Antike:"Sieger über die Natur"

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Raubbau an der Natur, die Ausrottung ganzer Arten, Smog: All das gab es schon in der Antike - und sogar erste Umweltaktivisten.

Paul Munzinger

Als am Mittag des 24. August 79 n.Chr. der Vesuv ausbrach, war der römische Naturforscher Plinius der Ältere als Präfekt der kaiserlichen Flotte am Kap Misenum stationiert, auf einer Halbinsel, die weit in den Golf von Neapel hineinreicht. Von dort aus hatte Plinius einen hervorragenden Blick auf den Vulkan - und wurde so Zeuge eines Naturereignisses, dessen Ausmaß alles bisher Bekannte in den Schatten stellte.

Rund um die Amphitheater blühte eine Industrie. Sie rottete ganze Arten aus. (Foto: Foto: dpa)

Eine Fontäne aus Magma, Asche und Gestein, von Plinius schlicht "die Manifestation" genannt, wurde aus dem Inneren des Vesuv kilometerhoch in die Luft geschleudert, um sich dann todbringend aufs umliegende Land zu ergießen. Plinius' gleichnamiger Neffe ("der Jüngere") überlieferte der Nachwelt die Schilderung dieser Eruptionsform, die bis heute "plinianisch" genannt wird.

Sein Onkel hatte dazu keine Gelegenheit mehr: Um den vom Vulkanausbruch überraschten Menschen zu helfen, aber auch getrieben vom Forscherdrang, setzte der ältere Plinius per Schiff ins wenige Kilometer südlich von Pompeji gelegene Stabiae über, wo er rasch an giftigen Schwefelgasen erstickte.

"Ausbeutung der Erde"

Es war eine Ironie des Schicksals, dass der Verfasser der "Historia Naturalis" im Verlauf einer Naturkatastrophe ums Leben kam. Denn als einer der wenigen seiner Zeit hatte Plinius im Zuge seiner Forschungen ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein entwickelt. So prangerte er den durch seine römischen Landsleute verübten Raubbau an den natürlichen Ressourcen an und stellte die - aus heutiger Sicht prophetische - Frage, "was für ein Ende die Ausbeutung der Erde in all den Jahrhunderten finden und bis wohin die Habgier noch vordringen soll".

Aus dieser Haltung heraus verstand er auch Ereignisse wie einen Vulkanausbruch. Er erblickte darin die gerechtfertigte Rache der Erde am Menschen: "Wir durchforsten alle ihre Adern und leben auf ihr dort, wo sie ausgehöhlt ist, wobei wir uns noch wundern, dass sie zuweilen birst und zittert, wie wenn dies nicht in Wahrheit aus dem Unwillen der heiligen Mutter Erde gedeutet werden könnte."

Natürlich käme heute niemand mehr auf die Idee, ein Erdbeben oder einen Vulkanausbruch als Ergebnis menschlichen Naturfrevels erklären zu wollen. Dennoch ist der Versuch, eine Verbindung zwischen Naturerscheinungen und menschlichem Handeln herzustellen, bemerkenswert.

"Dem Menschen aber", so Plinius, "erwachsen die meisten Übel vom Menschen". Für die antike Einstellung zur Umwelt ist eine solche Haltung eher atypisch, was Plinius selbst nur allzu bewusst war. Seine "Historia Naturalis" schließt mit den Worten: "Nimm es gütig auf, Natur, dass unter den Bürgern Roms ich allein es bin, der dich in deinen Werken verherrlicht hat."

Auch wenn man Plinius nicht eben die Tugend der Bescheidenheit attestieren kann, dem Kern seiner Aussage ist nicht zu widersprechen. Grundsätzlich kannte die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in der Antike nur die Grenzen, die die beschränkten technischen Möglichkeiten der Zeit ihr auferlegten.

"Wälder sind durch Äcker bezwungen"

Das galt außer für den zeitgenössischen Bergbau in erster Linie für den wichtigsten Rohstoff überhaupt: das Holz. Wo die Bevölkerung sich ausbreitete, musste der Wald weichen. Waldrodungen schufen Platz für Anbauflächen - in den Augen der meisten Zeitgenossen eine zivilisatorische Errungenschaft, ein Triumph über die Natur.

Der Kirchenvater Tertullian jubilierte: "Wälder sind durch Äcker bezwungen, wilde Tiere durch zahme vertrieben." Man trotzte der Natur ab, was sie von sich aus nicht zu geben bereit war - und war darauf mächtig stolz. Der griechische Naturphilosoph Demokrit steuerte auch noch das Rezept für ein aggressives Lupinen-Schierlings-Gebräu bei, mit dem man das "Landwirtschaftsproblem Wald" buchstäblich von der Wurzel an bekämpfen konnte.

Dabei waren die kurz- und langfristigen Folgen gedankenloser Waldrodung durchaus bekannt. Schon Plato beschrieb detailliert den durch Kahlschlag verursachten Erosionsprozess, der im Laufe der Zeit auf den attischen Bergen rund um Athen unfruchtbare, verdörrte Hänge zurückgelassen hatte, wo einst "fetter und weicher Boden"gewesen war.

Da sei, so Plato, nur mehr "das Knochengerüst eines Leibes übrig, der von einer Krankheit verzehrt wurde". Allerdings mündete Platos Darstellung keineswegs in einen Appell zu verstärktem ökologischen Bewusstsein; der Philosoph sah im Verfall des Landes eher eine schicksalhafte Entwicklung als eine Folge menschlichen Fehlverhaltens.

Doch nicht nur die Gewinnung von agrarisch nutzbarem Land war ein Motiv für das großangelegte Abholzen der Wälder. Als Wertstoff war Holz in der Antike unersetzbar - und das blieb bis in die Neuzeit so. Mit wachsender Bevölkerungsdichte und gleichzeitig ansteigendem Wohlstand erhöhte sich der Bedarf an Holz als Brenn- und Baumaterial. Insbesondere der forcierte Flottenbau beförderte die Nachfrage in ungeahnte Höhen.

Als Axt im Walde taten sich daher kriegerische Staaten und Herrscher hervor: die Seemacht Athen, die hellenistischen Großreiche, und vor allem die Römer. Da die jeweils umliegenden Wälder bald nicht mehr ausreichten, um den Materialhunger zu stillen, zogen staatliche Holzfäller gleich Borkenkäfern durch die Wälder der Mittelmeerküsten. Der Historiker Karl-Wilhelm Weeber spricht von einer "Nach-uns-die-Sintflut-Mentalität", der besonders die berühmten Zedern und Zypressen des Libanon zum Opfer fielen. "Schändlich zerhauen", heißt es in der Bibel, "steht der Libanon da."

Indes sollte man die Auswüchse dieser Mentalität nicht überbewerten. Der Blick jener, die mit mahnendem Finger aufs mangelnde Umweltbewusstsein der Antike - insbesondere der Römer - deuten, wird meist von anachronistischen Fragestellungen und selektiver Quellenauswertung verzerrt. Umweltprobleme, die den heutigen vergleichbar wären, gab es damals nicht, auch wenn die Römer gewaltige ökologische Schäden anrichteten. So mussten sie, wegen Überstrapazierung der nur begrenzt regenerationsfähigen Böden, in der Spätantike ihre nordafrikanische "Kornkammer" aufgeben.

Karge Mittelmeerlandschaft entstand erst im Mittelalter

Aber die kahlen mediterranen Landschaften sind nicht, wie oft behauptet wird, dem römischen Raubbau anzulasten. Die karge Mittelmeerlandschaft, die wir heute kennen, entstand erst viel später: Die spanischen Wälder mussten größtenteils den Interessen der mittelalterlichen und neuzeitlichen Schafzüchter weichen, die Versteppung der östlichen und südlichen Mittelmeerländer war in erster Linie das Werk der Türken und Araber, und weite Teile des italienischen Waldes fielen tatsächlich dem Flottenbau zum Opfer - allerdings für englische und französische Schiffe im 18. und 19. Jahrhundert.

In der Antike dagegen war gerade Italien für seine prächtigen Wälder bekannt. Schon daher lässt sich von den Römern nicht im Nachhinein die Erkenntnis eines Problems einfordern, mit dem sie zumindest nicht in seinen heutigen Dimensionen konfrontiert waren.

Das gilt insbesondere mit Blick auf die Quellen. Den zeitgenössischen Kritikern ging es in der Regel darum, allgemeine Missstände wie Dekadenz, fehlende Moral oder ausschweifenden Lebensstil zu brandmarken. Kritik am Umweltverhalten war oft nur eine Form der satirischen und polemischen Zeitkritik. Im Mittelpunkt stand dabei nicht die Natur, sondern der Mensch, der sich durch gedankenlosen Umgang mit seiner Umwelt vor allem selbst schade.

Und doch liefern uns diese Schriften bemerkenswerte Zeugnisse des antiken Alltags. Dies gilt besonders für die Lebensumstände in der Großstadt, wobei fast ausschließlich Rom - einzige Millionenmetropole der Antike - im Zentrum der Kritik stand.

Schwere Luft über Rom

Dass Stadtluft krank macht, gilt nicht erst in Zeiten von Ozonloch und Feinstaub, DDR-Zweitaktern oder Industrieschornsteinen. Unter diesen Problemen litten auch die Bewohner der - im Gegensatz zu den mittelalterlichen Städten immerhin kanalisationsbewehrten - Hauptstadt des Imperium Romanum. Glaubt man dem römischen Schriftsteller, Philosophen und Staatsmann Seneca, ließ sich ein Römer leicht von den Bewohnern des umliegenden Landes unterscheiden.

Der Großstädter, schrieb Seneca, verrate sich durch das ungesunde Äußere: sein Teint sei auffallend blass, der Stress stehe ihm ins Gesicht geschrieben. Abhilfe verspreche höchstens ein erholsamer Aufenthalt im Grünen, um Sonne, Ruhe und neue Kraft zu tanken. Die Flucht aufs Land stand aber nur den wenigen Reichen offen, die ein Anwesen im Grüngürtel rund um Rom besaßen. Der offenbar beträchtliche City-Smog über Rom - von Seneca als erdrückende Schwere der Stadt (gravitas urbis) bezeichnet - mischte sich zusammen aus Küchenqualm, Straßenstaub und dem Rauch von Leichenverbrennungen, den der Wind in die Stadt trug.

Eben Seneca war es auch, der die ausufernde Bautätigkeit der Römer als Verbrechen am Antlitz der Natur missbilligte: "Wie lange noch, dann gibt es keinen See mehr, in den nicht die Giebel eurer Villen schauen! Keinen Fluss, dessen Ufer nicht eure Landsitze umkränzen! Überall, wo die Meeresküste zu einer Bucht einschwingt, werdet ihr Fundamente legen zu einem weiteren Palastbau!" Wie sehr erinnern diese Klagen an heutige Zustände, an die zugepflasterten und verbauten Küsten an der Adria oder an Spaniens Badeküsten.

Andererseits waren die Römer bemüht, ihr Leben mit der Natur und den in ihr waltenden göttlichen Kräften in Einklang zu bringen. Besonders schön illustriert dies die alle fünf Jahre in Rom vorgeschriebene Generalreinigung, die zur pax deorum, dem Frieden mit den Göttern, beitragen sollte.

Indes gibt es einen Aspekt römischer "Kultur", der diesen Frieden ernsthaft gefährden musste. Denn bei allem technischen und zivilisatorischen Fortschritt erwiesen sich die Römer gerade dort als wahre Barbaren, wo sich ihre Baufertigkeit bis heute am eindrucksvollsten bestaunen lässt: im Amphitheater.

Bekanntermaßen hielt das Volk still, solange man ihnen ausreichend panem et circenses gab, also Brot und Spiele. Das römische Verständnis der populären Volksbelustigung zeigt die dunkelsten Seiten antiken Überlegenheitsdenkens über die Natur.

Im flavischen Amphitheater, besser bekannt als Kolosseum, unterhielt man die Massen mit regelrechten Blutbädern, wobei wahlweise Mensch gegen Mensch, Mensch gegen Tier oder Tier gegen Tier anzutreten hatten. Die Veranstalter erdachten immer neue Duelle; ihre krude Phantasie kannte keine Grenzen. Da sah man Zwerge gegen Frauen kämpfen, Büffel gegen Bären oder Elefanten gegen Nashörner - Hauptsache abwechslungsreich, Hauptsache blutig, ganz nach Geschmack des Publikums.

5000 Tiere an einem Tag geschlachtet

Ein ganzer Wirtschaftszweig war mit dem Import wilder Tiere aus aller Welt beschäftigt. Die Zahlen attestieren der Branche außerordentliche Produktivität: 11.000 getötete Tiere innerhalb von 123 Tagen - dieser Schreckensbilanz rühmte sich der Kaiser Trajan. Seinem Vorgänger Titus konnte er damit nicht das Wasser reichen: Der hatte sich anlässlich der Einweihung des Kolosseums im Jahr 80 n.Chr. besonders spendabel gezeigt und 5000 Tiere an einem einzigen Tag abschlachten lassen.

Doch die Spiele dienten nicht nur der Demonstration der grenzenlosen Freigiebigkeit der Kaiser, sie schmeichelten auch der römischen Volksseele. Das Niedermetzeln der exotischen Tiere, deren Blut und deren Kadaver den Boden des Kolosseums bedeckten, war zugleich Machtdemonstration der Herrscher und symbolischer Ausdruck des imperialen römischen Selbstbewusstseins: Seht her, Römer, so wie die wilden Tiere aus der ganzen Welt vor euch im Staub liegen, liegen die Völker der ganzen Welt dieser Stadt zu Füßen.

"Um der Ehre der Römer willen", schrieb der Althistoriker Jérôme Carcopino, "würden wir gerne dieses Blatt aus dem Buch ihrer Geschichte herausreißen." Dies umso mehr, als besonders gern präsentierte "Bestien" in bestimmten Gebieten tatsächlich ausgerottet wurden.

Im 4. Jahrhundert gab es in Unterägypten keine Nilpferde mehr, keine Elefanten und Nashörner mehr in Nordafrika, keine Löwen mehr in Griechenland, keine Tiger im nördlichen Iran. Für die Römer bedeutete das in erster Linie ein Ärgernis, mussten doch die tierischen Attraktionen von noch weiter her in die Hauptstadt gebracht werden. Ein Problembewusstsein hatte auch das Verschwinden der Arten nicht ausgelöst; vielmehr sah man darin sogar das wünschenswerte Vordringen der Zivilisation.

"Spectant victores ruinam naturae - als Sieger blicken sie auf den Zusammenbruch der Natur" - dieser Ausspruch des Plinius mag damals polemisch überspitzt gewesen sein. Mittlerweile klingt er freilich wie eine resignative Bestandsaufnahme - vor allem, wenn man "siegesgewiss" durch "untätig" ersetzt.

© SZ vom 11.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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