Anonyme Geburten:Gesetzeswidrige Geburtshilfe

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Wenn eine Mutter heimlich und allein ein Kind zur Welt bringt, ist das Risiko für beide groß. Manche Ärzte und Hebammen bieten deshalb eine anonymen Geburt an. Doch die ist gegen das Gesetz.

Elke Brüser

Bei manchen Geburten stehen sie sich im Kreißsaal feindlich gegenüber: der Staat und seine Gesetze auf der einen Seite, Hebammen und Ärzte mit der Sorge um Frau und Kind auf der anderen.

Ein Spurenmittler der Polizei sichert Hinweise an der Babyklappe eines Krankenhauses in Hannover. Neben der Babyklappe war ein erfrorener Säugling entdeckt worden. (Foto: Foto: ddp)

Etwa 130 Kliniken und Hebammen-Praxen ermöglichen derzeit eine "anonyme Geburt", bei der die Identität der Mutter offen bleibt, auch wenn dies genaugenommen gesetzeswidrig ist. Mit den Problemen, die sich daraus ergeben, befasste sich kürzlich ein Symposium der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in Berlin.

Trotz der Probleme mit dem Gesetz: Vielen Geburtshelfern erscheint die anonyme Geburt noch als die beste Lösung, wenn sich die Gebärende in einem existenziellen Konflikt befindet. Andere Lösungsmöglichkeiten nämlich sind: a) das Kind ohne medizinische Betreuung zu gebären, b) es im Affekt oder sogar geplant zu töten, c) es in der Hoffnung, dass es gefunden wird, irgendwo abzulegen oder d) es in eine Babyklappe zu geben.

Das Modell Babyklappe hat viele Nachteile - nicht nur wegen der Babys, die kürzlich in oder nahe einer Klappe erfroren sind.

Lebensbedrohliche Umstände bei der Geburt

Nicht nur, weil nachweislich schon Kinder mit einer Behinderung in Babyklappen gegeben wurden und weil sogar einmal ein spastisches Kind im Alter von sechs Monaten in eine Babyklappe gezwängt wurde. Das Hauptargument ist, dass diese Kinder unter lebensbedrohlichen Umständen auf die Welt kommen - lebensbedrohlich für Kind und Mutter.

Genaue Zahlen gibt es nicht, aber Birgit Seelbach-Göbel, Chefärztin der Frauenklinik St. Hedwig in Regensburg, skizziert das Risiko: Unter sechs anonymen Geburten an ihrer Klinik war ein Kaiserschnitt, und zwei Babys befanden sich wegen einer Beckenendlage beziehungsweise drohendem Sauerstoffmangel in einer kritischen Situation. Wie wäre das ohne Geburtshelfer ausgegangen?

Klaus Vetter, der in Berlin eine der größten Einrichtungen für Geburtshilfe am Klinikum Neukölln leitet, steht manchmal mit einem Bein im Gefängnis. Denn mitunter gesteht er Schwangeren zu, in seiner Klinik ein Kind zur Welt zu bringen, ohne dass sie ihren Namen nennen.

Eigentlich muss Vetter als Leiter der Klinik dem Standesamt binnen einer Woche nicht nur alle Geburten und deren Zeitpunkt mitteilen, sondern auch die Namen der Mütter. Weil er das mehrmals nicht konnte, drohten ihm Zwangsgeld und eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.

Auch der Polizeipräsident meldete sich in solchen Fällen, denn das Gesetz verlangt ein Ermittlungsverfahren. Und wer Details der anonymen Mutter weiß, muss sie benennen.

Die Identität wird später geklärt

Auch DGGG-Präsident Walter Jonat, der die Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Kiel leitet, möchte nicht, dass Geburtshelfer immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten: "Wir Ärzte wollen eine sichere Geburt. Für uns ist es keine Lösung, zu sagen ,Ich mach das nicht'". Jonat kann sich vorstellen, dass - wie beim Schwangerschaftsabbruch - auf Strafverfolgung verzichtet wird, vor allem aber mahnt er Rechtssicherheit an.

Darauf warten Mediziner seit langem, denn bisher hat es die Politik trotz einer Gesetzesinitiative aus dem Jahr 2002 nicht weit gebracht. Immerhin gab es Ende 2007 aus dem Familienministerium eine ausführliche Antwort auf eine Große Anfrage. Daraus geht hervor, dass nicht viele Mütter anonym bleiben: 143 Frauen haben demnach in Deutschland ihr Kind in einer Babyklappe abgelegt; etwa 100 haben anonym geboren; allerdings fehlen aus sieben Bundesländern die Angaben.

Seit der Einrichtung der ersten Babyklappe im Jahr 2000 ist die Zahl anonymer Geburten nicht gestiegen; jede zweite bis vierte anonym gebärende Mutter hat ihre Identität nach kurzer Zeit preisgegeben oder ihr Kind zu sich geholt.

Für Ulrike Riedel, Medizinrechtlerin und Staatssekretärin a.D., geht es nicht darum, ob Geburtshelfer eine namenlose Frau bei der Geburt begleiten oder nicht. Jeder Arzt müsse im Notfall eine Entbindung vornehmen. Aber niemand dürfe für eine Babyklappe oder die anonyme Geburt werben. Für ein Unding hält sie es, dass einige Bundesländer im Sexualkundeunterricht über Babyklappen und anonyme Geburt informieren .

Anonymität kommt für die Juristin nicht in Frage. Wenn nicht alles getan werde, damit das Kind erfahren kann, wer seine Mutter ist, seien die Grundrechte des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, psychische Unversehrtheit und Integration in seine Familie verletzt.

Das juristisch umstrittene Moses-Projekt in Bayern versucht, einige Probleme der anonymen Geburt durch eine sogenannte vertrauliche Geburt zu lösen. Dazu werden Personendaten der Mutter in einem verschlossenen Couvert bei der zuständigen Organisation und beim Standesamt hinterlegt, so dass das Kind sie später im Prinzip erfahren kann.

Hier schimmert die französische Praxis durch, wo das Gesetz seit 1793 die anonyme Geburt erlaubt. Gegenwärtig kommen im Nachbarland jährlich rund 500 Babys auf die Welt, deren Herkunft geheim gehalten wird. Sie können aber später - das Einverständnis der Mutter vorausgesetzt - ihre Abstammung erfahren und werden behördlich darin unterstützt. Für solche Nachforschungen entscheiden sich 55 Prozent der Kinder, ein Drittel von ihnen erfährt seine Herkunft.

Ein Findelkind, das seine Mutter in einem Harburger Krankenhaus zurück gelassen hat. (Foto: Foto: dpa)

Auch in Österreich ist die anonyme Geburt zulässig. Viele Ärzte und einige Frauen sind froh darüber. Warum Frauen sich aber nicht entscheiden, ihr Neugeborenes zur legalen Adoption freizugeben, ist Amtsvertretern unverständlich.

"Wir können dafür sorgen, dass die Beratung bei einer Adoptionsvermittlungsstelle anonym verläuft", sagt Ulrike Herpich-Behrens, die beim Berliner Senat das Referat Soziale Dienste leitet. "Das Verfahren ist nicht so kompliziert und den Ort der Beratung können Schwangere selbst wählen." Es gibt zudem die Möglichkeit, abgeschirmt von der Familie, ein unerwünschtes Baby zur Welt zu bringen. Das ist wichtig, da in der Regel nicht fehlende Mutterliebe, sondern Angst und das ablehnende Umfeld der Grund sind, wenn Frauen anonym gebären wollen.

Fahndung nach der Mutter

In Deutschland gibt es 1300 Beratungsstellen für Schwangere. Warum nehmen einige Frauen dieses Angebot nicht an? "Ihnen fehlt womöglich die Bereitschaft, über die akute Krise hinaus verantwortlich für sich und das Kind zu handeln", mutmaßt Herpich-Behrens. In Berlin wird konsequent nach der Herkunft von Findelkindern gefahndet. 52 sind seit 2001 anonym geboren oder anonym übergeben worden. Bei 14 seien die Hintergründe aufgeklärt.

Mütter, die anonym bleiben wollen, sind keine homogene Gruppe. Prostituierte sind ebenso darunter wie sehr junge Frauen und Frauen, die nicht noch ein weiteres Kind - mit diesem Mann - möchten. Weil Betroffene die offizielle Beratung nicht wollen, wurde auf dem DGGG-Symposium für neue niederschwellige Beratungsangebote plädiert, zum Beispiel im Internet.

Als weitere Möglichkeit wurde die anonyme Schwangerschaftsvorsorge angeregt. Sie könnte helfen, ins Gespräch zu kommen, Frauen den Weg in die Amtsstuben ebnen und sie in einer "ablehnenden" Umgebung zu stärken.

© SZ vom 25.01.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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