Wirtschaftskrise und Psychologie:Versammlung im Jammertal

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Reden vom Verlust: Diese Krise wird so lange dauern, wie die Herde der Multiplikatoren Anlass für schlechte Nachrichten sieht - und die Herde der Empfänger sich davon beeindrucken lässt.

Detlef Esslinger

Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass diese Krise für jeden sichtbar wurde, und so langsam reicht es den Leuten. Viele können die Schreckensmeldungen nicht mehr hören, mit denen sie die Herde der Politiker, Manager, Wirtschaftsforscher und Journalisten Tag für Tag heimsucht. Dass die deutsche Wirtschaft "auf ein Desaster zusteuert" und der Welthandel einbricht "wie nie zuvor", dass eine Million Arbeitsplätze in Gefahr seien, ja, ein "realwirtschaftlicher Tsunami" bevorstehe - wer die öffentliche Diskussion verfolgt, kann in der Tat zu dem Eindruck kommen, dass die Einzigen, die noch Hochkonjunktur haben, solche Vokabeln sind. Jeder muss sich nur im Kreis seiner Bekannten umhören, Leserbriefspalten oder Internetforen betrachten. Der verbreitete Eindruck ist, dass bei den Meinungsmachern ein Wettbewerb ausgebrochen sei: wer das Land am eindrucksvollsten herunterschreiben und -reden kann.

Kaum noch zu ertragen - die Negativmeldungen zur Krise. (Foto: Foto: ddp)

In der Tat lesen sich einige öffentliche Äußerungen so, als werde demnächst wirklich alles zusammenbrechen, als werde niemand mehr Geld für irgendetwas ausgeben können: für kein Buch, für keine Milch und keine Hose. Dabei kann man all die Prognosen und Statistiken auch anders lesen, als dies gemeinhin geschieht. Krise im Jahr 2009 in Deutschland bedeutet, dass der Wert aller hier produzierten Güter und Dienstleistungen, das Bruttoinlandsprodukt, im Vergleich zum Vorjahr um 4,5 Prozent sinken dürfte. Einerseits gab es so etwas seit dem Krieg noch nicht, schon richtig. Andererseits: Ein Minus in dieser Höhe heißt, dass wir zu 95,5 Prozent den Wert des Vorjahres erreichen werden.

Die Frage, ob man nicht ausnahmsweise auch damit mal zufrieden sein kann, ist nur aus einem einzigen Grund abwegig: Weil diese Volkswirtschaft auf eine Weise hochgezüchtet ist, dass sie Jahr um Jahr wachsen muss - oder der technische Fortschritt reduziert automatisch die Zahl der Arbeitsplätze. Niemand braucht den Eindruck zu erwecken, als werde Deutschland am Ende dieser Krise auf Simbabwe-Niveau sein. Aber ihr Ausmaß wird stark davon abhängen, was öffentlich geredet und geschrieben wird.

Der Herdentrieb

Manche machen es sich sehr einfach. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, sagt jetzt, wichtig sei nicht, ob eine Prognose eintreffe, sondern ob sie zu positiven Verhaltensänderungen führe. Das ist natürlich ein bisschen lebensfremd. Wirtschaftsprognosen werden zwar allgemein als unentbehrliche Planungsgrundlagen erachtet; das Charakteristische an ihnen ist jedoch, dass sie vorhandene Verhaltensweisen tendenziell verstärken, nicht aber verändern. Das Bruttoinlandsprodukt soll schrumpfen, sagen alle Experten? Da bestellen viele Unternehmer lieber keine neue Produktionsanlage; zusätzliche Kosten können sie jetzt nicht gebrauchen.

Das Verzwickte an Wirtschaftskrisen ist ja, dass man sie nicht so einfach in den Griff bekommen kann wie naturwissenschaftlich lösbare Probleme. In diesem Sinne handelt es sich beim Thema Klima um eine einfache Aufgabe - man muss bloß die Kohlendioxid-Emissionen reduzieren, und das Problem wäre gelöst. So mechanisch funktioniert Wirtschaft nicht. Ludwig Erhard hat es so formuliert: "Die Wirtschaft hat kein Eigenleben im Sinne eines seelenlosen Automatismus, sondern sie wird vom Menschen getragen und vom Menschen geformt."

Der Mensch ist aber nur in Teilen ein rationales Wesen, das seine Entscheidungen auf der Basis von Nachdenken und Analysieren trifft. Oft richtet er sich einfach danach, was er will, sowie nach dem, was seine Mitmenschen tun - Letzteres vor allem dann, wenn ein Thema zu groß ist, als dass er es wirklich durchschauen würde. Für diesen Herdentrieb gibt es in der Evolution gute Gründe: Herden bieten Schutz und die Möglichkeit, von anderen zu lernen - leider verleiten sie aber auch zu dem Irrglauben, dass das, was alle machen, wohl nicht falsch sein wird. Auch wegen des Herdentriebs ist es zu dieser Krise gekommen, auch wegen des Herdentriebs ist es so schwierig, dort wieder herauszukommen.

Warum sind denn so viele Banken in ihrer Existenz bedroht? Weil Millionen Menschen Häuser gewollt und (auf das Zureden der Banken) gekauft haben, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten und deren Finanzierung sie nicht im Geringsten verstehen konnten. Dafür sahen sie, dass Millionen andere auch schon gekauft hatten. Warum reicht es nicht, nun einfach Geld in die Volkswirtschaft zu pumpen, sei es in Form von höheren Löhnen, von Abwrackprämien und Konjunkturprogrammen? Erstens, weil die Marktwirtschaft letztlich auf einer Währung fußt, die nicht Euro, Dollar oder Yen, sondern Vertrauen heißt - dem Vertrauen der Unternehmer in Kunden, der Banken in Unternehmer, der Kunden in Unternehmen. Und zweitens, weil der Herdentrieb nicht nur eine Eigenschaft des Laienmenschen, sondern auch der sogenannten Experten ist. Interessanterweise ist es derzeit die Herde der Experten, die von den Prognosen viel stärker beeindruckt ist als die Herde der Konsumenten. Wer täglich professionell mit Informationen umgehen muss, verliert offenbar leichter Vertrauen als andere. Der amerikanische Psychologenverband empfiehlt Börsenmaklern inzwischen, keine Fernsehnachrichten mehr anzuschauen.

Das Jammertal als Ausflugsort

Es ist aber auch unmöglich, dem Thema zu entkommen. Der Wirtschaftsforscher Zimmermann schlug vor ein paar Monaten vor, auf Prognosen vorübergehend zu verzichten; dafür ist er in seiner Zunft viel verspottet worden - mit der Folge, dass auch er längst wieder Prognosen verbreitet. Eitelkeit ist das Mindeste, was alle Multiplikatoren treibt, Chefvolkswirte, Politiker und Journalisten sind keine außenstehenden Beobachter, sondern Teil einer Mediengesellschaft, in der sie ihre Existenzberechtigung aus dem Erzielen von Aufmerksamkeit ziehen. Aufmerksamkeit aber erhält man am leichtesten für die noch katastrophalere Zahl und die noch drastischere Formulierung. Und bloß nicht dem Trend widersprechen, man könnte schließlich als naiv dastehen, als Einziger. Ein ZDF-Reporter hat neulich in einem Blog seines Senders erzählt, wie er einem Bauelementehersteller aus Osnabrück absagen musste, weil der Mann mit den Umsatzsteigerungen, die er erwartete, nicht in den Tenor des Beitrags passte.

Diese Krise wird so lange dauern, wie die Herde der Multiplikatoren Anlass für schlechte Nachrichten sieht und die Herde der Empfänger sich davon beeindrucken lässt. Ihre Bekämpfung wird in Deutschland nicht dadurch einfacher, dass Angst und Pessimismus zum Nationalcharakter gehören. (Wie der unnachahmliche Peer Steinbrück einmal sagte: "Das Jammertal ist mittlerweile der beliebteste Ausflugsort der Deutschen geworden.") Indessen hat der Bundespräsident in seiner Berliner Rede darauf hingewiesen, dass nur 15 Prozent aller Menschen in einem Wohlstand wie wir leben. Das ist eine Statistik, die man andersrum lesen sollte: 85 Prozent der Menschen hätten sehr gerne unsere Probleme.

© SZ vom 28./29.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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