Atomschmuggel:Gute Zeiten für Kriminelle

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Mit dem Hinweis auf Sicherheitsgefahren lässt sich der Einsatz von Geld und Personal gut rechtfertigen. Doch im Kampf gegen den illegalen Nuklear-Handel gibt es trotzdem ein Problem: Es fehlt an Fachleuten.

Alexander Stirn

Wenn es um die Sicherheit geht, spielen Geld, Personal und Datenschutz gewöhnlich keine Rolle.

Mit einem Geigerzähler überprüft ein Beamter des Bundesamtes für Strahlenschutz das Strahlenrisiko in einem Wohnhaus. (Foto: Foto: ddp)

Da wird der Einsatz biometrischer Merkmale erforscht. Da werden Impfstoffe gegen Bioterror in Auftrag gegeben, Staaten tauschen persönliche Daten ihrer Bürger aus.

Nicht so im Kampf gegen den Schmuggel von nuklearem Material. Die Fähigkeit, spaltbare Stoffe zu entdecken, zu analysieren und einem Missetäter zuzuordnen, habe sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kaum weiterentwickelt, klagen Wissenschaftler - und das trotz wachsender Bedrohung.

Schuld daran sei nicht nur die schlechte finanzielle Ausstattung dieses Forschungsgebiets. Weltweit fehlt es auch an Fachkräften; und statt der dringend notwendigen Zusammenarbeit behielten viele Staaten ihre atomaren Daten lieber für sich.

Es fehlt der Nachwuchs

Zu diesem Schluss kommt ein Untersuchungsbericht, den Forscher kürzlich auf dem Jahrestreffen der American Association for the Advancement of Science in Boston vorgestellt haben.

Viele Forscher aus den Zeiten des Kalten Krieges, als die Disziplin ihre größten Fortschritte machte, seien bereits im Ruhestand, gleichzeitig fehle der Nachwuchs, sagt Michael May von der kalifornischen Stanford University. In den nächsten zehn Jahren bräuchten allein die USA 35 Hochschulabgänger, die sich voll und ganz der Nuklearchemie widmen.

In Europa sieht die Situation nicht besser aus. Klaus Lützenkirchen vom Karlsruher Institut für Transurane (ITU) der EU-Kommission schätzt, dass Deutschland prozentual gesehen sogar noch schlechter dastehen könnte als die USA.

Fünf bis zehn Absolventen zähle das Fachgebiet pro Jahr, und die Chancen seien groß, dass diese der nuklearen Forschung schnell wieder verloren gingen. Da weltweit neue Reaktoren gebaut und entwickelt würden, wanderten viele Nuklearingenieure in die Industrie ab.

Dabei haben die Fälle, die in den Laboren von Lützenkirchen und seinen Kollegen landen, durchaus ihren Reiz. Es ist eine Mischung aus elementarer Physik, klassischer Forensik und kriminalistischem Spürsinn, die die Wissenschaftler benötigen, wenn sie unbekanntes Nuklearmaterial untersuchen sollen.

Zunächst landet die Probe in einem Gammaspektrometer, der die grundlegende Zusammensetzung ermittelt. Handelt es sich um Uran oder Plutonium? Und wie stark wurden die Stoffe angereichert, um sie in Kernreaktoren oder Atomwaffen einsetzen zu können?

Anschließend beginnt die Detektivarbeit. Die Stoffe werden teilweise aufgelöst, die Anteile der verschiedenen Elemente und ihrer physikalischen Varianten, der so genannten Isotope, werden ermittelt. Taucht in der Analyse etwa das natürlich nur selten vorkommende Uran-236-Isotop auf, müssen die Rohmaterialien aus ganz bestimmten Uranerz-Vorkommen hergestellt worden sein.

Unterschiedliche Anteile von Uran-234 und Uran-232 deuten auf verschiedene Reaktortypen hin, in denen der Stoff angereichert wurde. Anhand des Sauerstoffs in einem Uran-Brennelement lassen sich Rückschlüsse auf das bei der Herstellung verwendete Wasser ziehen - und somit auf den Produktionsort.

Zusammen mit weiteren Verunreinigungen entsteht so eine Art Fingerabdruck der Probe. "Der ist zwar nicht so hieb- und stichfest wie ein menschlicher Fingerabdruck oder ein DNS-Test, gibt aber deutliche Hinweise auf die Herkunft einer Probe", sagt May.

Fahndung mit Technik von 1947

Gleichzeitig eignet sich der radioaktive Zerfall hervorragend, um das Alter eines Fundstücks zu ermitteln. Dabei gehen die Forscher davon aus, dass das Material zum Zeitpunkt seiner Herstellung aus reinem Brennstoff bestand. Mit der Zeit zerfällt - zum Beispiel beim Uran - immer mehr Uran-234 in das Element Thorium-230. Das Mengen-Verhältnis der beiden Isotope verrät, wie viel Zeit seit der Produktion vergangen ist.

"Eine wichtige Rolle spielt auch die Untersuchung der Oberflächen", sagt Lützenkirchen. Mit Mikroskopen schauen sich die Forscher die feinen Strukturen an und schließen daraus auf Herkunft oder Herstellungsprozess. Handelt es sich bei der Probe um ein Pulver, hilft bei der Spurensuche auch die Größe der Körner und deren Beschaffenheit.

Dass das System funktioniert, konnten Lützenkirchen und sein Team bereits mehrmals in der Praxis beweisen. Als am 22. Februar 2007 in einem Garten des niedersächsischen Örtchens Lauenförde 14 kleine Brennelemente auftauchen, klingelt im Institut für Transurane kurz darauf das Telefon. Einen Tag nach dem Fund, an einem Freitagabend, kommen die "Pellets" in Karlsruhe an.

Am nächsten Montag schicken die Experten einen vorläufigen Bericht nach Niedersachsen, nach einer Woche stehen Herkunft und Alter der Proben fest. Demnach stammt das Uran aus dem ehemaligen Siemens-Brennelementewerk in Hanau und wurde 1990 hergestellt. "Erst 1991 sind dort die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden", sagt Lützenkirchen.

Dass die Pellets aus Deutschland kamen, hat den Karlsruher Forschern bei ihrer Spurensuche geholfen - am ITU gibt es eine Datenbank, in der alle in Deutschland bekannten Brennstoffe verzeichnet sind.

Eine umfassende internationale Datenbank, mit der nukleare Fingerabdrücke auch weltweit verglichen werden könnten, gibt es dagegen nicht. Informationen über die Zusammensetzung von Brennelementen, über Lagerstätten und Rohstoffe sind - wenn überhaupt bekannt - in vielen einzelnen Datenbanken gespeichert.

Versuche, den Datenbestand zu koordinieren und auszubauen, gibt es immer wieder. Jedes Mal scheitern die Vorstöße. Regierungschefs fürchten, Geheimnisse aus ihrer Nuklearforschung preisgeben zu müssen. Die Hersteller von Brennstäben pochen auf ihre Geschäftsgeheimnisse. Und manche machen, so May, sogar mit Absicht falsche Angaben.

"Wir brauchen nicht nur internationale Standards, sondern auch eine neue Sicherheitskultur", sagt Anita Nilsson, die bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA die Abteilung für nukleare Sicherheit leitet. Nur dann könne schnell und zuverlässig auf Funde von nuklearem Material reagiert werden.

"Auf erschreckende Zustände gestoßen"

Doch selbst mit einem kulturellen Wandel ist es noch nicht getan: "Der nukleare Brennstoffkreislauf rund um die Welt ist so groß, dass es extrem schwer ist, Proben von überall her zu bekommen", sagt David Smith vom Lawrence Livermore National Laboratory des US-Energieministeriums.

Die USA hätten daher begonnen, auf eigene Faust in den ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken Uranerz-Proben zu beschaffen. Mit deren Hilfe hoffen die Experten, den nuklearen Fingerabdruck unbekannter Brennelemente abschätzen zu können.

"In diesen Ländern stießen wir auf erschreckende Zustände", berichtet Smith. 10.000 Behälter mit dem Uran-Zwischenprodukt Yellowcake standen ungesichert herum, Brennelemente wurden kaum bewacht.

"Es gibt dort keine Sicherheitsvorkehrungen", kritisiert der Geochemiker. Für Smith tickt dort eine nukleare Zeitbombe. Etwa 150 Tonnen waffentaugliches Plutonium und 1250 Tonnen hochangereichertes Uran habe die Sowjetunion einst produziert. Für den Bau einer einzigen Atombombe genügen 25 Kilogramm Uran.

16 schwere Fälle von versuchtem Handel mit nuklearem Material hat die IAEA seit Ende des Kalten Krieges registriert. "Die tatsächlichen Ausmaße des Problems sind jedoch nicht bekannt", sagt Nilsson. Sicher ist nicht einmal, ob die verstärkten Kontrollen an den Grenzen helfen, wo Sicherheitsbeamte mit Detektoren nach strahlendem Material suchen.

Experten riefen in Boston dazu auf, neue Methoden zum Nachweis der gefährlichen Stoffe zu entwickeln. Noch immer kämen in den Strahlungsdetektoren vor allem so genannte Szintillatoren zum Einsatz, deren Technik aus dem Jahr 1947 stammt, sagt Anthony Peurrung vom Pacific Northwest National Laboratory der USA. "Und dass man bei einer solchen Aufgabe auf Material aus den 40er Jahren setzt, ist dann doch etwas verwunderlich."

© SZ vom 6.3.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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