Wilhelm Schelsky:Ein Mann der Tat

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Für Siemens und Aldi organisierte er zahme Betriebsräte, und obwohl er nun in U-Haft sitzt, hält man Wilhelm Schelsky im mecklenburg-vorpommerschen Greifswald weiterhin für einen Segen: "Manche vergöttern ihn".

Uwe Ritzer

Peter Cyros hat die Bilder zum Laufen gebracht. Er hat sich lange überlegt, ob er die Geschichte überhaupt erzählen soll, denn Wilhelm Schelsky hat viele Freunde.

"Äußerst eloquent und den Menschen sehr zugewandt" - in Vorpommern ist man Wilhelm Schelsky dankbar, dass er Jobs gerettet hat. Im Februar 2007 holte ihn dann die Polizei aus seiner Villa ab. (Foto: Foto: oh)

Nun sitzt Cyros mit einem vor Anspannung geröteten Gesicht steif auf seinem Stuhl und formuliert sehr vorsichtig. Es müsse Ende 1996 gewesen sein, sagt er. Greifswald TV hatte bis dahin nur Texttafeln und Standfotos ausgestrahlt.

Dann aber produzierte Peter Cyros, 53, als neuer Geschäftsführer, Chefredakteur und Moderator in Personalunion die erste Talkshow des lokalen Fernsehsenders. Immer bewegter wurde fortan dessen Programm, aber finanziell blieb Greifswald TV klamm. Bis Wilhelm Schelsky kam.

Einmal ist Cyros mit ihm im Auto gefahren, und bis heute weiß er nicht recht, ob er abgestoßen oder fasziniert davon war, wie der in jeder Hinsicht Gas gab. Fast ununterbrochen habe Schelsky Befehle in sein Mobiltelefon gebellt.

In einer der wenigen Pausen will Cyros ihn vorsichtig gefragt haben, wie er als neuer Gesellschafter von Greifswald TV im wirtschaftlich schwachen Vorpommern Werbekunden finden will. "Bah", habe Schelsky geantwortet, "Aldi und noch ein paar Große werden da einsteigen." "Aber Aldi macht doch prinzipiell keine TV-Spots." "Die sind mir was schuldig", soll Wilhelm Schelsky gesagt haben.

Verhaftet im Morgengrauen

Wer wem warum etwas schuldig war, muss offen bleiben. Wilhelm Schelsky befindet sich in Untersuchungshaft, sein Anwalt nimmt keine Stellung. Aber mittlerweile ist bekannt, dass sie immerhin gute Geschäftspartner waren, Schelsky und der Discounter.

Aldi Nord gab dem langjährigen Bundesvorsitzenden der "Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger" AUB, Schelsky, im Laufe von Jahren 120.000 Euro. Mit diesem Geld bezahlte er einen AUB-Mitarbeiter, der wiederum Aldi-Betriebsräte schulte. Viel mehr als von Aldi bekam Schelsky allerdings Hilfe von Siemens. Gut 50 Millionen Euro soll der Konzern laut interner Unterlagen dem Sohn des berühmten Soziologen Helmut Schelsky bis Anfang 2007 bezahlt haben.

Die Manager sollen ihn 1990 sogar regelrecht auf diese geheime Mission geschickt haben: Er, der Vertriebskaufmann und Betriebsratsvorsitzende, solle sein Häuflein gewerkschaftsloser Getreuer bei Siemens in Erlangen zur bundesweiten Arbeitnehmerorganisation formen.

Auf der nächsten Seite: Schelsky - "Autoritär, cholerisch und überzeugt, dass man mit Geld alles regeln kann."

Siemens-Schmiergeldskandal
:Die wichtigsten Momente

Schmiergeldskandal, neue Unternehmensspitze, Konzernumbau: Siemens hat ein turbulentes Geschäftsjahr hinter sich. Dem Management steht eine schwierige Hauptversammlung bevor. Die Folgen der Korruptionsaffäre und eine drohende Strafe der US-Börsenaufsicht SEC dürften den erwarteten 10.000 Aktionären in der Münchner Olympiahalle unter den Nägeln brennen.

Ein früherer Kollege schildert den hochgewachsenen Mann als "sehr autoritär, cholerisch, von sich überzeugt und prinzipiell der Meinung, dass man mit Geld alles regeln kann". Schelsky sei rücksichtslos, wenn es um seine Interessen geht, und sehr gerissen. Vielleicht war er nicht gerissen genug.

Schelskys "Villa am Meer" in Lubmin. (Foto: Foto: ddp)

Seit 14 Monaten sitzt Wilhelm Schelsky, 59, in Nürnberg in U-Haft. Zur Jahresmitte soll ihm der Prozess gemacht werden. Ihm drohen mehrere Jahre Gefängnis, und sowohl das Finanzamt als auch die neuen Herren bei Siemens wollen Geld von ihm, viel Geld. Auf mehr als zehn Millionen Euro spekuliert der Fiskus, und auf die gleiche Summe an Schadenersatz hofft jetzt auch die Siemens AG.

Was wird Wilhelm Schelsky bleiben von seinem beispiellosen Beziehungsgeflecht, das bis in die Politik reichte? Um zu verstehen, wie das System wie geschmiert funktionierte, muss man an die Ostsee fahren.

Dorthin, wo eines Morgens Wilhelm Schelskys Welt aus den Fugen geriet. Um sieben Uhr klingelten an jenem 14. Februar 2007 in Lubmin ein Polizist und vier Steuerfahnder am Anwesen Seestraße 3, an dessen Fassade der Hausherr schwungvoll "Villa am Meer" hat schreiben lassen. Sie ist ein etwas verschachteltes Schmuckkästchen mit Türmchen, Erkern, Balkonen und einem großen Wintergarten.

Im Schlafanzug öffnete Wilhelm Schelsky die Tür. Er war perplex angesichts des Haftbefehls. Er soll viele Millionen Euro Steuern hinterzogen haben? Er soll Siemens-Managern bei der Veruntreuung von Konzernvermögen behilflich gewesen sein? Weil er ohne Gegenleistungen Beraterhonorare kassiert und für andere Zwecke, etwa solche der AUB, ausgegeben habe? Schelsky widersprach heftig.

Zusehends waren im Lauf der Jahre die Interessen des Unternehmers Schelsky mit denen des Arbeitnehmerführers Schelsky verschmolzen. Je heftiger der gegen "gewerkschaftliche Betonköpfe" stänkerte, desto mehr hofierten ihn Wirtschaftsführer und Politiker.

Anderen zeigte er, wo es langgeht. Einmal, erzählte Schelsky den Nürnberger Ermittlern stolz, habe er in einem Bundestagshearing Norbert Blüm angebrüllt. Er selbst lebte in dieser Zeit nicht schlecht: schöne Reisen, feine Hotels, große Autos, ein stattliches Haus bei Erlangen, eines in Kanada, Wohnungen und die Villa in Lubmin, welche die Ermittler durchsuchten, ehe sie Schelsky nach Stralsund ins Gefängnis brachten.

Gudrun Haseloh hatte frei an diesem Tag. Sie war zu Hause, als der Anruf aus der Firma kam. "Schelsky verhaftet? Gekaufte Betriebsräte? Ich dachte mir, was ist das für ein Quatsch", sagt die Betriebsratsvorsitzende der Firma ml&s in Greifswald. Und wenn schon, sagt sie 14 Monate später trotzig, "mit fremdem Geld wurde schon Schlimmeres angestellt, als Arbeitsplätze zu retten."

In Jeans und weinroter Lederjacke sitzt Haseloh in ihrem kahlen Büro, durch dessen Fenster man auf hässliche Fabrikdächer blickt. Sie kämpft dagegen, dass ihr Denkmal vom Sockel stürzt. "Wilhelm Schelsky hat hier im Unternehmen sehr, sehr viele Freunde, regelrechte Fans, von denen ihn manche vergöttern", sagt die Betriebsratsvorsitzende.

Die Firma ml&s baut Präzisionsteile für die Elektronikindustrie. Sie hat gut 300 Mitarbeiter und ist aus Siemens heraus entstanden. Der Konzern hatte Anfang des Jahrzehnts entschieden, den Standort Greifswald zu schließen. Da ließ Wilhelm Schelsky seine Beziehungen in die Konzernspitze spielen. Er habe einfach den damaligen Vorstand Thomas Ganswindt in München angerufen, erzählte er später.

Er habe ihn überzeugt, an Greifswald festzuhalten und jenen Teil der Produktion auszugründen, der heute ml&s heißt. Siemens blieb und beteiligte sich sogar an der neuen Firma, genauso wie Schelsky. "Wenn er etwas will, dann legt er größte Zielstrebigkeit an den Tag", sagt Gudrun Haseloh, "aber auch gewisse Rücksichtslosigkeit."

Alles und jeder habe schließlich zwei Seiten. Haseloh schwärmt von diesem "äußerst eloquenten, in seiner Körpersprache, seinem Ausdruck, einfach in allem, den Menschen sehr, sehr nah zugewandten Mann". Ungeheures Charisma habe Schelsky. "Ein Menschenfischer", sagt Haseloh. Ein hemdsärmeliger Macher, dem eine arme Region wie Vorpommern schnell zu Füßen liegt.

Auf der nächsten Seite: Firmen, Fernsehsender, Restaurants - wenn in Greifswald ein Typ auftaucht, der viel Geld mitbringt, stehen ihm alle Türen offen.

Mehr als 15 Prozent der Greifswalder sind arbeitslos gemeldet. Damit geht es der Hansestadt mit ihren 53.000 Einwohnern noch gut, gemessen am Rest des Landstrichs im nordöstlichen Zipfel Deutschlands. Junge Leute ziehen weg, weil sie keine Zukunft sehen.

Wenn hier ein Typ auftaucht, der vor Selbstbewusstsein strotzt und viel Geld mitbringt, steht ihm alles offen. "Als es bei Siemens Spitz auf Knopf stand, wirkte Wilhelm Schelsky wie ein Rettungsanker", sagt der Bundestagsabgeordnete Ulrich Adam (CDU). "Man hat gemerkt, dass er bei Siemens großen Einfluss hat." Offenbar nicht nur dort.

Nie habe Schelsky ihn als Türöffner in Ministerien oder Behörden gebraucht, sagt der Abgeordnete. "Mein Eindruck war, dass er das nicht nötig hatte, weil er selbst beste Verbindungen hatte." Vielleicht, weil die Türen hier noch weiter offen waren, hat Schelsky seine Aktivitäten immer mehr vom Fränkischen an die Ostsee verlagert.

Während Handwerker in Lubmin ein heruntergekommenes Haus zur "Villa am Meer" restaurierten, knüpfte er Beziehungen. Bei ml&s war er mit mehr als 41 Prozent größter Anteilseigner. Praktischerweise betrieb er auch eine Zeitarbeitsfirma, die ml&s bis heute viele Arbeitskräfte leiht. Er kaufte sich bei Greifswald TV ein, gründete eine Baufirma, und ein abgetakeltes Vereinsheim machte er zum schicken Restaurant "Golden Goal".

Daneben sponserte er Sportler wie die Amateurfußballer des Greifswalder SV, die Profis werden wollen. Und natürlich tat er auch, was Siemens und Aldi Nord von ihm erwarteten: Er förderte die AUB. 2002 ließ er sie in Greifswald eine Geschäftsstelle eröffnen, in einem feinen Bürgerhaus direkt am Markt, gegenüber vom Rathaus und neben der CDU-Geschäftsstelle. "Ja, Schelsky hat unsere Partei finanziell unterstützt", räumt Egbert Liskow ein.

Mit "einem vierstelligen Betrag", dessen Höhe dem CDU-Kreisvorsitzenden leider entfallen ist. Im dunklen Nadelstreif sitzt er im Rathaus unter einem Gemälde, auf dem puttengleiche Kinder pralle Trauben ernten. Liskow ist auch Präsident der Greifswalder Bürgerschaft sowie Abgeordneter und Ausschussvorsitzender im Schweriner Landtag, kurzum: ein einflussreicher Politiker.

"Es kann schnell passieren, dass jemand durch die Medien vorverurteilt wird", warnt Liskow und schaut misstrauisch. Natürlich habe er Wilhelm Schelsky ab und zu beim Fußball getroffen, mal mit ihm Kaffee getrunken oder im "Golden Goal" gegessen. Aber das alles nur sehr selten, und privat habe man gar nicht miteinander verkehrt.

Doch, geduzt habe man sich schon. Ja, er habe ihn auch als Sponsor zum Greifswalder SV geholt. Was er dort aber wem gezahlt habe, wisse er nicht. Es gebe viele Menschen in Greifswald, lamentiert Egbert Liskow, "deren persönliches Rechtsempfinden gestört ist, weil Schelsky schon so lange in Untersuchungshaft sitzt". Als wäre der ein Schwerverbrecher.

Die Netze halten

Fünf Gehminuten vom Rathaus entfernt, im Gewerkschaftsbüro am Hafen, nennt Diana Geppert Liskows Aussagen "typisch für viele Politiker hier". Sie ist Mitte 20, eine streitbare Verdi-Sekretärin mit pechschwarzem Pferdeschwanz. "Schelsky wurde hier politisch massiv unterstützt, um die AUB zu etablieren und Gewerkschaften kleinzuhalten", sagt Geppert. "Als Unternehmer hat er gewaltige Fördermittel kassiert und politisch Strippen gezogen."

Daneben, sekundiert Gepperts DGB-Kollege Thomas Möller, habe er es mit all dem Sponsoring "geschafft, sich als Gutmensch einen Glorienschein aufzubauen". So einer hat scheinbar nichts zu befürchten, sollte er eines Tages wiederkommen. "Er hat sich hier ein derart enges und verlässliches Netz an Beziehungen und Verflechtungen geschaffen, dass Greifswald für ihn ein sicherer Hafen wäre, von dem aus er all seine Geschäfte weitermachen könnte, als wäre nie etwas geschehen", sagt Geppert bitter.

Mit am Tisch im Gewerkschaftsbüro sitzen Beschäftigte aus Schelskys Zeitarbeitsfirma. In der gebe es keinen Betriebsrat, erzählen sie. Man habe sie an einen Industriebetrieb mit AUB-Betriebsratsmehrheit ausgeliehen, wo miserable, gesundheitsschädliche Bedingungen herrschen würden, ein willkürlicher Kommando-Ton und Hungerlöhne gezahlt würden.

Knapp über sieben Euro die Stunde verdienen manche, brutto. Nürnberger Ermittler haben Schelsky vorgehalten, selbst Ingenieuren nicht mehr bezahlt zu haben. Der Ex-Arbeiterführer hat widersprochen; er zahle Tariflohn. Jedoch nach "Bolero", einem umstrittenen Niedriglohntarifvertrag, den christliche Gewerkschaften aushandelten.

Seit Schelsky in U-Haft sitzt, wurde das AUB-Büro in Greifswald geschlossen, er selbst trat vom Bundesvorsitz zurück. Auch bei ml&s ist er ausgestiegen. Seine anderen Geschäfte hat er neugeordnet, sie laufen weiter.

Die Zeitarbeitsfirma hat er seiner Lebensgefährtin übertragen, die sie mit ihrer Tochter führt. Beide wollen nichts sagen. Bei Greifswald TV ist Peter Cyros schon vor Jahren rausgeflogen. Seit kurzem führt die Geschäfte Wilhelm Schelskys Tochter.

© SZ vom 17.04.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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