Wirtschaft in der Krise:Mal Rezession wagen

Lesezeit: 5 min

Mit aller Macht stemmen sich die Regierungen gegen die Krise. Hier eine Milliarden-Rettungsmaßnahme, dort ein Billionen-Konjunkturpaket - brauchen wir das überhaupt?

Hans von der Hagen

Der vielleicht wichtigste Satz, den Ökonomen hervorgebracht haben, stammt von John Maynard Keynes und ist mehr als siebzig Jahre alt: "Es ist weniger schwierig, neue Ideen zu entwickeln", sagt er, "als den alten zu entkommen."

Das Beispiel Japan (im Bild: Tokio) gilt vielen als Warnung: Die Regierung hat in den achtziger und neunziger Jahren die Wirtschaft massiv unterstützt - umsonst (Foto: Foto: Reuters)

Vermutlich wäre Keynes stolz darauf, wenn er wüsste, dass seine Konzepte nun selbst zu diesen alten Ideen gehören, von denen die Welt nicht lassen mag: Wenn es brenzelt in der Wirtschaft und die Konjunktur einzubrechen droht, kommt Herr Keynes. Er ist so smart, weil er die Ratlosigkeit der Ökonomen und Politiker in Zeiten der Krise überdeckt.

Süßes Gift

Gewiss, Vorschläge gibt es genug: Die einen wollen die Zinsen senken, die nächsten Geld verschenken, und die dritten alles dem Markt überlassen. Unbeirrbar verfolgt da jeder seine Spur - und stets finden sich Gegner, die sich nicht überzeugen lassen wollen. Denn jedes Konzept birgt Vorteile und Mängel, und alle kosten Geld.

Weil alles so unklar ist, die Notenbanken nicht auf Befehl handeln und der Markt unbarmherzig ist, wählt die Politik das süßeste Gift - das von Keynes.

Das Prinzip: Der Staat soll mehr Geld ausgeben, um dem Rad auf dem Weg ins wirtschaftliche Tal in die Speichen zu fallen. Er legt ein " Konjunkturpaket" auf, um den Abschwung zu bremsen und so die Nachfrage zu stimulieren.

Wenn viel Geld eingesetzt wird, wirkt das auch. Zwar merkt der Einzelne davon meist nichts, doch zumindest die Statistiken für das große Ganze sehen besser aus - so viel Einigkeit besteht sogar unter den Ökonomen. Doch wenn das Wirtschaftswachstum auf diese Weise gefördert wird, stellt sich das Ergebnis meist als Strohfeuer heraus.

Und wie viel wo bei wem tatsächlich ankommt, ob und wie viel Arbeitslosigkeit vermieden wurde, vermag am Schluss keiner genau zu sagen. Keynes scherzte einst, dass das Finanzministerium im Grunde auch alte Flaschen mit Banknoten füllen und sie in einer ausgedienten Kohlegrube versenken könnte.

Wenn dann private Firmen Leute anheuerten, um die Flaschen wieder hochzuholen, würde die Arbeitslosigkeit ebenfalls sinken. Nicht wenige befürchten, dass es doch kein Scherz war.

"Ein wirtschaftliches Rezept muss plausibel sein, ob es richtig ist, ist zweitrangig", zitiert der Spiegel den Ex-Kanzler Helmut Schmidt. Ökonomen schlucken, wenn sie solche Sätze hören.

Doch wenn sich die Forscher gegenseitig mit den schlechtesten Prognosen zu überbieten suchen und das Volk erstarrt - werden irgendwann alle Bedenken beiseitegewischt.

Nichts scheint schlimmer zu sein als die Politik der ruhigen Hand. Stattdessen gilt: Es muss etwas geschehen. Die Faustregel dabei: Je schwächer eine Regierung, ein Politiker ist, desto schneller entflammt die Liebe zum Konjunkturpaket.

Und das Volk goutiert das. Auch aktuell: Fast die Hälfte der Deutschen sagt aufs Geratewohl, dass die Rettungspakete zu klein seien. Stattdessen fordern im Politbarometer 93 Prozent der Befragten Zusatzinvestitionen in Verkehrsprojekte, Schulen oder Krankenhäuser; 80 Prozent wollen steuerlich entlastet werden.

Vergessen sind die riesigen Defizite, die ganz im Sinne Keynes vor allem seit den sechziger und in Deutschland seit den siebziger Jahren angehäuft wurden - damals, als die "Globalsteuerung" das Maß in der Wirtschaftspolitik war. In bester Absicht natürlich.

Auf der nächsten Seite: Wann Firmen zu Zombie-Unternehmen werden

Rund um den Globus können heute die Keynes-Ruinen besichtigt werden: Straßen, die ins Nirgendwo laufen, Brücken und Tunnel, die die Menschheit nicht braucht. Aber die Wirtschaft ist gewachsen.

Mittlerweile habe man aus den früheren Fehlern gelernt, sagen Ökonomen. Längst müsse so viel in der langsam verrottenden Republik getan werden, dass der Staat gar nicht mehr in die Verlegenheit käme, sinnlose Projekte zu finanzieren.

Aber: Es kommt auf die Höhe der zu verteilenden Beträge an. Wenig Geld lässt sich vernünftiger verteilen als große Beträge, für die eilig ein Abnehmer gesucht wird.

Wenn die Summe ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigt, werde es unübersichtlich, sagen Experten. Und am Ende geschieht das, was immer geschieht: Die einen nehmen das Geld, die anderen zahlen, irgendwo entsteht eine neue Preisblase und alles geht wieder von vorne los.

Dürfte man nicht - angesichts der großen Probleme, die die schmerzstillenden Zahlungen des Staates verursachen - also nicht einfach mal Rezession wagen?

Der Abschwung ist Karthasis, die Zeit für Prüfung: Was funktioniert? Was läuft nicht? Was kostet Geld, was ist rentabel? Plötzlich ist wieder deutlich: Es geht nicht immer nur und immer schneller aufwärts.

Es setzen die "Stürme schöpferischer Zerstörung" ein, die einst der Ökonom Joseph Schumpeter als unabdingbar für die Wirtschaft erkannte. Zum Beispeil in den Vereinigten Staaten: Aktuell trifft dieser Sturm vor allem die US-Automobilindustrie. Sie kann ohne Hilfe vom Staat nicht überleben und normalerweise müsste sie die Zeit jetzt nutzten, um sich völlig neu aufzustellen.

Stattdessen drohen die Autobauer mit den Hilfen aus Washington zu Zombie-Firmen zu verkommen, die kaum lenkbar sind und mit ihren Überkapazitäten und verkrusteten Strukturen die US-Wirtschaft noch auf Jahre schwer belasten werden.

Alle tot

Überdies ist schon jetzt erkennbar, dass die US-Bürger weniger Geld für den Konsum ausgeben. Das ist ein Schritt zur Gesundung der Wirtschaft, in der viele auf Kredit leben. Aus Sicht der Regierung ist die neue Sparwut eine Katastrophe, denn die Wirtschaft der Vereinigten Staaten, deren Entwicklung zu einem extrem hohen Anteil vom Verbrauch der privaten Konsumenten abhängt, schrumpft noch schneller. Die Folge: Schon jetzt sollen die Banken wieder animiert werden, freimütiger Kredite zu verteilen. Dass aber ein Leben auf Pump nicht auf Dauer funktionieren kann, ist eine mathematische Gewissheit. Darum ist Rezession die Medizin gegen Maßlosigkeit.

Daneben birgt gerade für die deutsche Gesellschaft eine Rezession noch mehr Chancen: Die Angst vorm Stolpern und den Gestolperten ist hier enorm, die Hilflosigkeit im Umgang mit Arbeitslosigkeit groß. Sie macht die Deutschen zu Königen der Sicherheit und den Hauptleittragenden eines Abschwungs, den Arbeitslosen, das Leben schwer. In Deutschland heißt Stolpern hinfallen. Anderswo heißt es Hoppla und es geht schnell wieder weiter.

Die Rezessionsjahre nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich hierzulande an einer Hand abzählen. Es waren zu wenige, um zu lernen, dass Arbeitslosigkeit nicht mit Scheitern verwechselt werden darf.

Viele Ökonomen können sich mühelos mit einer Rezession anfreunden, nur die Depression - eine anhaltende, tiefe Rezession - gilt vielen Forschern als zu riskant. Wenn es wie jetzt nicht nur brenzelt, sondern lichterloh brennt, reiche reden nicht mehr, sagen sie.

Zu schwer wögen die enormen Belastungen, die ein kräftiger Abschwung mit sich bringt. Jeder Prozentpunkt Verlust an Bruttoinlandsprodukt in den USA lasse die Zahl der Arbeitslosen um eine halbe Million emporschnellen. Wenn der Sturm schöpferischer Zerstörung zu einem Orkan wird, möchte keiner mehr etwas von Schumpeter wissen. Da liefern dann Keynes' alte Ideen wieder die gültige Maxime.

Es stimmt ja auch: Die gefürchten Boom-and-Bust-Zyklen, die harten Auf- und Abschwünge in der Wirtschaft sind durch die Eingriffe der Notenbanken und Regierungen deutlich zurückgegangen. Das Wachstum ist stabiler geworden. Doch die aktuelle Krise ist eben auch die Quittung für viele wegbudgetierte Krisen. Die Industrieländer hocken auf gigantischen Defiziten und irgendwann wird dafür bezahlt werden müssen - noch viel mehr, als es jetzt schon der Fall ist.

Aber auch hier wusste Keynes, der die Politik zur Eile drängen wollte, Worte: "In the long run we're all dead" - auf lange Sicht sind wir alle tot. Das ist der vielleicht zweitwichtigste Satz, den Ökonomen hervorgebracht haben.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: