Wall Street Journal:Die Australier kommen

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Der neue Chef ist der alte Herausgeber: Robert Thomson - Australier wie der Verleger des Blattes, Rupert Murdoch - kommt von der Financial Times und soll das Wall Street Journal zu einer globalen Marke ausbauen.

Nikolaus Piper

Das gute alte Wall Street Journal ist in diesen Tagen nicht mehr wiederzuerkennen. Früher war die Zeitung der Maßstab für Wirtschaftsjournalismus in den Vereinigten Staaten, mit langen, oft auch langatmigen Firmen- und Marktanalysen auf der ersten Seite. Heute spielt Wirtschaft oft nur noch eine Nebenrolle, wie an diesem Montag, als Barack Obama vierspaltig die Seite Eins beherrschte.

Der neue Chef kommt von der Financial Times - und soll jetzt das Wall Street Journal verändern. (Foto: Foto: dpa)

Geschichten über Kennedy, Olympia und Doping

Oder Ende Mai: Aufmacher war die Nachricht, dass Senator Edward Kennedy unter einem Gehirntumor leidet; es folgten Geschichten über das Erdbeben in China, die Suche der US-Armee nach Alternativtreibstoffen und über Doping bei den Olympischen Spielen. Der erste Wirtschaftsartikel folgte unten auf der dritten Seite und das nach einem Tag, an dem der DowJones-Index an der Wall Street 200 Punkte verloren hatte.

Die Ausgabe vom 21.Mai war auch noch aus einem anderen Grund interessant: An diesem Tag teilte die Muttergesellschaft des Journal, Dow Jones, offiziell mit, dass der bisherige Herausgeber Robert Thomson zum neuen Chefredakteur des Journal ernannt wurde. Faktisch hatte er den Posten schon vor einem Monat übernommen, als der bisherige Chefredakteur Marcus Brauchli unter Druck gehen musste und mit einem Beraterposten abgefunden wurde.

Es ist erst sechs Monate her, seit Rupert Murdoch die mit zwei Millionen verkauften Exemplaren zweitgrößte Zeitung der Vereinigten Staaten für 5,6 Milliarden Dollar gekauft hat. In der kurzen Zeit krempelte er das Blatt um. Und nun, da Murdoch seinen eigenen Mann an der Spitze installiert hat, dürfte alles noch schneller gehen. Der unabhängige Beirat, der seit dem Eigentümerwechsel über die redaktionelle Unabhängigkeit wachen soll, konnte die Ernennung Thomsons nur nachträglich abnicken.

Kongeniales Team aus Verleger und Chefredakteur

Wenn Verleger und Chefredakteur einer Zeitung überhaupt kongenial sein können, dann Rupert Murdoch und Robert Thomson: Beide sind Australier, beide haben das Zeitungsgeschäft schon als Jugendliche gelernt, beide haben am 11. März Geburtstag, sind mit Chinesinnen verheiratet, haben zwei kleine Kinder und fahren gelegentlich sogar zusammen in den Urlaub. Der Altersunterschied - Murdoch ist 77, Thomson 47 - spielt unter solchen Bedingungen keine große Rolle mehr.

Thomson wurde in der australischen Provinz geboren; sein Vater korrigierte im Nebenberuf Druckfahnen einer Lokalzeitung. Mit 17 fing er als Hilfskraft beim Melbourne Herald an. Als Reporter erwarb er sich einiges Ansehen, als er in den achtziger Jahren einen Korruptionsskandal in Sydney aufdeckte. Für die Londoner Financial Times berichtete er zunächst aus Asien und leitete dann die USA-Ausgabe.

2001 galt er als einer der Kandidaten für den Posten des Chefredakteurs der FT; nachdem er jedoch gegen Andrew Gowers unterlegen war, nahm er ein Angebot von Murdoch an und wurde Chefredakteur der Londoner Times. Den Auflagenverlust der einst angesehenen Zeitung konnte Thomson zwar nicht verhindern, aber er machte deren Internetauftritt zu einem der erfolgreichsten in Großbritannien.

Auf der nächsten Seite: Möglicherweise wollen Murdoch und Thomson das Journal zu einer globalen Marke ausbauen.

In New York trat er zurückhaltend und mit trockenem Humor auf. Auch nachdem er im April de facto Chefredakteur wurde, überließ er das Alltagsgeschäft überwiegend den fünf stellvertretenden Chefredakteuren, die alle noch aus der Vor-Murdoch-Zeit stammen.

Thomson befasste sich vor allem mit Planungen, und vor diesem Hintergrund sind Details seiner Ernennung bemerkenswert. Der neue Mann beaufsichtigt nicht nur das Journal, sondern auch, anders als sein Vorgänger, die Nachrichtendienste von Dow Jones. Mit diesen steht Murdochs News Corp nun in direkter Konkurrenz zu globalen Finanzmedien wie Bloomberg und dem britisch-kanadischen Konzern Thomson Reuters.

Ausbau zur globalen Marke

Die Logik der neuen Aufgabenbeschreibung für den Chefredakteur könnte darin liegen, die Online-Ausgabe des Journal und die Nachrichtendienste zu einem weltweiten Angebot auszubauen. Das wäre die Neuauflage eines alten Plans. Angeblich wollten Murdoch und Thomson schon die Londoner Times zu einer globalen Marke ausbauen. Gut möglich, dass sie das nun mit dem Journal vorhaben und zusätzlich zur Europa- und Asienausgabe (The Wall Street Journal Europe, The Asian Wall Street Journal) auf den internationalen Markt setzen.

Nicht zu unterschätzen ist auch eine andere Personalie: Herausgeber und Vorstandschef des Journals ist der Murdoch-Vertraute Leslie Hinton. Die Karriere des heute 64-Jährigen zeigt verblüffende Parallelen zu der Thomsons: Hinton hatte mit 15 als Hilfskraft in der Redaktion der Adelaide News begonnen, die da schon Rupert Murdoch gehörte - damals noch ein unbekannter Lokalverleger aus der australischen Provinz.

Als Murdoch begann, sein globales Reich zusammenzukaufen, wurde Hinton sein wichtigster Manager. Zuletzt leitete er die britische News-Corp-Tochter News International mit Titeln wie der Times und dem Revolverblatt Sun. Dabei erwarb er sich den Ruf eines knallharten Kostensenkers.

Und noch einen dritten Neuzugang brachte Rupert Murdoch aus London in die Redaktion des Wall Street Journal mit: Tina Gaudoin, eine frühere Redakteurin der Times. Sie soll zusammen mit Thomson ein Hochglanz-Magazin entwickeln, das Frauen, junge Leser und vor allem neue Anzeigenkunden an das Journal bindet und im September erscheint.

Die Meinungsseiten öffneten sich nach links

Während viele der Neuerungen beim Journal erwartet wurden, überrascht eine andere Änderung: die Ausweitung der Meinungsseiten. Traditionell ist der Kommentarteil des Journal streng vom Rest des Blattes getrennt. Die Meinungen sind so konservativ, dass viele in der Redaktion sich darüber nur noch lustig machten: Die Seiten galten als Spielwiese für rechte Republikaner, was dem konservativen Murdoch eigentlich nicht unsympathisch gewesen sein dürfte.

Tatsächlich jedoch öffneten sich die Meinungsseiten des Journal jetzt nach links. Der linksliberale Kultur- und Gesellschaftskritiker Thomas Frank schreibt eine Kolumne, viele andere Beiträge lassen sich nicht mehr ins Links-Rechts-Schema einordnen. Der angesehene Online-Kommentator Ronald Kessler warnte die Konservativen in einem scharf formulierten Beitrag davor, weiter den berüchtigten Senator Joseph McCarthy aus den fünfziger Jahren im Nachhinein reinwaschen zu wollen. Die Seiten lesen sich so, als wollten sie auch jenseits eines engen politischen Zirkels ernst genommen werden.

Das zeigt, wen Murdoch als eigentlichen Konkurrenten des Wall Street Journal in Amerika ausgemacht hat: die New York Times.

© SZ vom 04.06.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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