Weltwirtschaftsforum in Davos:"Die Mär vom globalen Dorf hat viel Geld vernichtet"

Der ehemalige Harvard-Dozent Ghemawat ist Experte für Globale Strategie - und warnt Unternehmen vor blinder Internationalisierung.

Marc Beise

sueddeutsche.de: Herr Professor Ghemawat, beim Davoser Treffen vor einem Jahr war der amerikanische Publizist Tom Friedman in aller Munde, der erklärt hatte: "The world is flat", die Welt sei "flach", also einheitlich, ein globales Dorf. Nun sollen wir Ihnen glauben, dass die Welt in Wirklichkeit doch "rund" sei. Warum?

Weltwirtschaftsforum in Davos: Das Geschäft bleibt national, so Pankaj Ghemawat. Wer Unterschiede nicht berücksichtigt, wird scheitern.

Das Geschäft bleibt national, so Pankaj Ghemawat. Wer Unterschiede nicht berücksichtigt, wird scheitern.

(Foto: Foto: oh)

Pankaj Ghemawat: Es ist überraschend, dass Sie überrascht sind. Sie werden in der akademischen Welt keinen Fachmann finden, der die Welt für "flach" hält.

sueddeutsche.de: Friedman liegt falsch?

Ghemawat: Absolut. Seine Thesen sind einfach unsinnig. Sie sind durch keinerlei Datenmaterial belegt.

sueddeutsche.de: Friedman ist ein anerkannter Autor und Preisträger. Er hat mit seinem Buch ziemlich Furore gemacht und viel Zustimmung erfahren.

Ghemawat: In der Öffentlichkeit, aber nicht in der Wissenschaft. Vielleicht ist es ein Problem, dass Akademiker so wenig in die Öffentlichkeit gehen. Ich möchte das tun, denn es ist wichtig zu begreifen, dass es Unterschiede zwischen den Staaten gibt, die bestehen bleiben.

sueddeutsche.de: Warum ist das so wichtig?

Ghemawat: Weil davon das Handeln der Unternehmen abhängt, der kleinen wie der großen. Es ist viel Geld vernichtet worden, weil Manager die Mär vom globalen Dorf geglaubt haben.

sueddeutsche.de: Hat die Globalisierung nicht die Grenzen geschleift? Dank moderner Logistik und Kommunikationstechnik können Unternehmen problemlos in weit entfernten Ländern tätig werden...

Ghemawat: ...doch die Märkte funktionieren dennoch nach unterschiedlichen Regeln. Der Großteil aller Aktivitäten geschieht nach wie vor lokal.

sueddeutsche.de: Rückt die Welt nicht zusammen?

Ghemawat: Nicht so, wie es das Wort von der "flachen Welt" suggeriert. Selbst Telefongespräche, Internetverkehr oder Investitionen bleiben zu 90 Prozent innerhalb der Landesgrenzen. Das sind die Fakten, alles andere sind Meinungen.

sueddeutsche.de: Warum ist es für Unternehmen und ihre Führungskräfte so entscheidend, dies zu begreifen?

Ghemawat: Weil sie sonst falsch agieren. Wie Coca-Cola, das geglaubt hat, es könne überall auf der Welt dieselbe aggressive Strategie fahren. Es war schon falsch anzunehmen, dass die Kunden überall die gleiche Ansprache wollten.

sueddeutsche.de: Coca-Cola hat seine Strategie geändert und handelt wieder regionaler.

"Die Mär vom globalen Dorf hat viel Geld vernichtet"

Ghemawat: Ja, aber das ist eine aufwendige und teure Aktion gewesen.

sueddeutsche.de: Sehen Sie auch in Deutschland negative Beispiele?

Ghemawat: Natürlich. Die Fusion von Daimler und Chrysler hat nicht funktioniert, das ist ja bekannt. Wichtig aber ist zu erkennen, dass sie gar nicht funktionieren konnte. Ich habe das übrigens schon kurz nach der Ankündigung der "Hochzeit im Himmel" geschrieben.

sueddeutsche.de: Warum waren Sie klüger als viele andere?

Ghemawat: Weil ich nicht in meine Meinung verliebt bin, sondern Statistiken auswerte. Die zeigten ganz klar, wo die Probleme der Automobilindustrie waren und dass der Versuch einer Welt-Auto AG keine neuen Werte schaffen würde. Die Kosten einer solchen Transaktion, und nicht nur die finanziellen, waren viel höher als die Chancen. Die Zeit der Konzentration in der Autoindustrie ist längst vorbei, sie liegt 80 Jahre zurück. Das war, als hätte man zwei lecke Kanus zusammengebunden und erwartet, dass sie dann nicht untergehen.

sueddeutsche.de: Was hätten die Unternehmen tun sollen, anstatt zu fusionieren?

Ghemawat: Daimler und Chrysler hätten sich einfach darauf konzentrieren müssen, bessere und preiswertere Autos zu bauen. Sie hätten auf ihre Kunden in den jeweiligen Märkten hören müssen. Dass Toyota heute weltweit die Nummer eins ist, hat genau diesen Grund.

sueddeutsche.de: Daimler hat sich in den USA eine blutige Nase geholt, Wal-Mart in Deutschland...

Ghemawat: ... und aus genau demselben Grund, dass sie die gleichmacherische Wirkung der Globalisierung überschätzt haben.

sueddeutsche.de: Wie konnte das passieren? Wal-Mart ist in den USA überaus erfolgreich. Aus kleinsten Anfängen entstand einer der größten Händler weltweit.

Ghemawat: Genau das wurde ihm zum Verhängnis. In den USA hat das Spiel ja funktioniert. Was zu Hause in Arkansas richtig war, war auch richtig in Alabama und anderswo, selbst in Kanada, Mexiko und England. Also würde es auch in Südamerika funktionieren oder in Kontinentaleuropa? Eben nicht.

sueddeutsche.de: Die Läden waren amerikanisch strukturiert, und die Arbeitsregeln entsprachen dem sehr speziellen Stil dieser Firma.

Ghemawat: Und das ging schief. Selbst Wal-Mart muss sich auf seine Auslandsmärkte einstellen. Aus dem Debakel in Deutschland, wo sie ihre Märkte mittlerweile verkauft haben, hat das Management gelernt. Man kann das in meinem Heimatland Indien beobachten, wo sich Wal-Mart intelligent anpasst.

sueddeutsche.de: So viel zu den Konzernen. Was können Mittelständler von Ihnen lernen?

Ghemawat: Dass es wichtig ist, auf kulturelle Unterschiede vor Ort einzugehen. Konzentrieren Sie sich auf Länder, die der Mentalität Ihrer Heimatbasis ähnlich sind! Wer die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Differenzen zwischen den Ländern nicht in Rechnung stellt, wird scheitern.

Pankaj Ghemawat hat eine Professur für "Globale Strategie" an der IESE-Business-School in Barcelona. Der Betriebswirtschaftler war der jüngste Vollzeit-Dozent, den die Harvard Business School je ernannt hat. Er gehört zu den maßgeblichen Stimmen zum Thema Globalisierung und berät weltweit Konzerne. Dennoch ist er in Deutschland kaum bekannt.

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