Zusammenbruch eines Imperiums:Die sieben Leben des Leo Kirch

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In 47 Jahren hat der mächtige Medien-Mann alles riskiert und alles gewonnen - jetzt aber fehlt es ihm nicht nur an Geld und guten Worten.

Hans-Jürgen Jakobs

(SZ vom 06.02.02) - Es war vor drei Monaten, Leo Kirch war in seltsamer Stimmung. Bei der Beerdigung von Helmut Guthardt, dem früheren Chef der DG Bank, gab der Münchner Medienkaufmann unerhört drastische Sätze von sich. "Ich habe alles falsch gemacht", sagte er unter anderem. Ungeeigneten Leuten habe er vertraut. Bleierne Traurigkeit lag über der Szene. Selbst langjährige Weggefährten hatten ihn, wie sie später berichteten, noch nie so melancholisch erlebt, und in diesem Moment wussten sie: Es steht ernst um sein Unternehmen.

Es ist wenig übrig geblieben von der Strickjacken-Gemütlichkeit, die das Unternehmen des Medienmoguls Leo Kirch jahrelang prägte. (Foto: N/A)

Nicht nur am Grabe des Finanziers Guthardt, der in den achtziger Jahren mit den Milliarden der Volks- und Raiffeisenbanken Kirchs Aufstieg befördert hatte, beschlichen den 75-jährigen Fernsehunternehmer dunkle Gedanken. Auch danach wirkte er zuweilen resigniert, angeschlagen, müde. Immer wieder tauchten Probleme auf: Geldgeber fragten nach Sicherheiten, Banken und Partner trieben ein doppeltes Spiel, Prozesse drohten.

Doch phasenweise ist Leo Kirch nach Auskunft Eingeweihter in jüngster Zeit auch wieder ganz der Alte: kämpferisch, gerissen, charmant. Telefoniert wie ehedem sieben Tage die Woche weltweit mit den Führern der Fernsehindustrie, mit Spitzenmanagern wie Rolf-Ernst Breuer von der Deutschen Bank, mit den Anwälten seiner Kanzlei Nörr-Stiefenhofer- Lutz, mit deutschen Verlagschefs, mit seinem Freund Helmut Kohl oder dem Bundeskanzler Gerhard Schröder. Empfängt Gesprächspartner am Wochenende in seinem Münchner Stadtbüro in der Kardinal-Faulhaber-Straße, wo die Hauswirtschafterin bayerische Schmankerl reicht.

Eine Ladung Dynamit

In diesen Momenten kämpft der Patriarch. Dann knüpft er die verrücktesten Schleifen, um sein Lebenswerk zu retten, jenen hochgerüsteten Fernsehkonzern, der alles hat, um die Nummer Eins im deutschen TV-Geschäft zu sein, und dem derzeit doch das Wichtigste fehlt: Geld. Rund sechs Milliarden Euro an Bankverbindlichkeiten hat der Kirch-Konzern in seiner unbändigen Expansionslust angehäuft, weitere Milliarden-Verpflichtungen bestehen gegenüber Finanziers und Lieferanten - eine Ladung Dynamit, die das ganze Gebäude zu sprengen droht.

Fatalerweise rangieren nämlich derzeit wichtige Besitztümer des Imperiums an der Börse weit unter früherem Wert. Die Relation von Vermögen und Schulden stimmt längst nicht mehr. Immer wieder in seiner 47-jährigen Berufslaufbahn hatte der Spieler Kirch alles riskiert, alles auf Rot oder Schwarz gesetzt, nun aber gilt womöglich: Rien ne va plus.

Ein Konglomerat aus Film, TV und Zeitung

Vielerlei ist zusammengefügt zu dem Firmen-Konglomerat, das von einem verwinkelten Bürotrakt im Örtchen Ismaning im Münchner Norden aus gesteuert wird: der ran-Salesch-Schmidt-Sender Sat 1, die Spielfilm- und Comedy-Maschine Pro Sieben, Kabel 1 mit seiner Best-of-Archiv-Mischung, das Deutsche Sport-Fernsehen, der Nachrichtenkanal N 24, das grenzdebile Neun live und viele weitere TV-Stationen - rund ein Dutzend an der Zahl.

Hinzu kommen der Rechtehandel mit Lizenzen für Filme, Formel 1 und Fußball (WM, Bundesliga, Champions League), ferner Produktionen von Kinohits wie "Der Schuh des Manitu". Und schließlich hält Kirch 40 Prozent am Axel Springer Verlag, der mit Bild die größte europäische Tageszeitung herausgibt.

Die Fäden ziehen die Gläubiger

Ideale Medienkonzerne sehen in den Büchern der Business-Schools so aus wie Kirchs Gruppe, und doch kämpft der Eigentümer in diesen Tagen einen verzweifelten Kampf. Das liegt vor allem am maroden Abo-Fernsehen von Premiere World, das seit 1998 hohe Milliardenverluste produziert hat und einfach nicht in Gang kommt. Leo Kirch ist physisch belastet durch By-Pässe am Herzen und eine schwere Zuckerkrankheit, will aber Herr des Verfahrens bleiben.

Doch seine Gläubiger und Banken ziehen hinter seinem Rücken ihre Fäden, aus Sorge ums investierte Geld und um einen Crash, der alles in den Schatten stellen könnte, was die Bundesrepublik bisher erlebt hat: die Pleite des Bankhauses Herstatt (1974) etwa oder die einstürzenden Altbauten des Jürgen Schneider (1994).

Sanfte Rettung

Wenn es zum Zusammenbruch nicht kommt, liegt das an der deutschen Finanz-, Medien- und Polit-Aristokratie, die mit erhöhter Betriebsamkeit an Auffanglösungen arbeitet und eine sanfte Rettung anstrebt. Immer öfter macht einer aus dem Zirkel Druck. Jetzt verkündete Deutsche-Bank-Chef Rolf-Ernst Breuer öffentlich, es gebe "unter den gegebenen Umständen" keine weiteren Kredite für Kirch. Breuer und andere Banker wollen das Feld bereiten für neue Partner, um den Konzern vor dem Absturz zu bewahren.

Kirch steht also unter größtem Druck, da er den Banken so viel Geld schuldet, sich in Hollywood mit den großen Filmstudios um über 100 Millionen Euro streitet und bei wichtigen internationalen Investoren weitreichende Garantien erfüllen muss. Einer davon ist der TV-Tycoon Rupert Murdoch, der wohl aggressivste Medienkaufmann der Welt, der sich überall in Zeitungen und ins Fernsehen eingekauft hat und der nun eine Insolvenz bei Kirch für möglich hält.

Es ist wenig übrig geblieben von der Strickjacken-Gemütlichkeit, die das Unternehmen Kirch jahrelang prägte. Noch in den ausgehenden neunziger Jahren saßen der Inhaber und die Getreuen aus frühen Tagen beisammen und führten die Geschäfte im Stil eines klassischen Mittelständlers. Die frühere ZDF-Angestellte Gertrude Barrera-Vidal hatte die Lizenzzeiten der hauseigenen Filme im Kopf und schaute zur Not in ihren Zettelkasten, ein Mann namens Moder betreute die Finanzen. Wenn einer mal kritische Fragen stellte, sagte er bloß: "Machen Sie sich keine Sorgen, bisher hat es noch immer gereicht."

Stimmt ja auch. Selbst als Ende 1989 schon einmal ernsthaft das Aus drohte, kam einer wie der Metro-Gründer Otto Beisheim um die Ecke und half. Der Patriarch an der Spitze, den der frühere Springer-Chef Jürgen Richter einst halb-öffentlich einen Krämer nannte, lebte im Bewusstsein, als Letzter aus der Zeit der Grundigs, Neckermänner und Borgwards überlebt zu haben. In dieser Ära waren Märkte noch offen und Ideen Kapital.

Studium mit Strümpfen finanziert

Als Kirch Betriebswirtschaftslehre an der Universität Erlangen studierte, verschickte er Strümpfe nach Jugoslawien und tauschte sie gegen Slibowitz-Flaschen, die sich in Deutschland mit großem Gewinn verhökern ließen, erzählen alte Bekannte. So finanzierte der Naturalökonom das Studium; 1955 gründete er die Sirius GmbH, die den Filmhandel erschließen sollte.

Frühzeitig hatte der promovierte Kaufmann den Siegeszug des Fernsehens erahnt. Im klapprigen Volkswagen fuhr er zusammen mit seinem Partner Hans Andresen nach Barcelona und kaufte die Filme "Marzellino", "Pane e vino" und wenig später in Rom Fellinis "La Strada", was die Firmenchronik gern als Beginn der Handelstätigkeit nennt.

Unermüdlich durchstreiften die beiden Freunde Europa und die USA nach Lizenzen ab, und wenn sich die Eisenbahn-Trips in der Holzklasse nicht gelohnt hatten, schrieb Kirchs Partner gern: "Außer Spesen nichts gewesen, Hans Andresen." Der Witzbold wurde später ausgekauft und kümmerte sich in Japan um die Produktion von Kinderzeichentrick-Episoden.

Mit dem Privatfernsehen stieg die Bekanntheit

Kirch indes wurde in Hollywood zum Großabnehmer, immer mehr Menschen guckten in Deutschland das Erste Programm und - von 1963 an - das ZDF, die er belieferte, und so wuchsen sich die Aktivitäten der Firma zu einem Verbund aus, von dem die Allgemeinheit wenig mitbekam. Bei den Fach-Redakteuren der öffentlich-rechtlichen Anstalten aber war der Großlieferant populär, Kirchs neue Filme wurden schließlich in Los Angeles oder Cannes gezeigt.

Erst als in den Achtzigern auch in Deutschland das Privatfernsehen aufkam, und sich der Münchner Pionier, zunächst über nahestehende Firmen und Personen, an Sendern wie Sat 1 oder Pro Sieben beteiligte, wurde sein Name auch den normalen TV-Zuschauern ein Begriff.

Regelmäßig landet er heute, wenn einschlägige Blätter wie Hörzu nach den mächtigsten Medienmachern fragen, ganz vorn. In der Februar-Ausgabe der Männerzeitschrift GQ rangiert sein Vize Dieter Hahn sogar klar vor dem Bertelsmann-Boss Thomas Middelhoff, dessen Unternehmen rund dreimal so groß ist und derzeit vor allem über hohe liquide Mittel verfügt.

Als Haffa blass wurde

Seine allseits hoch geschätzte Stellung sicherte Leo Kirch durch ein vielmaschiges Beziehungssystem, in dem Werte wie Treue, Loyalität und Freundesdienste zählen. Wer dazu gehört, kann mit lebenslanger Beschäftigung rechnen. Für Leute wie den scheidenden ZDF-Fernsehrat Wilfried Scharnagl, den früheren Springer-Vize Claus Larass oder den einstigen Bayerische-Landesbank-Chef Alfred Lehner ist ein Posten übrig geblieben.

Wer nicht spurt, bekommt eine gewisse Kälte zu spüren wie der langjährige Kirch-Spezi Thomas Haffa, der mit der Firma EM.TV im Börsenrausch der New Economy alles gekauft hatte, was sich bewegte, darunter auch eine Beteiligung an der Tele-München-Gruppe, wovon Dr. Kirch freilich strikt abgeraten hatte. Beim anschließenden Plauderstündchen verkündete der Patron in der Strickjacke dem Überflieger Haffa mit leisem Ton: "Du bist noch mein Freund, lieber Thomas, aber ich - ich bin nicht mehr Dein Freund." Haffa wurde blaß.

Die Bildzeitung, Kohls Freund

Zu vielen politischen Größen, meist aus dem konservativen Lager, hatte Kirch enge Bande geknüpft, etwa zu Franz Josef Strauß (was bei DDR-Geschäften geholfen haben mag), aber auch zu Helmut Kohl, dem Kirch im Wahljahr 1994 auf Sat 1 eine eigene Sendung (Zur Sache, Kanzler) widmete.

Kohl konnte sich auch einer gewissen Sympathie in Springers Bild gewiss sein, jenem Massenblatt, mit dem der Springer-Großaktionär Kirch bei Verhandlungen mit öffentlich-rechtlichen TV-Managern, Politikern und Fußball-Funktionären so gut Eindruck machen konnte. Die Boulevardzeitung wollte man nicht zum Feind haben - und damit hatte man Kirch rasch zum (Geschäfts-)Freund.

In dem konservativen Zeitungshaus hatte sich der gebürtige Franke gegen den erklärten Willen des 1985 verstorbenen Verlegers Axel Springer und gegen den zeitweiligen Widerstand des Managements nahe an die Aktienmehrheit herangekauft, auch das eine hochriskante Aktion. Wenn dann im Aufsichtsrat mal unliebsame Anträge auf den Tisch kamen, etwa eine Beteiligung Springers an der heutigen RTL Group, polterte Kirch los wie einer, dem man das Spielzeug entreißen will. Die Verlegerin Friede Springer pflegte in solchen Momenten dezent den Raum zu verlassen.

Heute möchte das Springer-Management den Eindringling am liebsten los werden und verlangt, wie im Sommer 2000 verabredet, 767 Millionen Euro für einen TV-Anteil an der ProSiebenSat 1 Media AG - trotz aller Dementis offenbar kalkulierend, dass der klamme Kirch nicht zahlen kann und dafür womöglich sein Aktienpaket am Springer-Verlag eintauscht.

Vermischt und neu sortiert

In diesen Tagen kommt Leo Kirch nicht dazu, in seine fränkische Heimat zu fahren, nach Fahr, einem Ortsteil von Volkach, wo sein Bruder wohnt, wo er mit alten Freunden gern ein Schöppchen trinkt und dem örtlichen Fußballclub dicke Spenden überweist. Es geht turbulent zu im Ismaninger Hauptquartier: Prüfer der Banken durchkämmen die Bücher; Fernsehchefs brüllen Controller an, weil angeblich nicht noch mehr eingespart werden kann. Hunderte verlieren den Job.

Der Vorstand von Kirch Media ist auf Reisen oder nicht zu sprechen. In dargereichten Organigrammen fehlen bekannte Namen. Alles wird durcheinander gewirbelt und neu sortiert.

Murdoch will alles

"Wir haben zu viele Verbindlichkeiten", gesteht ein leitender Manager in ungewohnter Offenheit. Es müsse mehr Eigenkapital her, sagt er, gedacht sei an eine Mischung aus privaten Geldgebern und Medienunternehmern. Halm Saban aus Los Angeles, der Mitte 2001 für viele Milliarden Dollar die Hälfte am TV-Sender Fox Family verkauft hat, ist an Kirchs TV-Einkaufsreich Home Shopping Europe interessiert.

Gerade war er in München. Auch Bertelsmann hat ein Auge darauf geworfen. Daimler-Chrysler, BMW und andere Autokonzerne wollen die Rechte an der Formel 1. Springer will Springer. Und Murdoch will alles.

Kommt es also zum totalen Ausverkauf? Soweit ist es noch nicht, aber von irgend etwas wird sich Kirch trennen müssen. Das weiß er wohl auch, und wichtig ist ihm offenbar vor allem die Beteiligung am Springer-Verlag. Die will er partout nicht hergeben.

Aber die Formel 1 und das teure Pay-TV dürften kaum mehr zu halten sein - wahrscheinlich schrumpft der Laden auf das Kerngeschäft, den Rechtehandel und das Betreiben werbefinanzierter Sender. "Eine Katze hat sieben Leben, aber eben nicht acht", kommentiert ein Eingeweihter.

Hoffnung verkauft besser als Wirklichkeit

Ein grundlegender Umbau des Konzerns ist unumgänglich, Kirchs Erbe wird davon nicht unberührt bleiben. Vielen Bankern war seit Jahren mulmig bei dem Gedanken, dass der Besitz einst Kirchs einzigem Sohn Thomas zufallen könnte, der im Management versagte und dessen teure Scheidung von seiner Luxus liebenden Frau Schlagzeilen in der Boulevardpresse machte. Auch fand die Polizei im Hause des 44-Jährigen 136,9 Gramm Haschisch.

Die Lage ist dramatisch. Im Zweifelsfall muss der in Not geratene König der Filmrollen sich an seinen liebsten Leitspruch halten: "Hope sells better than reality". Hoffnung verkauft besser als Wirklichkeit.

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