren Menschenfresser-Stamm auf Papua-Neuguinea.

Ein Team von Wissenschaftlern um John Collinge befürchtet, dass BSE in Großbritannien in den nächsten Jahren noch eine große Zahl von Opfern unter der Bevölkerung fordern könnte.

Grund für ihre Warnung ist eine Studie an ehemaligen Kannibalen auf Neuguinea.

Bislang sind auf den britischen Inseln etwa 160 Menschen an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) gestorben, die sich über das Fleisch von BSE-Rindern infiziert hatten.

Frühere Befürchtungen, die Zahl der Todesopfer könnte in die Hunderttausende gehen, haben sich bisher nicht bestätigt. Da besonders junge Leute betroffen waren und die Krankheit einen schnellen Verlauf nimmt, war der Eindruck entstanden, alle Infektionen seien bekannt.

Doch das könnte ein Irrtum sein, befürchten die Forscher um John Collinge vom University College in London. Und dann wäre es möglicherweise nur eine Frage der Zeit, bis bei etlichen Menschen, die sich in den 80er und 90er Jahren über Rindfleisch mit den krankheitserregenden Prionen infiziert haben, vCJD ausbricht.

Krankheitsausbruch von Genen beeinflusst

Collinge und seine Kollegen aus Papua-Neuguinea und Australien untersuchten die Gene von elf Angehörigen des Stammes der Fore, die zwischen 1996 und 2004 an Kuru gestorben waren.

Kuru ist wie BSE und vCJD eine von Prionen ausgelöste Krankheit, die in den 20er Jahren erstmals unter den Fore auf Papua-Neuguinea ausgebrochen war und tausende Tote gefordert hatte.

Die Stammesmitglieder hatten sich offenbar bei kannibalischen Totenritualen infiziert. Erst als die australischen Behörden den Kannibalismus in den 50ern verboten, nahm die Zahl der Betroffenen ab.

Collinge und sein Team stellten fest, dass neun der elf untersuchten Kuru-Opfer ein bestimmtes Gen nicht besaßen, das zu einem schnellem Krankheitsausbruch führt.

Da der größte Teil der Weltbevölkerung - auch der britischen und deutschen Bevölkerung - dieses Gen nicht trägt, wird es nach Einschätzung der Forscher in den nächsten Jahrzehnten zu neuen Todeswellen kommen. Denn: Die Zeit zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit lag bei Kuru wahrscheinlich bei bis zu 56 Jahren.

"Frühere Schätzungen bezüglich der Ausmaße der vCJD-Epidemie, die von einer einheitlichen genetischen Anfälligkeit ausgingen, könnten deutlich zu niedrig liegen", warnt Collinges Team im Fachmagazin Lancet (Bd. 367, S. 2068, 2006).

Skeptische Kollegen

Eine Reihe ihrer Kollegen ist allerdings skeptisch. Denn: Kuru ist eine Krankheit, die zwischen Menschen und nicht von Tieren auf Menschen übertragen wurde. Vermutlich ist die Infektionsgefahr bereits deshalb für Kuru größer gewesen als bei BSE. Außerdem verzehrten die Fore Hirnmasse oder schmierten sie sich auf die Haut, während die Briten vor allem das nur wenig infizierte Muskelfleisch von Rindern gegessen hatten.

Wie die New York Times berichtet, bleibt Collinge trotz der Skepsis seiner Kollegen bei seiner Befürchtung. Zwar könne er keine konkrete Opferzahl angeben, so Collinge, doch glaube er nicht, dass die Krankheit verschwinde.

Risiko Separatorenfleisch

Die Briten hätten in den 80er Jahren große Mengen von so genanntem Separatorenfleisch verzehrt - Restfleisch, das maschinell von Knochen gelöst wurde, erklärte der Wissenschaftler der Zeitung.

Dabei war häufig Rückenmark und Nervengewebe in das Fleisch geraten - also Gewebe, das neben dem Gehirn am stärksten mit Prionen verseucht war.

Zwar gibt es in Großbritannien seit 1989 Bemühungen, dieses Gewebe aus Separatorenfleisch von Rindern herauszuhalten. Und in Deutschland ist die Herstellung seit Oktober 2000 verboten.

Doch Collinge bleibt dabei: Das Beispiel der Fore und die Analyse der Gene deuten darauf, dass auch in Europa noch Menschen infiziert sein könnten, bei denen aufgrund der langen Inkubationszeit die Krankheit erst in den nächsten Jahrzehnten ausbrechen wird.

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