Walmart:Gehaltserhöhung mit großer Wirkung

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  • Weltweit arbeiten 2,2 Millionen Menschen für Walmart.
  • Kein anderes Unternehmen hat mehr Mitarbeiter, die zusätzlich zu ihrem Lohn auf Lebensmittelmarken und das Gesundheitsfürsorgeprogramm Medicaid für arme Menschen angewiesen sind.
  • Walmart erhöht nun den Mindestlohn über das vorgeschriebene Maß hinaus.

Von Kathrin Werner

Walmarts Jahresbericht sieht aus wie die heile Welt. Auf bunten Fotos beraten lächelnde Mitarbeiter lächelnde Kinder beim Fahrradkauf. Wohlfrisierte Verkäuferinnen händigen Äpfel einzeln aus, räumen gut gelaunt Regale ein und packen Ware in Plastiktüten, als gäbe es nichts Schöneres. "Es ist Kern unserer Strategie, das beste Team im gesamten Einzelhandel aufzubauen", schreibt Walmart-Chef Doug McMillon in dem Bericht.

Walmart ist Amerikas größter privater Arbeitgeber. Weltweit arbeiten 2,2 Millionen Menschen für den Kaufhaus-Konzern, in den Vereinigten Staaten sind es 1,3 Millionen - fast so viele wie München Einwohner hat. Laut eines Rankings des britischen Fernsehsenders BBC aus dem Jahr 2012 gibt es überhaupt nur zwei größere Arbeitgeber auf der Welt: das amerikanische Militär und Chinas Volksbefreiungsarmee. Bei Walmart gibt es alles zu kaufen: von Lebensmitteln über Kleidung bis zu - je nach Staat - Schusswaffen, Fernseher und Möbel. Die Waltons, denen noch immer mehr als die Hälfte des Unternehmens gehört, sind mit Abstand die reichste Familie Amerikas, das Magazin Forbes schätzt ihr Vermögen auf 152 Milliarden Dollar, es verteilt sich auf sechs Menschen.

Bundesstaaten zahlen Millionen Dollar

Aber die Realität für die Arbeiter bei Walmart sieht anders aus als im Jahresbericht: Mitarbeiter im ganzen Land gehen auf die Straße, streiken, fordern mehr Lohn und Rechte - und das ist gefährlich. Wer aufmüpfig wird, muss mit Schikanen rechnen. Ein Richter urteilte kürzlich, dass Walmart Angestellte bedroht hatte, die eine Gewerkschaft gründen wollten. Kein anderes Unternehmen hat mehr Mitarbeiter, die zusätzlich zu ihrem Lohn auf Lebensmittelmarken und das Gesundheitsfürsorgeprogramm Medicaid für arme Menschen angewiesen sind. Die amerikanischen Bundesstaaten kostet die Niedriglohnpolitik des Konzerns jedes Jahr Millionen. Zum traditionellen Fest Thanksgiving verteilte ein linker Politiker Truthahn-Sandwiches an Walmart-Mitarbeiter, die den ganzen Tag Truthahn verkaufen mussten, sich aber selbst keinen leisten konnten. Walmart ist zum Inbegriff geworden für Hungerlöhne.

Jetzt hat Walmart Besserung gelobt, zum April bekommen 500 000 Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung. Das Unternehmen führt in den USA einen neuen, höheren Mindestlohn ein, künftig verdient niemand mehr weniger als neun Dollar pro Stunde. Walmart müsste das nicht tun; der Mindestlohn, den die US-Regierung vorschreibt, liegt nur bei 7,25 Dollar. Präsident Barack Obama hätte ihn gern schon längst erhöht, kann sich gegen die Republikaner im Kongress aber nicht durchsetzen.

Walmarts Entscheidung hat große Bedeutung über die Einkommen der 1,3 Millionen Mitarbeiter hinaus. Experten erwarten, dass andere Unternehmen nachziehen, weil ihre Mitarbeiter sonst kündigen und zu Walmart wechseln könnten - außerdem steigt der politische Druck auf die Walmart-Konkurrenten, schließlich will niemand der neue Inbegriff für Hungerlöhne werden. "Walmart hat im Prinzip den amerikanischen gesetzlichen Mindestlohn erhöht", sagte Maryam Morse von der Unternehmensberatung Hay Group dem Guardian. Walmart-Konkurrent Target hat verkündet, über die Lohnpolitik nachzudenken. Andere Unternehmen wie Gap, Starbucks und TJ Maxx haben die Mindestlöhne schon hochgesetzt. Das ist ein gutes Zeichen für die amerikanische Volkswirtschaft, die vom Konsum getrieben wird - zumal ärmere Menschen tendenziell größere Teile ihres Gehalts ausgeben, statt zu sparen.

Walmart kostet die Gehaltserhöhung eine Milliarde Dollar im Jahr, sie sei aber trotzdem wirtschaftlich sinnvoll. "Das ist eine strategische Investition in unsere Leute, damit sie mehr das Gefühl haben, dass die Geschäfte auch ihnen gehören", sagt Unternehmenschef McMillon. "Wir glauben fest daran, dass unsere Kunden bessere Erlebnisse in unseren Geschäften haben, was die Verkäufe antreibt und damit mit der Zeit auch die Ergebnisse für unsere Aktionäre." Der 48-Jährige hat im vergangenen Jahr 25,6 Millionen Dollar verdient. Ein Walmart-Mitarbeiter mit dem neuen Mindestlohn müsste also mehr als 2,8 Millionen Stunden arbeiten, um sein Jahreseinkommen zu erreichen.

Obama hätte den Mindestlohn schon längst erhöhen wollen, setzte sich aber nicht durch. 2014 stattete er Walmart in Mountain View einen Besuch ab. (Foto: Brendan Smialowski/AFP)

Die Krise ist vorbei, Mitarbeiter kündigen wieder häufiger

Arbeitnehmerverbände und arbeitnehmerfreundliche Politiker freut es besonders, dass Walmart sich wirtschaftliche Vorteile von dem Schritt verspricht - und nicht nur einen PR-Erfolg. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass andere Arbeitgeber nachziehen und entkräftet das alte Argument, dass ein höherer Mindestlohn den Unternehmen und der Volkswirtschaft schade, weil die Unternehmen weniger Leute einstellen würden und dann die Arbeitslosigkeit steige.

Das Gegenteil sei der Fall, schreibt der Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman in der New York Times: "Wenn man Arbeiter besser bezahlt, bleiben sie länger im Unternehmen, die Moral ist besser und sie sind produktiver." Walmart zählt zu den Arbeitgebern, die ihre Mitarbeiter am schnellsten wieder verlieren. Ständig neue Leute anzulernen ist teuer. Seit sich die Wirtschaft wieder erholt, sind Menschen einer Studie der Notenbank Fed in St. Louis zufolge immer eher bereit, ihren Job gegen einen besseren einzutauschen.

Amerikaner kündigen heute wieder so oft wie vor der Wirtschaftskrise. Das liegt auch an der sinkenden Arbeitslosigkeit. Vor fünf Jahren lag die Arbeitslosenquote noch bei 9,8 Prozent, inzwischen ist sie auf 5,7 Prozent gesunken. McDonald's schrieb im gerade veröffentlichten Jahresbericht, dass es deshalb schwieriger werden könnte, Löhne niedrig zu halten - und warnte vor sinkenden Margen. Auch bei McDonald's und anderen Fast-Food-Konzernen protestieren und streiken die Mitarbeiter und fordern einen Mindestlohn von 15 Dollar.

Die meisten Menschen haben von der Erholung der Volkswirtschaft in den vergangenen Jahren kaum profitiert. Die Durchschnittslöhne in Amerika sind in der Zeit nur um zwei Prozent jährlich gestiegen, das ist nur knapp mehr als die Inflation. Das Unternehmen Walmart entwickelte sich dagegen prächtig. Im Jahr 2007, kurz vor der Rezession, schrieb der Konzern 183 500 Dollar Umsatz pro Mitarbeiter und 5938 Dollar Gewinn, bis 2014 sind die Zahlen um 18 beziehungsweise 22 Prozent gestiegen.

© SZ vom 05.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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