"Wie Edelsteine":Der Club der alten Knaben

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Warum Otmar Fahrion bevorzugt Ingenieure jenseits der 50 einstellt und warum er dennoch von Münteferings Initiative nichts hält.

Dagmar Deckstein

Seit sechs Jahren tourt Otmar Fahrion nun schon jenseits seiner angestammten Konstrukteursarbeit durch die Lande, spricht auf Einladung von Verbänden und Unternehmerkongressen immer wieder nur über das Eine. Er meint, dass die Ohren des Publikums seit kurzem nicht mehr derart auf Durchzug gestellt sind, wie am Anfang.

Otmar Fahrion (Foto: Foto: dpa)

Aber trotz wachsenden Interesses in der Wirtschaft sieht er sich nach wie vor in der alten Rolle des einsamen Rufers in der Wüste des Jugendwahns: "Leider bin ich wohl immer noch ein Exot." Das liegt nicht nur daran, dass Otmar Fahrion selbst inzwischen das Alter erreicht hat, das Udo Jürgens einst als jenes besungen hat, in dem das Leben angeblich anfängt: 66.

Der Gründer und Chef des Ingenieurdienstleisters Fahrion-Engineering in Kornwestheim bei Stuttgart ist einer der ganz wenigen Unternehmer in Deutschland, die gezielt Menschen der Altersgruppe "50 plus" einstellen. Eines der geflügelten Worte des Seniorchefs, das er gerne im Mund führt, lautet: "Ältere Ingenieure sind wie Edelsteine."

Der Älteste ist 67

Er sieht in ihnen nicht das alte Eisen, das in den Vorruhestand entsorgt gehört, sondern berufs- und lebenserfahrene Fachleute, oft in mehreren Fremdsprachen bewandert, auslandserprobt, kulturerfahren, gewandt in Verhandlungen mit seinen Projektkunden. "Einem Mittfünfziger kann ich schon nach drei Jahren die Verantwortung für ein Großprojekt übertragen", sagt Fahrion. "Ein Jungingenieur braucht zehn bis zwölf Jahre, bis er die nötige Erfahrung und Reife besitzt."

Wenn er ihm nicht vorher von der Konkurrenz abgeworben wurde. Obendrein rechnet sich die Anwerbung der Alten für Fahrion auch: "In 15 Jahren erwirtschaftet ein 50-jähriger Ingenieur den drei- bis fünffachen Betrag eines 25-Jährigen." Etwas mehr als ein Drittel seiner hundertköpfigen Belegschaft ist jenseits der 50, der Älteste sogar schon 67, wobei der Seniorchef Wert auf altersgemischte Teams legt, in denen sich die Stärken von Alt und Jung gegenseitig ergänzen.

So ganz ohne Not kam Fahrion allerdings auch nicht auf die Idee, nach den verborgenen Edelsteinen Ausschau zu halten. Es war im Boomjahr 2000, als sich die Unternehmen um Jungingenieure geradezu rissen. Erst recht im Großraum Stuttgart, wo namhafte Konkurrenten von DaimlerChrysler über Porsche und Bosch bis Trumpf oder Würth den Ingenieurnachwuchs in Windeseile wegsaugten.

Bei Fahrion, wo Produktionsanlagen bis hin zu kompletten Fabriken für Autokonzerne, Zulieferer, für Luftfahrtunternehmen oder Werften geplant werden, meldeten sich auf eine Anzeige gerade mal 17 Ingenieure. Einen einzigen nur stellte Otmar Fahrion ein, "weil der wenigstens halbwegs qualifiziert war."

Was also tun? Eine zweite Anzeige schalten, die so lautete: "Mit 45 zu alt - mit 55 überflüssig? Wir suchen Ingenieure, Techniker und Meister bis 65".

Sage und schreibe 522 Bewerbungen verstopften daraufhin den Briefkasten in Kornwestheim, und Fahrion griff beherzt zu - statt der geplanten vier stellte er gleich zwölf Ingenieure jenseits der Fünfzig ein.

Auch Otmar Fahrion hat in den letzten Jahren noch eine ganze Menge zum Thema Altern und ältere Beschäftigte dazugelernt. So viel, dass er von der Initiative des SPD-Vorsitzenden und Vizekanzlers Franz Müntefering "50 plus" nicht viel hält, der Arbeitgeber mit Zuschüssen locken will, Ältere und vor allem ältere Langzeitarbeitslose einzustellen. "Das ist doch keine Frage des Geldes", echauffiert sich Fahrion.

Gefährliche Lernentwöhnung

Seiner so leid- wie mitleidvollen Erfahrung nach sei mit Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos waren, nicht mehr viel anzufangen: "Sie haben dann den Glauben an sich verloren und sind resigniert."

Für den Konstrukteur aus Kornwestheim, der sich 1975 mit seinem Ingenieurbüro selbstständig machte, liegt die Wurzel des Übels tiefer. "Das größte Problem der älteren Arbeitnehmer ist die Lernentwöhnung, die ja schon von 42 Jahren an aufwärts einsetzt."

Da gerät der agile Schwabe richtig in Rage und findet es "regelrecht demütigend" für all die Beschäftigten jenseits der 50, die große Industrieunternehmen derzeit mit horrenden Abfindungen in den Vorruhestand abschöben. Das koste die Konzerne auch noch mehr, als wenn sie die Betroffenen zu Selbstkosten auf ihren Stellen weiterbeschäftigten.

Es sei doch so, regt sich Fahrion weiter auf, dass Beschäftigte nach ihrer Ausbildung bis zum Alter von 28 gerade mal 14 Jahre als vollwertige Arbeitskräfte betrachtet, dann praktisch nur noch geduldet würden nach dem Motto: jetzt lohnt sich Weiterbildung eh nicht mehr, die sind sowieso bald draußen. "Das ist eine Diskriminierung sondersgleichen", entrüstet sich Fahrion.

In Kornwestheim dagegen hat die Zukunft mit alternden Belegschaften längst begonnen, vor der viele Unternehmen noch kräftig die Augen verschließen. Im Rahmen des Programms "Körper, Geist, Seele" liegt das Augenmerk auf Prävention, etwa durch Einrichtung altersneutraler Arbeitsplätze und gesunder Kantinenernährung. Und zu Jubiläen gibt es keinen Fresskorb mehr, sondern zum Beispiel ein Theaterabonnement. Vor vier Jahren hat Otmar Fahrion dann noch die "Bogenkarriere" eingeführt, die mit langsam zurückgefahrenen Arbeitszeiten jenseits der 60 die "weiche Landung in den Ruhestand" ermöglicht.

Die Schattenseite des Umstands, dass sich solche Anstrengungen positiv auf die Leistungsfähigkeit der alten Knaben auszuwirken scheinen, hat Fahrion inzwischen auch schon kennen gelernt: "Erst im vergangenen Jahr hat mir ein Kunde einen 63-Jährigen als Betriebsleiter abgeworben. Dieses Jahr wollten sie mir auch noch einen 64-jährigen Ingenieur abspenstig machen. Da hab' ich gesagt, jetzt ist aber Schluss!"

© SZ vom 15.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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