Mangelhafte Implantate:Schlottern im Gelenk

Lesezeit: 5 min

Mehr als eine Million Implantate werden jedes Jahr eingesetzt. Doch ob die Produkte halten, was sie versprechen, weiß man nicht. Denn ein Mängelregister fehlt.

Martin Kotynek

Hüftgelenks-Prothesen brechen wenige Monate nach der Implantation. Herzschrittmacher werden undicht und stimulieren das Herz plötzlich in einem falschen Rhythmus. Solche Zwischenfälle sind zwar die Ausnahme, kommen bundesweit aber immer wieder vor.

Knapp 400.000 Menschen erhalten jedes Jahr ein künstliches Hüftgelenk. Viele Hersteller bieten Prothesen an. (Foto: Foto: dpa)

Dass Klinikbetten einfach zuklappen und Patienten einquetschen, mag ebenso außergewöhnlich erscheinen. Aber allein an diesem technischen Mangel sind in den vergangenen vier Jahren 16 Menschen in Deutschland gestorben.

Eigentlich sollten Patienten darauf vertrauen können, dass die Geräte, die in ihren Körper eingepflanzt werden und in Krankenhäusern ihrem Wohl dienen, ebenso wie Medikamente vor der Zulassung in Studien geprüft und streng überwacht werden. Doch das ist nicht der Fall.

Der Markt für Medizinprodukte ist riesig und unüberschaubar: Etwa 400.000 solcher Produkte sind in Deutschland erhältlich, knapp 21 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr für Prothesen, Kompressen, Infusionsgeräte und andere medizinische Artikel ausgegeben.

Keine Daten zu Gefahren

Das sind nur vier Milliarden Euro weniger als die gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel bezahlen. Beinahe ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes macht die Summe aus.

Doch anders als Medikamente, die in einem aufwendigen Zulassungsverfahren auf ihre Wirksamkeit geprüft werden, müssen Hersteller von Medizinprodukten in der EU lediglich nachweisen, dass die Geräte funktionieren. Ein vor allem technisches Gutachten von Prüfern wie TÜV oder Dekra genügt. Ob die Produkte im Körper leisten, was sie versprechen, muss nicht belegt sein.

"Bei Einführung neuer Medizinprodukte weiß man kaum etwas darüber, wie sich diese Geräte auf Patienten auswirken", sagt Martin Stockheim vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen. "Insbesondere zu einem möglichen Gefahrenpotential gibt es kaum Daten."

Deshalb müssen Probleme, die im Lauf der Zeit mit den Produkten auftreten, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet werden. Zwar hat sich die Zahl solcher Meldungen gegenüber dem Jahr 2000 zuletzt mehr als verdoppelt, doch es werden längst nicht alle Vorfälle angezeigt.

Alle Schätzungen über die Zahl der Zwischenfälle wären unseriös - darin sind sich die Experten einig. Obwohl eine Meldepflicht besteht, ist die Behörde darauf angewiesen, dass Ärzte und Hersteller Fehler mitteilen. Tun sie es nicht, kann die Behörde keine Sanktionen verhängen.

Register in Schweden

"Tag für Tag werden mangelhafte Prothesen implantiert, Tag für Tag werden fehlerhafte medizinische Geräte produziert und verkauft", sagt Thomas Eisler vom Sahlgrenska-Universitätsspital in Göteborg. "Vieles davon bleibt der Öffentlichkeit verborgen."

Die Schweden wussten sich zu helfen. Vor 29 Jahren haben sie ein Endoprothesen-Register eingeführt. Endoprothesen verbleiben - im Gegensatz zu künstlichen Gliedmaßen - im Inneren des Körpers. In Schweden werden alle künstlichen Hüftgelenke zentral in einer Datenbank erfasst.

In jedem Krankenhaus gibt es ausgebildete Assistenten, die die Daten eingeben. Alle Krankenhäuser machen mit, denn sie erhalten für die Operation nur eine Vergütung von der Krankenkasse, wenn alle Daten in das Verzeichnis eingetragen werden.

Wie das Problem in Deutschland gelöst werden könnte, lesen Sie auf Seite zwei.

In der Datenbank ist gespeichert, welcher Patient welches Gelenkprodukt erhalten hat. Seit der Einführung des Registers ist die Anzahl der Reparatureingriffe stark zurückgegangen. Ist dennoch eine zweite Operation nötig, weil etwa ein künstliches Gelenk gebrochen ist, wird das sofort erfasst. Und wenn sich Probleme mit einem Produkt häufen, wird das rasch bekannt.

"Wenn in einem Spital drei von 15 und in einem anderen zwei von 30 Implantaten brechen, würde das niemandem auffallen", sagt Thomas Eisler. "Fasst man die Brüche aber landesweit in einem Register zusammen, können wir sofort reagieren."

Tod im Fixiergurt

Ein solches Register soll es nun auch in Deutschland geben, forderte der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) am Montag in Berlin. "Wir sind es Patienten schuldig, dass wir auch bei Medizinprodukten jenen Sicherheitsstandard anstreben, den wir bei Arzneimitteln längst haben", sagt Jürgen Windeler, leitender Arzt des MDS. "Register können die notwendigen Daten liefern, um schnell gefährliche Produkte zu identifizieren."

So wurden 30 Patienten zwischen 1999 und 2004 tot in Fixiergurten gefunden. Die Gurte wurden einerseits falsch angewendet, sie rutschten mitunter aber auch vom Bauch- in den Brustbereich und behinderten dann die Atmung.

Bisher existieren Register in Deutschland nur in wenigen Bereichen, etwa der Kardiologie; sie sind zudem oft regional begrenzt und nur auf freiwilliger Basis. Der MDS schlägt vor, sich bei dem neuen Register auf jene Medizinprodukte zu beschränken, von denen ein hohes Risiko ausgeht und die häufig eingesetzt werden.

Dazu gehören Herzschrittmacher, künstliche Linsen für das Auge, Gefäßstützen, Defibrillatoren und künstliche Gelenke. Jährlich werden etwa 1,1 Millionen dieser Implantate eingesetzt.

Der Vorschlag stößt auch bei Herstellern auf Interesse. Auf ihre Mitarbeit ist ein Register angewiesen. Bisher hatten Ärzte mit Widerstand der Hersteller gerechnet, denn ein Register würde zeigen, welche Unternehmen mit Mängeln zu kämpfen haben.

Problem Datenschutz

"Ein Register liegt auch im Interesse der Hersteller", sagt hingegen Olaf Winkler vom Bundesverband Medizintechnologie, der Interessenvertretung der Hersteller. "Es hilft Firmen dabei, ihre Produkte zu verbessern, wodurch die Qualität langfristig steigt."

Außerdem könnten die Hersteller so zeigen, dass ihre Produkte ihren Zweck erfüllen und nicht - wie jüngst geschehen - ein Röntgengerät Kurzschlüsse produziert oder Spezialmatratzen, die verhindern sollen, dass Patienten wundliegen, sich selbst entzünden.

Obwohl sich die Branche über den Nutzen eines Registers für Medizinprodukte einig zu sein scheint, sind noch viele Hürden zu überwinden. So ist ungeklärt, ob ein Register in Deutschland überhaupt mit dem Datenschutz vereinbar ist. Der MDS will nämlich wie in Schweden eine Verbindung zwischen Patient und Produkt herstellen.

Weil das bisher unmöglich ist, sind Rückholaktionen aufwendig: Legt ein Hersteller den Austausch eines Produktes nahe, muss der MDS beim Hersteller erfragen, welche Krankenhäuser die betroffenen Implantate gekauft haben. Nicht immer wollen Unternehmen Auskunft über ihre Kunden geben. Tun sie es, werden alle betroffenen Kliniken angeschrieben.

Dort müssen alle Patientenakten nach dem Produkt durchsucht werden - ein immenser Aufwand, der nicht immer zum Erfolg führt. So wurden von einem Herzschrittmacher, der undicht werden konnte, 78.000 Geräte weltweit ausgeliefert. 28.000 Geräte sind aber noch immer implantiert. Der Austausch wäre einfacher, wenn für jedes Produkt die Namen der Patienten vorliegen würden.

Zugriff und Verwendung

"Patient und Produkt zusammenzuführen ist Herzstück eines Medizinprodukte-Registers", sagt Peter Schräder von der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung. Schräder arbeitet daran, ein Endoprothesen-Register umzusetzen.

Es könnte das erste Medizinprodukte-Register in Deutschland werden, das den Forderungen des MDS entspricht. "Eigentlich liegen die meisten Daten, die wir benötigen, vor - wir müssen sie bloß zusammenführen", sagt Schräder. "Wenn wir das nicht dürfen, geht gar nichts."

Doch ein Verzeichnis der Medizinprodukte könnte auch an anderen Fragen scheitern. So ist noch ungeklärt, wer Zugriff auf die Daten haben soll und wer über ihre Verwendung entscheiden darf. Der MDS will den Herstellern kein Mitspracherecht einräumen, diese pochen jedoch darauf.

Auch in der Kostenfrage ist man nicht einig. Der MDS verlangt, dass die Hersteller das gesamte Register finanzieren. Die Unternehmen wollen aber nur einen Teil der Kosten übernehmen - das könnte die Einführung in weite Ferne rücken.

"Optimistisch geschätzt dauert es fünf Jahre, bis auch in Deutschland die Verwendung von Medizinprodukten zentral erfasst wird", schätzt Jürgen Windeler. Bis dahin werden weiterhin Prothesen implantiert, von denen man längst wissen könnte, dass sie mangelhaft sind.

© SZ vom 27.08.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: