Weltfinanzkrise:Die Lösung

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Der Staat sollte den Banken ihre schlechten Wertpapiere abkaufen - und dazu auch deren Aktionäre und Gläubiger zur Kasse bitten. Später muss er die Papiere mit Gewinn verkaufen.

Dennis J. Snower

Mit einem Einsatz von mehr als zwei Billionen Euro haben die Industrienationen versucht, die Finanzwelt zu beruhigen. War dies der große Wurf? Brauchen wir Bürger noch Angst zu haben oder ist das Problem gelöst? Um dies zu beantworten, müssen wir das Problem genau verstehen. Das Entstehen der Krise kann in fünf Schritten erklärt werden.

Erstens: Die nötige Regulierung fehlte, Bilanzierungsregeln waren intransparent und es herrschte der öffentlich unterstützte Eindruck vor, dass das Finanzsystem sicher sei. Daher konnten Finanzinstitutionen hohe Risiken eingehen, ohne die Risikokosten tragen zu müssen.

Höhere Kreditkosten nach Vertrauensverlust

Zweitens: Wegen der niedrigen Zinssätze waren die Kreditkosten niedrig und die Vermögenswerte hoch. Niemand zog ins Kalkül, dass ein Vertrauensverlust schnell zu höheren Kreditkosten und stark reduzierten Vermögenswerten führen könnte. Finanzinstitutionen strebten daher eine hohe Fremdfinanzierung an.

Drittens: Unter den Finanzinstitutionen war ein Verhalten gang und gäbe, das man als "regulatorische Arbitrage" bezeichnen könnte. Finanztransaktionen wurden oft dort durchgeführt, wo die Regulierung am schwächsten ausgeprägt war. Im Schatten dieser fatalen Schwächen wuchs die Finanzindustrie mächtig. In Amerika verdiente sie 30 Prozent der Gewinne der gesamten Volkswirtschaft, obwohl sie nur drei Prozent des Nationalprodukts generierte. Es bedurfte nur eines kräftigen Schocks, um die drei Schwächen zum Tragen zu bringen und einen Teufelskreis auszulösen.

Viertens: Der Schock kam, als die US-Immobilienblase platzte. Weil der Wert der Immobilienpapiere fiel, blieb vielen Finanzinstitutionen zu wenig Kapital übrig. Daher verkauften sie die Assets, die sie besaßen, nicht nur Immobilienpapiere. Dies trieb die Vermögenswerte herab. So wurde das Problem auf andere Finanzinstitutionen übertragen.

Viel zu lange gezögert

Fünftens: Als auf einmal mehrere Institutionen in Bedrängnis kamen, machte die Politik in Amerika wie in Europa einen gravierenden Fehler: Sie wartete, bis eine Finanzinstitution vor der Pleite stand und traf dann Einzelfallentscheidungen. Die amerikanischen Behörden ließen AIG überleben, aber Lehman nicht. Die deutschen Behörden gaben Hypo Real Estate eine beschränkte Unterstützung, und als die nicht ausreichte, boten sie zusätzliche Mittel. Die Politiker begriffen nicht, wie schädlich solche Planlosigkeit für das Vertrauen ist.

Durch die Zentralbank, den Kreditgeber der letzten Instanz, wird sichergestellt, dass den derart beschützten, system-relevanten Banken das Geld trotzdem nicht ausgeht. Der Finanzkrise liegt jedoch ein anderes Problem zugrunde, das die Politik bisher nicht meistern konnte: ein Solvenzproblem. Aufgrund der stark gefallenen Vermögenswerte können die Aktiva vieler Finanzinstitutionen die Passiva nicht decken. Diesen Institutionen droht der Konkurs.

In diesem Fall kann die Zentralbank nicht entscheidend helfen. Als Kreditgeber der letzten Instanz sollte sie den Banken nur Geld leihen, und zwar gegen hochwertige Sicherheiten. Wenn sie minder bewertete Sicherheiten annimmt, steht sie allmählich vor einer gefährlichen Wahl: Entweder muss sie ihre Unabhängigkeit aufgeben, indem ihre Schulden vom Finanzministerium übernommen werden müssen - oder sie muss die Inflationskontrolle aufgeben, indem sie Geld druckt, um die Schulden zu zahlen. Kurzum: Zentralbanken können zwar Liquiditätskrisen verhindern, sie sollten nicht für Solvenzkrisen zuständig sein.

Lesen Sie weiter, warum es nicht nur die Steuerzahler treffen sollte

Wenn die obige Analyse zutrifft, sind wir nicht weit von einer globalen Lösung entfernt. Mein Vorschlag ist im Kern einfach: In der gleichen Weise, in der die Lösung des Liquiditätsproblems eines Kreditgebers der letzten Instanz bedarf, erfordert das Insolvenzproblem einen "Käufer der letzten Instanz". Dies ist das Finanzministerium, das den bedrohten, system-relevanten Institutionen Forderungen abkauft und ihnen das Kapital anbietet, was ihnen fehlt. Insbesondere müsste das Finanzministerium eine Treuhand schaffen, die diejenigen Finanzinstitutionen identifiziert, von denen ein solch großes Systemrisiko ausgeht. Diese Institutionen würden eine Solvenzgarantie bekommen und im Gegenzug zusätzlicher Regulierung und Aufsicht unterliegen. Die Regulierung würde in erster Linie die Risiken dieser Institutionen auf eine transparente Weise identifizieren und auf ein akzeptables Niveau senken.

Gerechte Lastenverteilung

Wer aber soll für diese Solvenzgarantie bezahlen? Dafür kommen drei Gruppen in Frage: die Steuerzahler, die Aktionäre und die Gläubiger. Alle drei sollten zur Kasse gebeten werden. Wenn die Steuerzahler die ganze Last tragen müssten, würde man verantwortungsloses Verhalten belohnen und den gefährdeten Institutionen noch mehr Anreiz geben, übermäßige Risiken einzugehen. Andererseits, wenn die Aktionäre und die Gläubiger alles zahlen würden, hätten die bedrohten Finanzinstitutionen nicht genügend Kapital, um ihrer Rolle nachzukommen, den Wirtschaftskreislauf am Laufen zu halten. Es geht also um eine angemessene Lastenverteilung.

Diese könnte auf folgende Weise implementiert werden: Der Anteil des Steuerzahlers würde im staatlichen Kauf von Vorzugsaktien und Bezugsrechten (warrants) bestehen. Dies wäre zwar ein Eingriff in die Vermögensrechte der Altaktionäre, die durch Ausgabe neuer Aktien den Wert ihrer Anlagen geschmälert sehen würden, aber gemessen an der Alternative der Insolvenz wäre es für sie die bessere Lösung. Der Beitrag der Gläubiger zur Sanierung würde durch "debt for equity swaps" erfolgen. Damit würden Gläubiger zu Kapitaleignern und auf diese Weise ihren Anteil an der Lastenverteilung leisten, ebenso wie die Aktionäre.

Indem die Treuhand Vorzugsaktien oder Bezugsrechte kauft, erwirbt sie Eigentumsrechte an den Finanzinstitutionen. Die Treuhand hätte dann die Aufgabe, diese Vermögenswerte auf mittlere Frist - innerhalb der nächsten zehn Jahre - wieder zu verkaufen, und zwar mit dem Ziel, den Gewinn zu maximieren. So wäre die Rekapitalisierung mit der geringst möglichen Steuerlast verbunden. Dies bedeutet, dass die system-relevanten Finanzinstitutionen unter diesem Regelwerk die Wahl haben: Entweder sie akzeptieren die Solvenzgarantie und alle damit verbundenen Verpflichtungen - oder sie müssten andere Möglichkeiten suchen, sich so umzugestalten oder abzusichern, dass sie nicht mehr als system-relevant bezeichnet werden müssen.

Die system-relevanten Finanzinstitutionen sind nicht nur im regulären Banksektor zu finden, sondern auch im Schattenbanksektor. Dieser besteht aus Geldmarktfonds, Hedgefonds, sonstigen Investmentfonds, Private-Equity-Firmen und Finanzversicherern wie AIG. Da system-relevante Institutionen in beiden Sektoren eine Solvenzgarantie brauchen, sollten beide ähnlich reguliert und beaufsichtigt werden. So vermeidet man, dass Transaktionen in die schwach regulierten Sektoren ausweichen.Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre zeigen jedoch, dass solch regulatorische Arbitrage ein internationales Phänomen ist.

Lesen Sie weiter, wie eine internationale Koordinierung der Regulierungs- und Aufsichtsaktivitäten funktionieren könnte.

Daher brauchen wir eine internationale Koordinierung der Regulierungs- und Aufsichtsaktivitäten. Diese Koordinierung könnte durch eine neu geschaffene Weltfinanzbehörde oder ein Konsortium existierender Institutionen wie zum Beispiel der Internationale Währungsfonds, die Zentralbanken und die Finanzministerien der wichtigsten Wirtschaftsnationen erfolgen. Als erster Schritt wäre eine derartige Koordinierung unter den EU-Staaten erforderlich. Die nationale Lastenverteilung zwischen Steuerzahler, Aktionären und Gläubigern könnte jedes Land für sich entscheiden. Dadurch könnte ein gesunder, transparenter Wettbewerb zwischen Ländern entstehen.

Um Vertrauen in den internationalen Finanzmärkten wiederherzustellen, muss die Politik sichere Rahmenbedingungen schaffen, die genau definieren, was wer wem zahlt. Die Regierungen vieler führender Industrienationen haben jetzt bekanntgegeben, welche Garantien, Kapitalspritzen und andere Finanzhilfen sie zur Verfügung stellen werden. Die damit verbundene Regulierung und angemessene Lastverteilung ist leider noch nicht klar gemacht worden. Mehrere Politiker sprechen ganz allgemein von Intervention in Kreditvergabe, geschäftspolitische Strategie und Managervergütung. Dies ist zu unpräzise und ungenügend fest an eine Problemlösung gebunden. Somit können die Steuerzahler, Aktionäre, Gläubiger und andere Bürger noch schwer abschätzen, was der staatliche Einsatz sie kosten wird. Diese Unsicherheit sollte schnell beseitigt werden, um Klarheit und Transparenz wiederherzustellen. Außerdem müssen die führenden Industrienationen sich weiter bemühen, die notwendige internationale Koordination zustande zu bringen.

Umdenken erforderlich

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich halte viel vom großen Aktionspaket, das die Länder Europas in kurzer Zeit vereinbart haben. Es ist hunderttausendmal besser als Nichtstun oder Einzelfallentscheidungen. Dennoch glaube ich, dass wir in dieser kritischen Zeit unsere Ambitionen unbedingt noch höher schrauben müssen. Die freie Marktwirtschaft funktioniert nur dann im öffentlichen Interesse, wenn Regeln vorhanden sind, die gewährleisten, dass die wirtschaftlichen Entscheidungsträger die Kosten ihrer Aktivitäten selbst zahlen. Bis jetzt haben system-relevante Finanzinstitutionen die Kosten der von ihnen ausgehenden finanziellen Ansteckungsgefahr nicht zahlen müssen. Unter meinem Vorschlag würden sie diese Kosten tragen und zugleich wäre ihre Existenz gesichert.

Das Ausmaß der Krise kann zu einem Umdenken führen und den Politikern vor Augen führen, dass sie derzeit eine geschichtlich bedeutende Verantwortung tragen. Wenn sie in künftigen Geschichtsbüchern als diejenigen bezeichnet werden wollen, die die Weltwirtschaft vor einer langen, tiefen Depression gerettet haben, dann müssen sie für die neue Herausforderung der Finanzwelt ein gründliches Regelwerk schaffen.

Dennis J. Snower ist Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

© SZ vom 21.10.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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