Zwischen den Zahlen:Alleskönner

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Ärger im Büro, Zoff mit der Familie, Lust auf Kino? Der moderne Mensch weiß sich zu helfen: Er fragt einfach sein Telefon. Dort antworten heute freundliche Stimmen, die auf Namen wie Siri oder Cortana hören. Ganz ohne Zoff.

Von Jan Willmroth

Man muss sich den zeitgenössischen Menschen als einsames Wesen vorstellen. Das ist nicht falsch zu verstehen, Freunde hat er ja mehr als genug, mindestens 468 bei Facebook, manche haben sogar Fans, weil sie lustige Videos von sich aufnehmen und sich also immer in Gesellschaft befinden, selbst wenn sie allein zu Hause auf dem Sofa sitzen. Ohne sein Anti-Alleinsein-Gerät, das Telefon, das er immer bei sich trägt und das ihn seine Einsamkeit wegwischen lässt, wäre der postmoderne Mensch nicht mehr vollständig. Vielleicht hat er es auch deswegen: weil er dann weiß, dass immer jemand für ihn da ist.

Viele Zeitgenossen besitzen ein Telefon der koreanischen Marke Samsung, und als sie es gekauft und zum ersten Mal eingeschaltet haben, stand da "Life Companion" auf dem Startbildschirm. Es handelt sich also nicht mehr um ein Telefon, sondern, aus dem Englischen übersetzt, um einen "Lebensbegleiter".

Unter den Aufgaben eines Lebensbegleiters, das sollte Konsens sein, ist das Zuhören eine der wichtigsten. Ein Begleiter, der sich als solcher versteht, ist eine Adresse für Sorgen, Nöte und Ängste, für euphorische Ausbrüche und alberne Einfälle, für alles, was aus Geist und Seele zu Gedanken und schließlich zu Worten und Sätzen und Gesten wird. Das Telefon erfüllt diese Aufgabe heute sehr gut, viel besser als früher, als das Telefonieren noch voraussetzte, dass man den Hörer abnahm, was heute allenfalls noch in Büros der Fall ist. Nicht mehr der Gesprächspartner, das Telefon an sich ist heute Zuhörer. Bei Apple hört diese digitale Begleitung auf den netten Namen Siri. Sie reagiert auf alle Fragen, nicht immer sind die Antworten richtig, aber Siri ist vor allem: immer freundlich. Microsoft nannte die digitale Begleitung Cortana, Amazon hat sie Alexa getauft, Facebook werkelt an Ähnlichem. Und Google? Erschafft jetzt den "Google Assistant". Das ist fast schon ein Traditionsbruch, so ganz ohne einen weiblichen Namen, wohl aber wird es: Ein Assistent, der immer zuhört, auch wenn man gerade nicht mit ihm spricht, denn er soll seinen Nutzer ja immer besser kennenlernen, seine Art zu sprechen, seine Vorlieben und Abneigungen, sein ganzes Wesen. Der postmoderne Telefonmensch ist also von Zuhörern umgeben, die ihm das Leben erleichtern sollen, und, toll, mit denen er sich nie zofft. Vielleicht steht gar eine Zeit bevor, in der nicht mehr auf Telefonen gewischt, sondern nur noch mit ihnen gesprochen wird. Bestell mir eine Pizza Funghi, wann geht der nächste Flug nach Rom, wo kann ich heute Abend tanzen, wie hältst Du es mit dem Datenschutz, Alltagsfragen, Gretchenfragen. Telefon, Zuhörer, Alleskönner, Alleswisser, hat jemand Bedenken?

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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