Mediziner in der NS-Zeit:Ärzteschaft bittet um Verzeihung

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Menschenversuche, Zwangssterilisationen und Mord an geistig und psychisch behinderten Menschen: Die Liste der Verbrechen der Mediziner in der NS-Zeit ist lang. 67 Jahre nach Kriegsende hat sich der Ärztetag an einem historischen Ort nun erstmals bei den Opfern für die Taten entschuldigt.

Guido Bohsem, Nürnberg

Nürnberg - Tausende starben bei Menschenversuchen, mehr als 200.000 wurden getötet, weil sie behindert oder psychisch krank waren, mehr als 360.000 Menschen wurden zwangssterilisiert, weil sie als erbkrank eingestuft wurden.

Einer der meisgesuchten NS-Verbrecher: Der ehemalige KZ-Arztes Aribert Heim soll 30 Jahre lang in Ägypten unter anderem Namen gelebt haben und 1992 im Alter von 78 Jahren an Krebs gestorben sein. Doch ob das wahr ist? (Foto: dpa)

Die Verbrechen, die während des Dritten Reiches im Namen der Medizin verübt wurden, zählen zu den entsetzlichsten. Die deutsche Ärzteschaft hat nun erstmals die Opfer und ihre Nachkommen um Verzeihung für die Taten gebeten, die deutsche Mediziner im Nationalsozialismus verübten. Einstimmig verabschiedeten die Delegierten des Ärztetages am Mittwoch die Nürnberger Erklärung - in eben der Stadt, in der 1946 die Prozesse gegen 20 führende Ärzte im nationalsozialistischen Staat begannen.

Die Erklärung widerspricht der These, dass die Verbrechen vor allem auf politischen Druck entstanden: "Im Gegensatz zu der noch immer verbreiteten Annahme ging die Initiative gerade für diese gravierendsten Menschenrechtsverletzungen nicht von den politischen Instanzen, sondern von den Ärzten selbst aus."

Auch seien das nicht Taten einzelner Ärzte gewesen, sie seien unter Mitwirkung führender Repräsentanten der Ärzteschaft und medizinischer Fachgesellschaften verübt worden. Herausragende Vertreter der universitären Medizin und renommierter Forschungseinrichtungen seien ebenfalls beteiligt gewesen.

Der Ärztetag erkennt die wesentliche Mitverantwortung von Ärzten an den Unrechtstaten der NS-Medizin an, heißt es weiter. Man betrachte das Geschehene als Mahnung für Gegenwart und Zukunft. "Wir gedenken der noch lebenden und bereits verstorbenen Opfer sowie ihrer Nachkommen und bitten sie um Verzeihung." Die Ärzteschaft erklärte sich bereit, die weitere Forschung und Aufarbeitung zu unterstützen, beispielsweise durch direkte finanzielle Hilfe und unbeschränkten Zugang zu den Archiven.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, bezeichnete die Erklärung und das einstimmige Votum dafür "als sehr, sehr wichtiges Zeichen" dafür, dass die Ärzteschaft zu ihrer Verantwortung stehe. Den Anstoß zu der Erklärung gab eine Gruppe von 42 Nürnberger Medizinern aus der Initiative "Ärzte gegen den Atomkrieg". "Die Erklärung ist gut, jetzt aber ist es an der Zeit, dass die Ärzteschaft die noch lebenden Opfer in einem würdigen Rahmen auch persönlich um Verzeihung bittet", sagte Stephan Kolb, einer der Initiatoren des Antrags.

© SZ vom 24.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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