Blütezeit:Blumen mit Gedächtnis

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Pflanzen wägen ab, wann die beste Zeit zum Blühen ist. Die einen orientieren sich an der Tageslänge, die anderen an der Temperatur - und gehen so der Konkurrenz aus dem Wege.

Katrin Blawat

Die ersten warmen Wochen des Jahres bedeuten für Pflanzen harte Arbeit. Sie müssen viel Energie dafür aufwenden, kompliziert gebaute Blüten zu bilden. Doch woher weiß eine Blume, wann sich dieser Aufwand lohnt?

Das Gen FLC verhindert, dass die Pflanze bei tiefen Temperaturen ihr Blüh-Programm anschaltet. (Foto: dpa)

Fällt sie auf die Natur ebenso leicht herein wie der Mensch, der sich im Winter in Straßencafés drängt, sobald der Föhn zwei warme Tage bringt? Eine Pflanze, die sich nur wenige Wochen im Jahr fortpflanzen kann, tut gut daran, eine mehrstufige Checkliste durchzugehen, ehe sie ihr Leben umkrempelt.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen: Es muss warm sein. Und zwar nicht nur einige Tage lang. Sechs Wochen lang mindestens 10,5 Grad: Das sind die Ansprüche, die etwa die Hallersche Schaumkresse stellt, wie Biologen um Hiroshi Kudoh ermittelt haben ( PNAS, online).

"Andere Pflanzen brauchen vielleicht nur vier Wochen Wärme, oder acht", sagt Kudoh. "Aber sechs Wochen sind eine sinnvolle Zeitspanne. Das ist lang genug, um Irrtümer auszuschließen und kurz genug, um den Wechsel der Jahreszeiten rechtzeitig zu bemerken."

Das pflanzliche Langzeitgedächtnis für Temperatur entdeckten die Forscher in einem Gen namens FLC. Je tiefer die Temperaturen sind, desto aktiver ist FLC und verhindert, dass die Pflanze ihr Blüh-Programm anschaltet.

"Es funktioniert wie die Bremse eines Autos", sagt Kudoh. Bei konstant höheren Temperaturen geschieht mit dem Gen etwas Ähnliches wie mit der Winterkleidung des Menschen: Es wird im Wortsinn weggepackt und macht Platz für die "Sommer-Gene". Pflanzen messen die Temperatur an ihren Blättern - wie sie das genau anstellen, weiß man jedoch noch nicht.

Höhere Temperaturen zeigen der Pflanze zwar, dass sie sich auf das Blühen vorbereiten sollte. Doch das eigentliche Startsignal ist ein anderes: die Tageslänge. Doch jede Pflanze versteht etwas anderes unter dem "richtigen" Verhältnis von hell und dunkel. Die Ackerschmalwand, über deren Vorlieben und Bedürfnisse Biologen am meisten wissen, braucht mindestens zwölf Stunden Helligkeit am Tag.

Anderen Arten ist das zu viel, sie müssen ihre Chance nutzen, solange es höchstens zehn Stunden lang hell ist. Es gilt also, auf recht geringe Unterschiede zu achten. Diese Aufgabe übernehmen Proteine in den Blättern, die Phytochrome. Sie werden vom Tageslicht aktiviert, und besitzt eine Pflanze genügend dieser aktivierten Proteine, startet sie ihr Blüh-Programm.

Pflanzen mit Torschlusspanik

Was aber soll eine Pflanze tun, wenn es spät im Jahr noch ungewöhnlich kalt ist, wenn also die beiden wichtigsten Punkte auf der Checkliste widersprüchliche Antworten liefern? Ungewöhnlich ist eine solche Situation nicht, und die Pflanzen haben je nach ihrer Umgebung unterschiedliche Lösungen gefunden.

"Eine Pflanze in Skandinavien orientiert sich eher an der Temperatur", sagt Christiane Kiefer vom Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln. In einer kühlen Umgebung ist die Temperatur der riskantere Faktor, da ist es aus Sicht der Pflanze sinnvoll, die Entscheidung am schwächsten Glied der Kette auszurichten. Umgekehrt wird ein Exemplar der selben Art, das im Mittelmeerraum wächst, vermutlich stärker auf die Tageslänge vertrauen.

Nicht nur dieses Beispiel zeigt, wie individuell Pflanzen ihr Leben gestalten. So gibt es auch Arten, die keine mehrwöchige Kälteperiode als Auslöser zum Blühen brauchen. "Das ist eine Frage der Lebensstrategie", sagt Kiefers Kollege Amaury de Montaigu. Die unterschiedlichen Strategien entzerren die Konkurrenzsituation unter den Pflanzen, die während ihrer Blüte beispielsweise darauf warten, von einem Insekt bestäubt zu werden.

Doch können auch die verschiedenen Strategien nicht verhindern, dass manche Pflanzen regelrecht in Torschlusspanik verfallen. Bei der Ackerschmalwand haben Biologen beobachtet, dass ältere Exemplare mitunter in einer eigentlich ungeeigneten Zeit blühen. Was haben sie schon zu verlieren? Vielleicht ist dies ihre letzte Chance, einen Bestäuber anzulocken.

© SZ vom 12.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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