Aidsbekämpfung:Erfolgsmodell Thailand

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Anfang der 90er warnten Experten, in dem südostasiatischen Staat würden im Jahr 2000 mehr als vier Millionen Menschen mit HIV infiziert sein. Warum es nicht dazu kam.

Philipp Mattheis

Mitte der Achtziger schlug die Weltgesundheitsorganisation Alarm: Thailand, damals wie heute bei westlichen Touristen ein beliebtes Reiseziel, wies eine alarmierend hohe Aids-Quote auf.

Kondom-Produktion in Thailand (Foto: Foto: AP)

Der erste offizielle Aids-Fall wurde 1984 gemeldet, obwohl Experten davon ausgehen, dass es schon in den frühen 80ern zu den ersten Infektionen kam.

Dass das Virus sich dort so schnell ausbreiten konnte, lag nicht zuletzt an dem weit verbreiteten Geschäft mit der käuflichen Liebe. Dabei sind nicht nur westliche Touristen dafür verantwortlich, dass die Prostitution in dem südostasiatischen Land ein florierender Wirtschaftszweig ist.

Prostitution ist in Thailand weit verbreitet. Nach Schätzungen der Organisation UNAIDS besucht jeder zweite thailändische Mann regelmäßig Prostituierte.

1989 schon waren über 40 Prozent aller thailändischen Prostituierten mit Aids infiziert. Der Anteil der HIV-positiven Drogenabhängigen stieg innerhalb eines Jahres sogar von Null auf 43 Prozent.

Die thailändische Regierung erkannte das Problem erst relativ spät: 1988 belief sich das Budget der nationalen Aidsprävention auf lediglich 180.000 Dollar im Jahr.

Die Zahl der Neuinfektionen betrug 1991 jedoch schon 140.000. Von dieser Zahl ausgehend schätzten Experten, dass im Jahr 2000 vier Millionen der 65 Millionen Thais mit dem HI-Virus infiziert sein würden.

Vom Sorgenkind zum Erfolgsmodell

Nach den alarmierenden Zahlen der Neuinfektionen in den 80ern und frühen 90ern begann in Thailand ein Umdenken. 1993 wurde das Budget zur Aids-Bekämpfung auf 44 Millionen Dollar aufgestockt. 1997 waren es sogar 80 Millionen Dollar.

Zeitgleich begann eine massive öffentliche Informationskampagne: Anti-Aids-Spots wurden stündlich auf 488 Radio- und Fernsehstationen gesendet. An allen Schulen wurde Aids-Aufklärungsunterricht zum Pflichtprogramm.

Drittens wurde das "100 Prozent Kondom Programm" ins Leben gerufen. Kostenlose Präservative wurden an Bordelle und Massage-Salons verteilt. Etablissements, die sich dem Gebrauch verweigerten, wurde mit der Schließung gedroht.

Schließlich setzte man Ende der Neunziger auf den Einsatz des Aids-Medikaments AZT. In erster Linie wurde damit die Ansteckung ungeborener Kinder im Mutterleib verhindert.

Einer der wichtigsten Punkte jedoch bei der Aids-Belämpfung stellte der Einsatz von billigen, weil im Land selbst produzierten Medikamente dar. So genannte Generika sind preisgünstige Kopien jener Marken-Präparate, die in Industrieländern um ein Vielfaches teurer sind.

All diese Maßnahmen führten zu einem bahnbrechenden Erfolg in der Aids-Bekämpfung. Das prognostizierte Horror-Szenario trat nicht ein. Die Zahl der Neuinfektionen sank von 140.000 im Jahre 1991 auf knapp 20.000 im Jahr 2003. Die Zahl der HIV-Positiven sank auf 1,4 Prozent im Jahr 2005.

Thailand wurde aus diesen Gründen oft als Musterland in Sachen Aids-Bekämpfung gelobt. Die Kombination aus Aufklärung, Einsatz von Generika und Verteilen von kostenlosen Kondomen ist bisher das erfolgreichste Konzept zur Eindämmung der Seuche.

Die Lage verschlechtert sich wieder

Mittlerweile hat sich die Lage wieder etwas verschlechtert: Thailand musste im Zuge der Wirtschaftskrise 1997 sein Budget massiv zurückfahren. Nach den Erfolgsmeldungen der 90er Jahre hat sich das Budget zur Aidsbekämpfung im Vergleich zum Jahr 1997 halbiert. Hinzu kommt, dass man sich auf dem Erfolg ausgeruht hat.

Ironischerweise tragen auch der Erfolg in der Medikamententherapie zu dieser Entwicklung bei: Ähnlich wie in der westlichen Welt halten viele die Krankheit mittlerweile für heilbar und werden so nachlässiger.

Sollte Bangkok aber wie geplant ein Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnen, müssen die einheimischen Pillenhersteller dicht machen. Für viele Patienten aber werden die in den USA hergestellten Medikamente zu teuer sein.

Trotz der Rückschläge bleibt Thailand jedoch ein Erfolgsmodell in der Aidsbekämpfung.

Schweigen in den Nachbarländern

Wie groß der thailändische Erfolg ist, zeigt ein Vergleich mit seinen Nachbarländern.

Zum Beispiel Kambodscha: Nach der Schreckensherrschaft der Roten Khmer und dem darauf folgenden Bürgerkrieg öffnete das Land 1991 seine Grenzen. Eine 22.000 Mann starke UN-Truppe wurde über mehrere Jahre dort stationiert. Kurze Zeit später wurde der erste Aids-Fall gemeldet.

Seitdem sind über 90.000 Kambodschaner an der Seuche gestorben. 1997 waren 3,3 Prozent HIV-positiv. Diese Zahl fiel bis zum Jahr 2003 auf 2,6 Prozent - dank der Aufklärungskampagnen von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs). Schätzungen der Khmer HIV/AIDS NGO Alliance (KHANA) zu Folge haben etwa acht Prozent aller Kinder unter 15 Jahren ein Elternteil an Aids verloren.

Desaströs droht die Lage in Thailands Nachbarland Myanmar zu werden. Zwar gibt es aus dem von einem Militärregime regierten Land kaum gesicherte Zahlen.

NGOs schätzen aber, dass ein bis zwei Prozent der Bevölkerung mittlerweile HIV-positiv sind. Unter Armeerekruten stieg die Rate der Neuinfektionen von 0,5 Prozent im Jahr 1992 auf 1,4 Prozent 2000 und 2,1 Prozent im Jahr 2003.

Das Militärregime schweigt das Problem tot und erschwert die Arbeit von NGO's. Die noch relative niedrige Infektionsrate in der Gesamtbevölkerung ist auf die Isolation des Staates zurückzuführen.

Ähnlich dramatische Anstiege verzeichnen die Länder China und Indien. Über fünf Millionen Inder sind mittlerweile HIV-positiv, in China annähernd 650.000. Dort wurde das Thema bis Ende der 90er tot geschwiegen. Erst 1999 wurde der Kondom-Werbespot im chinesischen Fernsehen gesendet.

Übrigens ist auch in Deutschland das Budget zur Aidsbekämpfung enorm geschrumpft: Wurden auf dem Höhepunkt der Ausbreitung noch 50 Millionen Euro zur Aufklärung ausgegeben, ist diese Summe mittlerweile auf zehn Millionen gesunken.

Und aufgrund der besseren Behandlungsmethoden hat die Angst vor dem Virus in der Bundesrepublik und anderen Industrienationen nachgelassen. Dabei sollte niemand vergessen: Die Medikamente halten den Erreger vielleicht in Schach - doch sie haben erhebliche Nebenwirkungen.

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