Alternativen zur Gentechnik:Arbeit am "Aerobic-Reis"

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Moderne Züchter entwickeln auch ohne gentechnische Eingriffe neue Getreidesorten, die Dürren, Salz und Überflutung trotzen.

Tina Baier

Eine vage Vorstellung davon, was passiert, wenn die Ernten weltweit nicht mehr ausreichen, um alle Menschen zu ernähren, bot die Reiskrise vor ziemlich genau einem Jahr. Noch im Dezember 2007 kostete eine Tonne weißer Thai-Reis 362 Dollar. Im April 2008 war der Preis auf fast 1000 Dollar hochgeschnellt.

Ein Reis für alle Fälle: Aerobic-Reis braucht viel weniger Wasser, Swarna-Reis überleben tagelang unter Wasser. (Foto: Foto: AFP)

In Haiti, Bangladesch und Ägypten kam es zu gewaltsamen Unruhen. Reis exportierende Länder wie Indien und China schränkten den Handel ein; Reis importierende Länder baten um Nachbarschaftshilfe. Erst im Juni 2008 entspannte sich die Situation nach einer guten Ernte wieder. Derzeit sind die Preise zwar höher als vor der Krise, aber stabil.

"Das ist nur die Ruhe vor dem großen Sturm", warnt Achim Dobermann, Forschungsleiter des Internationalen Reisforschungsinstituts (IRRI) auf den Philippinen. "Um mit dem Wachstum der Weltbevölkerung Schritt zu halten, müssen jedes Jahr acht bis zehn Millionen Tonnen Reis mehr produziert werden als im Vorjahr." Durch Optimierung der Anbaumethoden, etwa bessere Düngung und Bewässerung, lassen sich nach Einschätzung Dobermanns die Erträge noch steigern.

Doch um die Ernährung der Menschheit dauerhaft zu sichern, brauche es vollkommen neue Getreidesorten. Pflanzen zum Beispiel, die trotz widriger Umweltbedingungen wie Trockenheit, Überschwemmung oder Versalzung gedeihen.

Das Thema ist umso dringlicher, da Dürren und Überflutungen in den kommenden Jahrzehnten aufgrund des Klimawandels häufiger werden dürften. Pflanzen mit solchen Eigenschaften müssen nicht gentechnisch verändert sein. Moderne Züchter setzen auf sogenanntes Smart-Breeding. Bei dieser Methode wird zwar das Erbgut der Pflanzen genau analysiert, um Kreuzungspartner mit den gewünschten Eigenschaften zu finden. Doch die Pflanze, die dabei am Ende herauskommt, enthält keine artfremden Gene etwa von Bakterien.

Beim Reis sind die Biotechnologen am weitesten. Bereits im Jahr 2005 wurde das Erbgut der Pflanze entschlüsselt, die etwa ein Fünftel des Kalorienbedarfs der Weltbevölkerung deckt. Kürzlich hat das IRRI die Zulassung für eine Reissorte namens "Swarna-Sub" bekommen. Bei Überflutungen überleben diese Pflanzen bis zu 17 Tage unter Wasser.

IRRI-Forscher hatten das Sub1A-Gen, das den Pflanzen diese Fähigkeit verleiht, in einer Reissorte gefunden, die indische Bauern in hochwassergefährdeten Regionen anbauen. Die Wissenschaftler züchteten das Gen mittels natürlicher Kreuzung in Hochertragssorten hinein, unter anderem in den in Indien und Bangladesch beliebten Swarna-Reis. Bereits in der zweiten Hälfte dieses Jahres soll der überflutungsfeste wie ertragreiche Reis großflächig angebaut werden; im Jahr 2010 sollen Bauern eine halbe Million Hektar Land damit bepflanzen.

Relativ weit ist das IRRI auch mit einer Reissorte, die das Gen Saltol enthält und ohne Ertragseinbußen auf versalzenen Böden wächst. Diese Sorte ist für Regionen mit salzigem Bewässerungswasser oder Küstengebiete gedacht, wo Meerwasser oft die Felder überschwemmt. Weil der Klimawandel die Meere steigen lässt, werden in Zukunft mehr Bauern dieses Problem haben.

"In ein oder zwei Jahren soll es Reispflanzen geben, die sowohl Sub1 als auch Saltol in ihrem Erbgut haben", sagt Dobermann. Etwas länger, zwei bis drei Jahre, wird es noch dauern, bis eine Sorte marktreif ist, die gut mit Trockenheit zurechtkommt.

Ein vielversprechender Kandidat ist "Aerobic Rice", der in durchlüfteten Böden gedeiht statt auf gefluteten, sauerstoffarmen Feldern und viel weniger Wasser braucht. Die in Mitteleuropa wichtigsten Getreidesorten sind Weizen und Gerste. Beides gibt es noch in ausreichender Menge. "Doch das kann sich schnell ändern", sagt Frank Ordon vom Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Quedlinburg.

Dass beispielsweise die Menschen in China mehr Fleisch essen als früher, wirkt sich indirekt auf den Verbrauch von Getreide in Europa aus. "Ein Schwein muss zweieinhalb bis drei Kilo Getreide fressen, um ein Kilogramm Fleisch aufzubauen", sagt Ordon. Im Fachjargon bezeichnet man diese Metamorphose als Veredelung. "Wenn plötzlich alle Chinesen ein Hähnchen mehr in der Woche essen würden, wäre bei uns der Weizen knapp."

Mit der Entwicklung stressresistenter Sorten stehen die Forscher bei Weizen und Gerste noch ganz am Anfang. Noch ist ein Heer von Wissenschaftlern damit beschäftigt, das Erbgut dieser Pflanzen zu entschlüsseln. Schon dieser erste Schritt ist schwierig: "Noch vor fünf Jahren hat niemand gewagt, daran zu denken, die Genome von Gerste und Weizen zu sequenzieren", sagt Ordon.

Das Erbgut der Gerste ist mit 5,1 Milliarden Basen etwa doppelt so groß wie das des Menschen. Das von Weizen ist sogar dreimal so groß. Dazu kommt, dass das Erbgut beider Getreidearten extrem unübersichtlich ist. Nur ein kleiner Teil besteht aus Abschnitten mit erkennbarer Funktion, der Rest sind Bruchstücke von Genen oder scheinbar sinnlose Wiederholungen von Sequenzen. Noch wirrer wird die Situation durch sogenannte springende Gene, die ihre Position im Erbgut ständig ändern. Erst seit wenigen Jahren gibt es überhaupt eine Chance, sich in diesem Chaos zu orientieren, weil die DNS-Analysetechniken besser geworden sind.

Kürzlich hat ein internationales Forscherkonsortium in der Fachzeitschrift Nature das Genom der Hirse veröffentlicht. Im Vergleich zu Weizen und Gerste ist es klein und übersichtlich. Hirse stammt ursprünglich aus Afrika und ist daher widerstandsfähig gegen Hitze und Trockenheit. "Anhand des Hirse-Erbguts versuchen wir, etwas über die molekularen Grundlagen der Trockentoleranz zu lernen, um dieses Wissen später für Getreidearten in unseren Breiten zu nutzen", sagt Klaus Mayer vom Helmholtz-Zentrum München, der an der Entschlüsselung des Hirsegenoms beteiligt war.

An der Entzifferung des Mais-Genoms wird mit Hochdruck gearbeitet. "Es sollte im Lauf des Jahres fertig werden", sagt Klaus Mayer. "Ebenso wie das Erbgut der Sojabohne." Erst dann können moderne Züchtungsforscher Gewächse nach ihrem Erbgut selektieren und daraus neue Sorten züchten.

Leguminosen wie die Sojabohne sind für Pflanzenbiotechnologen besonders interessant, da viele von ihnen den in der Luft üppig vorhandenen Stickstoff nutzen können. Weizen, Gerste, Mais und Reis sind dagegen auf Stickstoff aus dem Boden angewiesen. Da das Erdreich oft zu wenig davon enthält, um hohe Erträge zu produzieren, werden Unmengen von stickstoffhaltigem Dünger auf die Felder gekippt, der vorher mit großem Energieaufwand hergestellt wurde.

"Es ist die Frage, wie lange wir uns eine solche Energieverschwendung noch leisten können und wollen", sagt Mayer. Eine Lösung des Problems wären Getreidesorten, die sich wie die Leguminosen mit Stickstoff aus der Luft versorgen könnten. Ein Getreide mit dieser Fähigkeit könnte allerdings nicht ohne gentechnische Veränderungen erzeugt werden.

© SZ vom 21.04.2009/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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