Jugendsprache:Yalla, Lan! Bin ich Kino?

Jugendliche in Deutschland verwenden immer mehr türkische, arabische und russische Worte und Formulierungen. Für manche von ihnen könnte das zum Problem werden.

Markus C. Schulte von Drach

"Machst du rote Ampel." Manchmal versteht man nur Bahnhof, wenn sich Jugendliche unterhalten. "Ischwör."

Jugendsprache

Jugendliche in den Großstädten entwickeln ihre eigenen Sprach-Stile.

(Foto: Foto: photodisc)

Tatsächlich macht sich der Migrationshintergrund von Kindern, die in Deutschland leben, seit einigen Jahren in der Jugendsprache deutlich bemerkbar. Und zwar auch in der Sprache von Kindern, deren Eltern nicht erst in den letzten Jahrzehnten eingewandert sind.

Seit dem gleichnamigen Roman von Feridun Zamaioglu ist dieses Phänomen unter dem Begriff Kanak Sprak bekannt.

Und weil die Jugendlichen diese Sprache als Erwachsene noch immer sprechen, werde sich die deutsche Sprache nachhaltig verändern, meldete kürzlich eine deutsche Nachrichtenagentur unter Berufung auf den Sprachwissenschaftler Norbert Dittmar von der Freien Universität Berlin.

Nun hat sich die deutsche Sprache schon immer entwickelt. Die Zahl der Anglizismen wächst, und seit Jahrhunderten macht sich der Einfluss der französischen Sprache, des Lateinischen oder des Italienischen bemerkbar.

"Natürlich verändert sich die deutsche Sprache auch unter dem Einfluss der Migranten", bestätigt Dittmar gegenüber sueddeutsche.de. Aber das, was ihm da kürzlich in den Mund gelegt wurde, gehe doch erheblich weiter als das, was er tatsächlich gesagt habe.

Insbesondere in den Großstädten beobachten die Sprachwissenschaftler, dass Kinder und Jugendliche verschiedener ethnischer Herkunft in ihren lokalen Netzwerken eine besondere Sprache entwickeln, die auch Begriffe und Eigenheiten der unterschiedlichen Migrantensprachen enthält.

Doch damit ist die allgemeine deutsche Umgangssprache oder gar das Hochdeutsch noch nicht in Gefahr.

Denn diese Jugendsprachen variieren von Großstadt zu Großstadt, von Stadtteil zu Stadtteil, sogar von Clique zu Clique. Schließlich wird die Sprache der Jugendlichen durch mehrere Faktoren beeinflusst: den regionalen Dialekt, die Sprache der lokalen Migrantengruppen, die Sprache der Bezugspersonen und natürlich durch die Schule, erklärt Dittmar.

"Yalla" und "Guten Tag"

Dazu kommt, dass manche Jugendliche, die ihre Freunde etwa mit dem arabischen "Yalla" begrüßen, Erwachsenen immer noch einen "Guten Tag" wünschen. Sie wenden ihre multi-ethnische Jugendsprache nur bei ihresgleichen an. Zugleich aber beherrschen viele das normale Umgangsdeutsch ihrer Umgebung oder Hochdeutsch.

Die meisten Veränderungen betreffen sowieso vor allem Bereiche, die sich in der Umgangssprache immer schon stark verändert haben.

Als "Hotspots" bezeichnet der Linguist Jannis Androutsopoulos von der Universität Hannover diese Bereiche. Es handelt sich dabei vor allem um Bewertungen und Verstärkungen, um Begrüßungen, Verabschiedungen, aber auch um Beschimpfungen und andere Ausdrücke von Gefühlen, um Worte für Mädchen, Geld oder aus dem Bereich der Sexualität.

"Heute kommen neue Wörter auch aus Sprachen, die früher keine große Rolle gespielt haben", erklärt Androutsopoulos: "Aus dem Türkischen, Arabischen oder Russischen."

Das gilt zum Beispiel für das ursprünglich türkische Wort "Lan" - ein unter Sprachwissenschaftlern gängiges Beispiel für ein Wort mit wachsendem Bekanntheitsgrad. Es bedeutet soviel wie "Ey Mann!" oder "Alter". Und an dieser Stelle des Wortschatzes, der Anrede, hat schon immer große Erneuerungsfreude bestanden, so Androutsopoulos. "Mann" selbst zum Beispiel hat sich erst seit den 50er Jahren durch amerikanische Einflüsse eingebürgert.

"Darstellungen in den Medien sind häufig übertrieben"

Und der Weg dieser Ausdrücke in die deutsche Umgangssprache führt weder von einem lokalen Netzwerk über soziale Kontakte in die nähere und dann weitere Umgebung, noch setzen sich die Worte durch, weil Erwachsene ihre Jugendsprache beibehalten.

Vielmehr spielen hier vor allem die Medien eine Rolle, die Begriffe oder Sprachstile aufgreifen und sie damit ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit bringen. Ein Beispiel, auf das Sprachwissenschaftler immer wieder hinweisen, ist das Komikerduo Erkan & Stefan.

"Doch die Darstellungen in den Medien sind häufig übertrieben", erklärt Inken Keim vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim: "Und wenn Jugendliche von dort etwas übernehmen, dann sind das vermutlich eher vorübergehende Modeerscheinungen."

Yalla, Lan! Bin ich Kino?

Ob langfristig einzelne Worte aus den Migrantensprachen oder der Wegfall von Präpositionen wie in Sätzen "Ich geh Schwimmbad" in die Umgangssprache übernommen werden, lässt sich ihrer Einschätzung nach deshalb derzeit nicht sagen.

Sprach-Förderung notwendig

Eine Gefahr, die von den lokalen Jugendsprachen ausgeht, sieht Experte Norbert Dittmar jedoch tatsächlich - sie drohe allerdings nicht dem Hochdeutschen, sondern den Jugendlichen selbst.

"Diese Sprache der Straße bleibt überwiegend in den sozial schwachen Milieus, in denen viele Kinder mit Migrationshintergrund leben ", erklärt Dittmar. "Das Problem ist: Wer kein Hochdeutsch beherrscht, hat in dieser Gesellschaft kaum Chancen auf Erfolg. Der bleibt in diesem Milieu."

Denn Hochdeutsch ist noch immer die Sprache, die man zum Beispiel im Bewerbungsgespräch benötigt. "Obwohl jeder Mensch im Prinzip mehrere Sprachstile entwickeln kann, lernen viele Kinder nur den sogenannten informellen Stil, die Sprache auf der Straße", erklärt Dittmar.

Deshalb fordert der Sprachwissenschaftler, Kinder zwischen zwei und acht Jahren, die auf Hilfe beim Erlernen des Hochdeutschen angewiesen sind, an den Schulen entsprechend zu fördern. Derzeit passiere da zu wenig.

Gegen die Jugendsprachen auf der Straße will der Forscher aber nicht angehen. Er würde sich stattdessen mehr Möglichkeiten wünschen, deren Eigenheiten zu untersuchen, um die Entwicklung von Sprache besser zu verstehen.

"Diese Jugendsprachen haben ja ihre eigene Grammatik mit System und Logik", erklärt Dittmar. In dem Satz "Ich mach dich Messer" (Ich greife dich mit dem Messer an, ich mach dich fertig) ist zum Beispiel nicht klar, ob "Messer" noch - wie im Hochdeutschen - ein Substantiv ist. Und das Verb "machen" erfährt eine semantische Erweiterung.

"Da werden ganz neue Regeln und Sinnkonstitutionen geschaffen", betont Dittmar. Auch wenn diese sich nicht in die allgemeine Sprache durchsetzen ist, es spannend, was dort geschieht. "An diesen Brennpunkten der Sprachentwicklung", so bedauert Dittmar, "wird aber viel zu wenig geforscht".

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