Wirtschafts-Delinquenten:"Deutschland ist ja auch ganz schön"

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Ex-Manager von Siemens und VW müssen daheim bleiben, um im Ausland nicht im Gefängnis zu landen. Wie manche Staaten gegen Verdächtige vorgehen.

Von Klaus Ott, München

Es klingt etwas makaber, wenn Reinhard S. davon spricht, dass in seinem Fall wohl alles auf eine "biologische Lösung" hinauslaufe. Aber so sei das eben. S. hat früher bei Siemens gearbeitet, ist in seinem Job einigermaßen herumgekommen in der Welt und hat nebenbei schwarze Kassen verwaltet. Geheime Gelddepots, die dazu dienten, Beamte und Minister zu bestechen. Vor zehn Jahren ist das aufgeflogen. S. hat anschließend reinen Tisch gemacht bei der Justiz, kam mit Bewährung davon und ließ sich seitdem nichts mehr zuschulden kommen. Der ehemalige Siemens-Manager ist ein freier Mann, aber er ist nicht ganz frei. Weil der Grundsatz, dass niemand wegen ein- und derselben Tat zweimal verfolgt werden darf, oftmals nicht eingehalten wird. In Griechenland nicht, und selbst in den USA nicht.

"Ich bin jetzt 66, wer weiß, wie lange ich noch lebe."

Da in Athen noch zwei Verfahren gegen ihn laufen, verlässt S. die Bundesrepublik nicht mehr. "Ich fahre momentan nirgends hin, das ist mir zu gefährlich." Der einstige Siemens-Mann hat keine Lust, jenseits der deutschen Grenzen aufgegriffen zu werden und in Griechenland im Gefängnis zu landen. S. sagt, das Ende der Verfahren in Athen, die noch viele Jahre dauern können, werde er möglicherweise nicht mehr erleben. "Ich bin jetzt 66, wer weiß, wie lange ich noch lebe."

So wie S. ergeht es auch diversen anderen Siemensianern, die in Deutschland bleiben. Aus Angst davor, in Griechenland oder den USA hinter Gitter zu kommen. Und so wie S. könnte es auch einigen VW-Managern ergehen, die angeblich in die Abgasaffäre des Autokonzerns verwickelt sind. Bei denen es nach deutschem Recht bislang keinen Grund gibt, sie ins Gefängnis zu stecken. Frei, aber doch nicht frei.

Im Ausland gelten andere Regeln, die mit dem hiesigen Verständnis von fairen Verfahren und Rechtsstaat schwer oder gar nicht zu vereinbaren sind. Und das sogar in demokratischen Staaten. In den USA beispielsweise werden, wie jetzt in der Causa Volkswagen, Verdächtige einfach mal angeklagt. Ohne gehört zu werden, ohne sich verteidigen zu können. Einer der Betroffenen: Heinz-Jakob Neußer, ehedem Markenvorstand bei VW. Die US-Justiz behauptet, er habe von den manipulierten Schadstoffmessungen bei Dieselfahrzeugen in Übersee gewusst und den Betrug jahrelang vertuscht. Die Anklage gegen Neußer sei "aus dem Nichts heraus" gekommen, sagt seine Anwältin Annette Voges. Sie hat ihrem Mandanten schon vorher nahegelegt, "bleiben Sie mal in Deutschland". Jetzt erst recht, nachdem die US-Behörden einen anderen VW-Mann festgenommen haben und ihn zehn Jahre ins Gefängnis stecken könnten. Der andere, der war so unvorsichtig, trotz seiner mutmaßlichen Verwicklung in die Abgasaffäre in die USA zu fliegen, wo er dann bei der geplanten Rückreise aus Florida aufgegriffen und festgesetzt wurde. Dieses Schicksal wollen sich Neußer und die weiteren fünf in Übersee angeklagten VW-Leute ersparen. Und nicht nur die. Auch andere Verdächtige aus dem Autokonzern, gegen die noch gar keine US-Anklage vorliegt, bleiben auf Rat ihrer Anwälte hin daheim. Man weiß ja nie, wer auf welchen Fahndungslisten steht.

Vor Auslieferung geschützt sind Bundesbürger nur in der Bundesrepublik, weil die deutsche Justiz normalerweise selbst klärt, ob sich jemand schuldig gemacht hat oder nicht. Schon die Fahrt nach Österreich kann im Gefängnis enden, auch wenn an den Grenzen gar nicht kontrolliert wird. Es reicht ein kleiner, unverschuldeter Autounfall, bei dem die österreichische Polizei die Personalien aufnimmt. Zeigt der Computer einen Treffer in einer Fahndungsliste, dann ist es vorbei mit der Freiheit. Das droht selbst dann, wenn der Fall weit zurückliegt und nach deutschen Recht und Gesetz längst erledigt ist. Im Internet findet sich immer noch eine Mitteilung des US-Justizministeriums von Ende 2011 über eine Anklage gegen acht einstige Siemens-Manager und deren Geschäftspartner, die in Schmiergeldzahlungen in Argentinien verwickelt waren oder gewesen sein sollen.

Mehrere dieser einstigen Siemensianer haben Deutschland seitdem nicht mehr verlassen, obwohl ihre Verfahren hierzulande längst abgeschlossen sind. Und obwohl Anwälte in halb Europa und sogar in den USA vorstellig geworden sind mit der Bitte, "nehmt unseren Mandanten doch aus den Fahndungslisten heraus". Alles vergeblich. Unter ehemaligen Siemensianern heißt es, einer von ihnen wolle jetzt sogar die Bundesrepublik verklagen, weil die deutschen Behörden nicht behilflich seien bei dem Versuch, aus solchen Listen gestrichen zu werden und wieder frei reisen zu können. Doch was im alten Fall Siemens schon nicht klappt, wird im neuen Fall Volkswagen erst recht nicht funktionieren. Deutsche Verfahren schützen außerhalb Deutschlands nicht vor dem Zugriff aus den USA.

Die Amerikaner machten es sich "ein bisschen einfach", sagt Anwältin Voges. Sie hat für diejenigen, die wohl noch lange im Lande bleiben müssen, wenigstens einen kleinen Trost. "Deutschland ist ja auch ganz schön."

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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